Die Stiefmutter ist voll am Start – ja, wo denn sonst?

Kolumne Trotz einer Gesellschaft, die Co-Parenting und elterliche Trennungen normal findet, bekommen Stiefmütter immer noch einen Stempel ab. Unsere Autorin ist selbst Stiefmutter – und hat keine Lust mehr auf die miesen Klischees
Ausgabe 36/2023
Die Stiefmutter ist voll am Start – ja, wo denn sonst?

Foto: Tayfun Coskun/picture alliance/AA

Super Safe Space

Elsa Koester ist Freitag-Redakteurin. Am 11. Oktober 2023 erscheint ihr zweites Buch, Stiefmutter sein, bei Penguin. Abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Tadzio Müller und Alina Saha schreibt sie die Kolumne „Super Safe Space“.

Der Kleine hat Hunger, also geht mein Partner mit ihm noch schnell Pommes kaufen. Ich gehe vor, denn wir sind spät dran zum Chorkonzert von Arianna, ich versuche, noch halbwegs okaye Plätze zu bekommen. Aber alles schon voll mit Eltern, Großeltern, Geschwistern. Plätze nur noch hinten, verdammt. Da treffe ich eine Bekannte, stimmt ja, ihre Tochter singt auch im Chor, „Ach, auch hier?“, fragt sie. „Ja, die Tochter meines Partners singt!“, „Ah, wow, und die Stiefmutter ist voll am Start, ja?“

Urgs. Unten, in den Bauch. Dieser dezente Hinweis: Selbstverständlich ist es nicht, dass du da bist. Würde mir andersherum doch nie einfallen: „Ah, wow, und die Mutter ist voll am Start, ja?“ Ich bin Stiefmutter geworden, vor über drei Jahren jetzt, und doch erwischt es mich immer kalt, dieses: „Ah, wow“, diese Irritation, diese hochgezogene Augenbraue bei „Stiefmutter“.

Es ist das letzte Chorkonzert von Arianna, und ich war immer dabei, seit sie im Chor angefangen hat, vor zwei Jahren. Ich war auch immer dabei in diesem Wahnsinn der vergangenen Monate, den man beschönigend „Abi-Phase“ nennt. Ich habe gekocht, aber richtig: zum Beispiel Capponata, das fängt schon damit an, dass man die Zwiebeln 45 Minuten in der Pfanne schmelzen lässt. Ich bin mit ihr die 5. PK durchgegangen (für Nicht-Abi-Eltern: 5. Prüfungskomponente, eine Power-Point-Präsentation zu zwei Fächern, etwa Politik und Bio: Können Algen den Klimawandel stoppen?), bis mir Algen aus den Nasenlöchern wuchsen. Ich habe mir Geschrei angehört, ich habe Weinen wegumarmt. Natürlich, ihr Vater hat das alles auch getan, aber: ich auch. Als Stiefmutter. Und dann die große Freude: 1,8 Schnitt!!! Wahnsinn.

Auch Stiefmütter sind stolz auf ihre Stiefkinder

Da steht sie, vorne. Und singt. Ich sehe, wie sie es checkt. Dass sie da steht, zum letzten Mal. Ich sehe, wie sie die Brust rausdrückt, ihre Haare nach hinten schüttelt, neben ihr ihre beste Freundin, auch sie fertig mit der Schule, beide kurz davor, in die Welt loszusegeln, ich sehe das Sprühen in ihren Augen. Meine Brust wird eng. Ich spüre, wie meine Augen feucht werden, ich streiche mit eine Träne weg. Ich sehe, wie Arianna sich eine Träne aus dem Augenwinkel streicht.

Wir haben es nicht immer leicht gehabt, Arianna und ich, beim Patchwork-Werden. Wir waren in schwierigen Rollen: Stieftochter und Stiefmutter. Wir haben uns da rausgekämpft. Aus dem „du bist aber nicht meine Mutter“, aus dem „und wieso wasche und putze und koche ich dann für dich?“. Aus Eifersucht und Bescheuertsein. Und da steht sie jetzt, nach nur dreieinhalb Jahren, und will schon durch die Welt reisen? Ich heule.

Dann ist die Magie vorbei, das Konzert fertig. Mein Partner steht mit den Eltern von Ariannas bester Freundin zusammen. Ich gehe dazu, sie schauen mich fragend an, „das ist Elsa“, sagt er, ich halte die Hand hin, „Ariannas Stiefmutter“, sage ich, kurzes Zögern, dann erst Händeschütteln, „äh, okay“.

Warum ich das alles erzähle? Weil diese Gesellschaft Co-Parenting total abfeiert, weil sie total emanzipiert ist und die Trennung von Eltern akzeptiert, weil wir über alle möglichen neuen Formen der Elternschaft diskutieren und so offen sind, aber wenn es um Stiefmütter geht, dann fragen wir uns, was sie auf dem Chorkonzert der Stiefkinder zu suchen haben? Ja, in welchem Jahrhundert seid ihr denn bloß alle stecken geblieben?

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Geschrieben von

Elsa Koester

Redakteurin „Politik“, verantwortlich für das Wochenthema

Elsa Koester wuchs als Tochter einer Pied-Noir-Französin aus Tunesien und eines friesischen Deutschen in Wilhelmshaven auf. In Berlin studierte sie Neuere deutsche Literatur, Soziologie und Politikwissenschaft. Nach einigen Jahren als selbstständige Social-Media-Redakteurin absolvierte sie ihr Volontariat bei der Tageszeitung neues deutschland. Seit 2018 ist sie Redakteurin für Politik beim Freitag, seit 2020 für das Wochenthema und die Titelseite zuständig. Sie schreibt am liebsten Reportagen von den Rändern der Republik und beobachtet mit großer Spannung die Umgestaltung des politischen Systems im Grünen Kapitalismus.

Elsa Koester

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