Patchworkfamilie: „Das Co-Parenting klappt im Kopf, aber Herz und Bauch sind hinterher“
Interview Die Psychologin Katharina Grünewald berät Patchworkfamilien. Im Gespräch erklärt sie, warum der bösen Stiefmutter schnell mal die Schuld gegeben wird – und warum Patchworkfamilien häufig scheitern
Solo-Mama, Co-Parenting, Regenbogeneltern, Patchwork. Die moderne Familie gibt es in den buntesten Konstellationen. Naturgemäß läuft auch hier gar nichts rund, Patchworkpaare scheitern sogar noch häufiger als Paare ohne Kinder oder mit „eigenen“ Kindern. Ist unser Liebesideal zu romantisch? Katharina Grünewald kennt die Fallen, in die vor allem Stiefmütter tappen.
der Freitag: Frau Grünewald, eine Frau, die sich in einen Vater verliebt, muss viel erleiden. Das hat mich bei der Lektüre des Buchs über das Stiefmuttersein von Elsa Koester erstaunt. Ich gestehe, mein Bild oder Vorurteil war bisher: Wenn eine nach der Trennung leidet, dann doch eher die jetzt alleinerziehende Mutter! Was ist denn so schwierig für die neu verliebte Sti
e nach der Trennung leidet, dann doch eher die jetzt alleinerziehende Mutter! Was ist denn so schwierig für die neu verliebte Stiefmutter?Katharina Grünewald: Bleiben wir zunächst bei der Idealfamilie, die gescheitert ist. Vater, Mutter, zwei Kinder, das ist ja bis heute die Idealvorstellung. Das ehemalige Liebespaar trennt sich nicht nur voneinander, sondern auch von diesem Lebensentwurf, von dem Idealbild. Das ist schmerzhaft.Die „neue Freundin von Papa“ wird von Kindern oft als Eindringling wahrgenommen.Die Stiefmutter ist die Böse, die automatisch beargwöhnt wird. Das kennt man ja schon aus den Märchen. Im schlimmsten Fall war das Paar noch nicht offiziell getrennt. Und obwohl schon Probleme da waren, bekommt die Schuld dafür jetzt ganz schnell die böse Stiefmutter. Das ist eine vermeintliche Abkürzung einer komplexen Beziehungsgeschichte.Ist es für eine neue Partnerin schwieriger, wenn sie keine eigenen Kinder hat?Es ist anders. Die Frau hat sich in den Mann verliebt. Nicht in die Kinder. Aus Liebe fühlt sie sich vielleicht auch berufen, ihr Bestes für die Kinder zu geben. Und schon lauert die erste Falle, ich nenne sie Stiefmutterfalle. Sie tut alles, was sie glaubt, was gut für die Kinder wäre, und tritt in die Mütterkonkurrenz. Bewusst oder unbewusst verlangt sie für dieses Engagement Wertschätzung und Anerkennung, die oftmals nicht kommt. Darauf reagiert sie gekränkt – und schon ist sie auf dem Weg zur bösen Stiefmutter.Wenn die Stiefmutter doof ist, ist Mama nicht mehr traurigDie Kinder leiden aber doch am meisten?Kinder wollen immer, dass Mama und Papa wieder zusammenkommen, und natürlich gibt es nur eine Mama. Wenn die neue Freundin des Vaters nett ist, kommen Kinder aber vielleicht in den Loyalitätskonflikt. Dann haben sie das Gefühl, wenn sie sich zu wohl bei der Neuen fühlen, verraten sie ihre Mutter. Also sorgen sie, kurz bevor sie zur Mutter zurückgehen, für einen Streit und können der Mutter erzählen, wie doof die Neue ist. Dann freut sich Mama und ist nicht mehr traurig. Da hat es die Stiefmutter echt schwer.Und an so einem Papa-Wochenende ist sie eifersüchtig auf das Kind. Ist das nicht infantil?Das ist nicht infantil. Wir haben alle mehrere Persönlichkeitsanteile in uns. Und unsere Kind-Ich-Instanz ist noch voller Erinnerungen und Energie aus Zeiten, als wir selbst Kind waren. Wenn wir da die Erfahrung gemacht haben, dass wir uns zum Beispiel sehr anstrengen und echt brav sein mussten, bevor wir auf Papas Schoß durften, dann ist die aktuelle Patchworksituation schwer auszuhalten. Die Kinder sind oftmals dreist und frech, man selbst stellt die eigenen Bedürfnisse hintan und umsorgt sie auch noch und was macht der Vater? Er hebt die Dreisten und Frechen hoch und feiert seine Tochter als Prinzessin und nicht mich als Liebste. Das ist die Prinzessinnenfalle. Man hatte (un)bewusst die Erwartung, selbst geherzt zu werden. Stattdessen bekommt man unter Umständen noch nicht einmal ein Danke!Dem Vater kommt eine Schlüsselfunktion zu?Der Vater, das leibliche Elternteil, hat eine Scharnierfunktion. Er ist als einzige Figur Teil der alten Familienlogik und der neuen Liebespaar-Logik. Und hat die