Rechtskurs der CDU: Warum Friedrich Merz mit der AfD liebäugelt

Meinung Die Aussagen zur AfD von Friedrich Merz stellen so etwas wie eine europäische Normalisierung dar. Ein Blick nach Schweden, Finnland, Spanien oder Ungarn umreißt den Weg, den Merz mit der CDU gehen wird
Ausgabe 30/2023
CDU-Chef Friedrich Merz adressiert das scharfrechte Klientel
CDU-Chef Friedrich Merz adressiert das scharfrechte Klientel

Foto: Chris Emil Janssen/Imago Images

Es dauerte eine Nacht, dann war klar: Friedrich Merz hat ein so großes Gehirn, dass darin die widersprüchlichsten Gedanken Platz finden können. Sonntags um 19.20 Uhr erschien auf seinem Twitter-Account ein Satz über die Abgrenzung zur AFD, den er ziemlich genau so im ZDF-Sommerinterview gesagt hatte: „Das Thema Zusammenarbeit mit der AfD betrifft die gesetzgebenden Körperschaften, also im Europaparlament, im Bundestag und in den Landtagen.“ Also offenbar nicht die Kommunen. Montags um 9.05 Uhr twitterte der CDU-Chef: „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben.“

Da war die mediale Deutungsmaschine längst angelaufen: War der Oppositionsführer gerade dabei, die „Brandmauer“ nach rechts zu schleifen? Ob empört oder begeistert, fast alle Kommentierenden verstanden es genau so, wie er es in dem Interview gesagt hatte: Wenn irgendwo ein Bürgermeister oder Landrat der AfD gewählt worden sei, dann müsse man das akzeptieren. „Und natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“ Als gäbe es nicht auch vor Ort die Alternative, mit Mehrheiten diesseits der AfD zu „gestalten“.

Kurz zusammengefasst: Die CDU wird mit der AfD in Kommunalparlamenten „gemeinsam gestalten“, ohne mit ihr zusammenzuarbeiten. Das ist hohe Dialektik, und deshalb sollte man vorsichtig sein, die vermeintlich relativierende Aussage vom Montagmorgen als „Zurückrudern“ zu werten, wie das vielfach geschah.

Es mag schon sein, dass Friedrich Merz im Interview deutlicher geworden ist, als er wollte. Es ist allerdings genauso gut möglich, dass er bewusst testen wollte, wie anschlussfähig für die scharfrechte Klientel man werden kann, ohne dass der Widerspruch allzu laut wird. Im Zweifel war es halt so nicht gemeint. Da gibt es Vorbilder. Man erinnere sich, um nur ein Beispiel zu nennen, an die einstige CDU-Größe Günther Oettinger: Der bediente sich einer diskriminierenden Bezeichnung für asiatische Menschen, und als die Empörung hochkochte, folgte sinngemäß ein „Sorry, war nicht so gemeint“.

Rechtsextreme in der Regierung

Ob mit Absicht oder aus Versehen, Merz hat seiner Strategie Ausdruck verliehen. Schon mit der Ernennung des Generalsekretärs Carsten Linnemann und mit dem Spruch von der CDU als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ war klar: Durch Öffnung nach ganz rechts will er entweder AfD-Wählende zurückholen oder, wenn das nicht klappt, die Tür für eine Zusammenarbeit öffnen.

Das Schlimmste daran: So trist wie die Lage um Deutschland herum inzwischen aussieht, stellt die Merz-Strategie so etwas wie eine europäische Normalisierung dar. In Schweden und Finnland regieren die Rechtsextremen mit, in Spanien ist das womöglich nur vorerst noch mal gescheitert, Israel schreddert den Rechtsstaat, von Ungarn zu schweigen. Und in Tunis steht die CDU-Europäerin Ursula von der Leyen fröhlich neben dem autoritären Präsidenten, um mit ihm die nächste Runde der Flüchtlingsabwehr auszuhandeln.

Das umreißt den Weg, den Friedrich Merz mit der CDU gehen wird. Und nicht nur nebenbei bemerkt: Die sogenannten Liberalen in der Partei mögen zwar die Tonart des Chefs kritisieren, aber bei den harten Inhalten – Stichwort Migration – stehen sie fest an seiner Seite.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden