Post-Faschismus: Ein absehbares Ende von Demokratie und Liberalismus
Ruck nach rechts In Zeiten, in denen ehemals demokratische und liberale Gesellschaften nach rechts rücken, wird der Begriff des Faschismus inflationär verwendet – und entwendet. Höchste Zeit, für ein wenig Orientierung zu sorgen
Sieht nach Kindergeburtstag aus, aber das F steht nicht für Fun
Foto: Thomas Victor/Agentur Focus
Es ist wohl nun wirklich nicht mehr zu leugnen: Die Gesellschaften des Westens, die politischen, ästhetischen und diskursiven Kulturen, sogar einstige Vorzeigeprojekte von Demokratie und Liberalismus, sie alle bewegen sich mit einer beängstigenden Geschwindigkeit nach rechts. Nicht nach rechts im Sinn des demokratischen Spektrums, sondern nach rechts im Sinne fundamental anti-demokratischer und anti-liberaler Haltungen.
Sie bewegen sich in Richtung eines militanten „Konservatismus“, in Richtung des Rechtspopulismus, in Richtung Nationalismus und Autokratie, alles in allem: in Richtung Faschismus. Oder Post-Faschismus, Prä-Faschismus, Halb-Faschismus, Neofaschismus, moderner Faschismus, Krypto-Faschismus …, aber da beginnen uns die Begriffe zu verschwimmen, z
hwimmen, zumal sie längst inflationiert und entwendet sind. Für einen unserer famosen „Konservativen“ sind die Grünen, ganz klar, „Ökofaschisten“, „Querdenker“ inszenieren sich als Nazi-Opfer, und Wladimir Putin schickt seine Truppen nicht zur Eroberung, sondern um ein Land von „Faschisten“ zu befreien. Höchste Zeit, sich ein wenig Orientierung zu verschaffen.„Unterirdische“ VerbindungenDie beiden Pole der westlichen Gesellschaften auf ihrem Weg nach rechts scheinen Post-Demokratie – Staaten und Gesellschaften, die noch notdürftig nach äußeren demokratischen Regeln und Legitimationen funktionieren, im Inneren aber schon ausgehöhlt und ohne demokratischen Geist und Inhalt sind – und Post-Faschismus zu sein, bei dem es sich genau umgekehrt verhält: äußeres Festhalten an demokratischen Ritualen wie Wahlen, internationalen Abmachungen oder Gesetzen verbirgt notdürftig den wahren Inhalt und Geist. Eine Demokratie, die noch so genannt werden will, aber eigentlich keine mehr ist, trifft auf einen Faschismus, der nicht mehr so genannt werden will, aber eigentlich noch immer und schon wieder einer ist.Das konservative oder reaktionäre Bürgertum in Europa bedient sich an beidem und bildet damit den Humus für die abschließende Konversion: Post-Demokratie und Post-Faschismus bilden eine Einheit. Diese neue Einheit von autokratisch-populistischer Staatsführung (einschließlich „Führer*innen“-Gestalten), kultureller und medialer Gleichschaltung und völkisch-rassistisch-nationalistischer Grundierung hat noch keinen Namen. Klar ist nur, dass sie auf allen Ebenen – der Ideologie, der Strategie, der Organisation, der Ästhetik und der Psychologie – unübersehbare Verwandtschaften mit den historischen Faschismusformen aufweist.Zwei Phänomene können den Übergang von Post-Demokratie in Post-Faschismus trefflich illustrieren: Das Verhalten der italienischen Regierung unter Giorgia Meloni und das Verhalten „konservativer“ Politikerinnen und Politiker in Deutschland (nebst ihrer kabarettistischen, journalistischen und bürokratischen Entourage).Der italienischen Regierung gelingt es, ihren faschistischen Gehalt weitgehend aus den internationalen, welt-medialen Auftritten herauszuhalten. Eine „saubere“ europäisch-westliche Außenhaut, die den schmutzigen Umbau von Staat und Gesellschaft im Inneren verbirgt. Das Modell ist von autokratischen Regimes bekannt: Der Umbau des Parteien- und Parlamentssystems zu einem populistischen Präsidialregime, die Unterwerfung von Kultur, Presse und Wissenschaft (in kleinen zähen Schritten