Verantwortung, diese beiden Einheiten zu verknüpfen.Väter sind mit zwei Familiensystemen häufig überfordertIn der Regel kommen aber Frauen in Ihre Beratung, oder?Es sind oft die Stiefmütter, die den stärksten Leidensdruck haben. Manchmal spielen die Kinder und die Exfrau noch eine große Rolle und die Neue fühlt sich außen vor. Der Vater kümmert sich vielleicht noch sehr um das alte Haus und unterstützt die Exfrau, macht es ihr recht. Das kann kränkend sein. Aber auch Väter kommen. Oft, weil sie mit zwei Familiensystemen überfordert sind. Schließlich haben die Konflikte mit der Exfrau zur Trennung geführt, jetzt fangen diese Unstimmigkeiten auch mit der neuen Partnerin an, die Transparenz und eine Kommunikation auf Augenhöhe wünscht.Man wundert sich nicht, dass Patchwork-Konstellationen häufiger scheitern. Schuld hat dann immer die böse Stiefmutter?Das erzählen viele Märchen ja in aller Drastik. Da braucht man das Wort „böse“ nicht davor. Jemanden stiefmütterlich behandeln heißt jemanden schlecht behandeln. Bei einem Stiefvater ist das anders: Er wird gesellschaftlich eher wahrgenommen als der Retter der armen Alleinerziehenden mit den armen Kindern.Stehen sich Frauen selbst im Weg? Beruflich sind sie emanzipiert. Aber in Beziehungen ...Ich glaube, eine Veränderung ist hier gesellschaftlich noch nicht durchgedrungen. Die Frau fühlt sich immer noch sehr viel verantwortlicher für das Wohl der Familie als der Mann. Das ändert sich jetzt, immer mehr. Aber noch ist es nicht gleichberechtigt. Da will in einem Fall die Mutter mehr Zeit mit ihrem Kind allein verbringen, also trifft sich der neue Partner mit seinen Kumpel zum Fußball. In dieser Zeit geht es dann auch nur um Fußball. Andersherum ist es für die neu dazugekommene Frau sehr viel schwieriger, den Vater mit seinen Kindern allein zu lassen. Das nimmt sie dann knirschend hin, verabredet sich vielleicht mit Freundinnen zum Wellnesstag. Die Gespräche drehen sich dann allerdings nur um die Familiensituation. Das Abspalten oder Loslassen der Familiensituation ist viel schwieriger für Frauen.Co-Parenting, Regenbogeneltern, PatchworkWollen Frauen zu viel? Keinen Stress machen, super Köchin, Mutter und Geliebte sein?Die Ansprüche sind enorm hoch. Multitasking, erfolgreich im Beruf, natürlich attraktiv bis ins hohe Alter, jederzeit bereit, mit den Freundinnen Pferde zu stehlen, Mutter sein, alles im Griff haben und das alles locker und entspannt. Heute ist alles möglich, genauso wie wir sehr frei geworden sind, was das Zusammenleben in der Familie angeht: Solo-Mama, Co-Parenting, Regenbogeneltern, Patchwork … Wir haben das alles im Kopf, es ist in aller Munde. Aber Herz und Bauch sind noch hinterher.Was raten Sie Frauen, die sich in Väter verlieben?Als Erstes würde ich sagen: Verliebtheit genießen, den Mann ohne Kind kennenlernen. Und mit den Kindern am besten erst gar nicht rein in die Stiefmutterrolle. Bei sich bleiben. Gut auf die eigenen Bedürfnisse achten und es kundtun, wenn es nicht so ist. Natürlich kann man auf die Kinder aufpassen, dem Liebsten bei der Care-Arbeit helfen, das aber gut verhandeln und verrechnen. Das entspricht vielleicht nicht dem romantischem Liebesideal, aber dieser nüchterne Handel ist ein standfestes Fundament, auf dem sich die Liebe frei entwickeln kann. Nach dem Motto: ich passe auf dein Kind auf, dafür lädst du mich morgen zum Abendessen ein.Man kann sich aber in den Mann – und in den Vater – verlieben?Ja, natürlich kann ich es toll finden, wie er mit seinen Kindern umgeht, und unbewusst wünsche ich mir das auch für mich. Wenn ich dann feststelle, er kümmert sich nur noch um seine Kinder, dann wird dieses „tolle Vatersein“ zum Kipppunkt und man fragt sich, warum tue ich mir das an? Der ist ja überhaupt nicht mehr mein Geliebter. Es ist gut, sich das bewusst zu machen.Falle Nummer drei: die Überidealisierung des Partners?Ohne Idealisierung geht es ja nicht. Aber man sollte nicht vergessen, dass der Partner ein komplexes Persönlichkeitsgebilde ist wie man selbst auch. Und dass man für das eigene Glück selbst verantwortlich ist.Das sind doch fast romantische Schlussworte, danke!Placeholder infobox-1
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