wie, nur zum Beispiel, durch die Bestimmung, Museen dürften nicht mehr von ausländischen Fachleuten geführt werden, oder durch die schrittweise Verwandlung der RAI in Meloni-TV), der Kulturkampf um anti-emanzipative, anti-queere und anti-feministische Impulse, der Griff nach der Unabhängigkeit der Justiz, die inoffizielle, „unterirdische“ Verbindung mit rechtsextremen Gruppierungen, auch denen mit offener „Gewaltbereitschaft“, die propagandistische Konstruktion der üblichen Sündenböcke und Hassobjekte und nicht zuletzt die Relativierung, schrittweise Rehabilitierung und schließlich Glorifizierung der faschistischen Vergangenheit. Der Trick besteht nicht nur in der Dualität von äußerem Schein und innerer Wirklichkeit, sondern auch in der scheinbaren Unverfänglichkeit und Unverbundenheit der einzelnen Impulse.Statt also von dem einen Faschismus zu sprechen, von dem die einen im rechtsdrehenden Europa noch etwas mehr und die anderen etwas weniger weit entfernt sind, oder gar von einem „reformierten“ Faschismus, mit dem man sich wohl oder übel arrangieren wird müssen, wäre es vielleicht zweckmäßiger, von Faschisierungen und von Teilfaschismen zu sprechen. Von Prozessen also: Wie und warum geschieht es, dass ein Mensch, eine Szene, ein Milieu, ein Diskurs sich nach und nach mit den Phantasmen des Faschismus – Rassismus, Nationalismus, Führerkult, Blut und Boden, Anti-Demokratie, Anti-Aufklärung, patriarchale Geschlechterordnung und so weiter – verbindet? Und von einzelnen Elementen: Ästhetiken, Subkulturen, „Weltanschauungen“, Organisationsformen, die Aspekte des Faschismus aufnehmen, ohne schon einen totalen Faschismus zu repräsentieren? Sowohl Prozesse der Faschisierung als auch isolierte Teilfaschismen sind durch die liberale Grundordnung gesichert und existieren am Rand jedes demokratischen Staates und jeder liberalen Gesellschaft.Wo sich freilich die Prozesse der Faschisierung so verstärken, dass sie den demokratischen Staat selbst infrage stellen, und wo sich die Teilfaschismen (nur zum Beispiel: rassistische Hooligans, Anastasia-Aussteiger, neurechte Intellektuelle, Querdenker, Evangelikale, Incels, Geschichtsrevisionismen …) so miteinander vernetzen, dass sie sich in einem finalen „Kulturkampf“ gegen die liberale Gesellschaft vereinen, ist so schwer zu bestimmen, dass demokratische Staaten und liberale Gesellschaften von einer manifesten Machtübernahme wie in Italien überrumpelt werden können. Eine andere Frage ist natürlich, woher die Schwäche und der mangelnde Widerstandsgeist der Gesellschaften und ihrer politischen Kulturen stammt. Eben dies ist ja die faschistische Meta-Erzählung: Dass ein klares, starkes und zentrales Prinzip kommen muss, um das Elend des mehrdeutigen, schwachen und vielstimmigen Durcheinanders zu beenden.CSU und FDP machen es vorSo wie die italienische Regierung vormacht, wie man innerlich faschistisch und äußerlich „westlich“ sein kann, so machen Teile der CDU/CSU und der FDP in Deutschland vor, wie man sich äußerlich begrifflich von „dem“ Faschismus abgrenzt und sich innerlich der Faschisierung anverwandelt. Auch dies geschieht auf zwei Arten, nämlich durch die Übernahme von Themen, Sprechweisen, Memen und Bildern der extremen Rechten und durch die Strategien des Machtkampfes, die sich statt auf einen Common Sense (Grundvoraussetzung jeder Demokratie) auf das Prinzip Wir-gegen-die-anderen beziehen. Die äußere Konkurrenz zwischen „militantem Konservatismus“ und „populistischem Faschismus“ entspricht einer inneren Verschmelzung. Der Vorgang wird symptomatisch für die Öffentlichkeit, wenn sich besonders eifrige Vertreter und Vertreterinnen dieser Verschmelzung in Wort und Tat zur Kenntlichkeit verzerren. Solche vorauseilende Faschisierung stört freilich die strategische Unauffälligkeit der Verschmelzung. Die Aufweichung der Grenzen zwischen „bürgerlichem“ Konservatismus und Post-Faschismus bildet die Grundlage für die neuen westlichen Gesellschaften: Nicht mehr wirklich demokratisch, aber noch nicht vollständig faschistisch.Diese neue Form der hybriden Regierung und der gespaltenen Gesellschaften ist möglich, weil die Rechte derzeit in verschiedener Gestalt erscheint, und auch hier sind die italienischen Verhältnisse denkbar luzide: Die Partei des entfesselten „libertären“ Neoliberalismus plus Bunga-Bunga und Mafia (Forza Italia), die Partei des dumpf-fremdenfeindlichen Regressiv-Separatismus und der Retromanie (Lega) und die Partei des „modernen“ und so weltläufigen wie authentischen Faschismus (Fratelli d’Italia). Der Zusammenschluss dieser drei Parteien bildet die Hauptlinien der Faschisierung der westlichen Gesellschaften in ihrer Krise ab und verbindet miteinander, was zunächst (schon in der Erscheinungsform der Protagonisten und „Follower“) durchaus widersprüchlich scheinen mochte. So widersprüchlich wie der Politiker, der aus der FDP am liebsten eine AfD für Besserverdienende machen würde, und der bierdünstige Skinhead, dem der Arm zum Hitlergruß zuckt. Die Staatsidee der neuen westlichen Gesellschaft ist offensichtlich ein kontrollierter Prozess der Faschisierung, die Gesellschaftsidee dagegen eine Koexistenz zwischen allen erdenklichen Partialfaschismen mit ökonomisch oder politisch notwendigen Resten des Liberalismus (vieles wird unterdrückt, dafür werden genügend Anlässe geduldet, „die Sau rauszulassen“).Die Faschisierungsprozesse in den westlichen Gesellschaften sind durch ihre Vielfältigkeit so erfolgreich bei der Eroberung ihrer sozialen Trägermasse, des Kleinbürgertums: Man verwahrt sich möglicherweise gegen eine Form der Faschisierung, fühlt sich dann aber von der anderen unweigerlich angerührt. Ideologisch bietet das den Vorteil, sich wegen der Faschisierungen und der Teilfaschismen „nicht in die rechte Ecke stellen“ zu lassen, schließlich ist man ja a) kein Totalfaschist und b) keiner, der den historischen deutschen Nationalsozialismus eins zu eins wiederholen will. Als Post-Faschismus also lässt sich wohl ein System verstehen, in dem Prozesse der Faschisierung und Inseln der Teilfaschismen so flüssig miteinander verbunden sind, dass man sie nicht als eindeutige Gestalt eines totalen oder totalitären Systems wahrnimmt. Post-Faschismus hat alles, was der historische Faschismus hatte, aber in einer lockeren, dynamischen und maskierten Weise (der Post-Moderne analog). Dem entspricht die Sprechweise des Post-Faschismus als ein ständiges Spiel mit den faschistischen Begriffen und Vorstellungen, des Sagens und Nicht-Sagens, der Karnevalisierung des Mörderischen. Sexualität und Sadismus, Sentimentalität und Semantik sind auch im deutschen Kulturkampf die erfolgreichsten Schlachtfelder der Post-Faschisten.Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass die verschiedenen Formen der Faschisierung alle auch ihre Formen von Gewalt und Terror hervorbringen. Gewalt und Terror, gegen die offensichtlich der demokratische Staat, seine Polizei, seine Justiz, seine Sozialsysteme, seine Politik nicht schützen können oder wollen. So entsteht ein unerträgliches Empfinden: Sich für die Demokratie entscheiden, heißt seine Ohnmacht einzugestehen und alle Hoffnungen und Interessen durch Sachzwänge verraten zu sehen; sich für die Faschisierung entscheiden, heißt, Angst und Macht zu spüren und spüren zu lassen. Daher sind Faschisierungen in aller Regel selbst-verstärkende Prozesse. Sie kontrollieren zu können, ist die letzte Illusion der Post-Demokratie.