Resistenza von A bis Z: Doppelsinniges „Bella Ciao“ und vier Tage von Neapel
Lexikon In den ersten Septembertagen 1943 bildeten sich in Italien Partisanengruppen, die aus dem Hinterland der Emilia-Romagna und dem Piemont deutsche Truppen angriffen. Nicht nur in Liedern wie Büchern lebt die Antifa bis heute
ANPI, die Associazione Nazionale dei Partigiani, ist in Italien das zivilreligiöse Gegenstück zur katholischen Kirche. Ursprünglich war die Vereinigung Kämpfern gegen die deutsche Besatzung Italiens vorbehalten, seit 2006 ist sie offen für jeden, der die Werte der Resistenza, des Widerstands, teilt. Eintrittswellen ereignen sich je nach verspürter Faschisierung der Gesellschaft, nach neofaschistischen Gewalttaten oder nach Vereidigung der jüngsten rechtspopulistischen Regierung. „Ich trete der ANPI bei, weil ich bereit bin, unsere Verfassung zu verteidigen“, so der Schauspieler Elio Germano. Kritik erfuhr die ANPI, als ihr derzeitiger Präsident die Ukraine zu Gewaltlosigkeit angesichts der russischen Invasion und Italien zur Ver
lien zur Verweigerung von Waffenhilfe aufrief. Dabei kam weniger ein pansowjetisches Nachleben als vielmehr die Abneigung gegenüber dem vermeintlichen amerikanischen Hegemon zum Ausdruck. Das Logo der ANPI kann man im Netz herunterladen oder seinem Facebook-Auftritt hinzufügen.B wie Bella CiaoSagen wir es gleich: Der Erfolg dieses Liedes verdankt sich der nachträglichen Popularität der Partisanen (→ Johnny), als deren verbreitetste Hymne allerdings Fischia il vento („Es weht der Wind“, gesungen zur Melodie des Sowjethits Katjuscha) gelten darf. Die Verse desjenigen, der sich am Morgen erhebt, sich von Invasoren bedroht findet, seine Liebste verlässt, sich den Freiheitskämpfern in den Bergen anschließt und schließlich eine Blume über seinen Gebeinen sprießen sieht, wurden erst Mitte der 1960er Jahre zum Gemeingut. Das doppelsinnige „bella ciao“, das zugleich Abschied und Anbeginn meinen kann, erlaubte eine schnelle Aneignung durch die breite Masse, die sich „befreit“ fühlte. Es war wohl kommensurabler als sein Gegenstück, in dem im Osten die Morgensonne aufgeht, rote Fahnen gehisst und unerbittlich Rache an den Faschisten genommen wird.D wie DuceDas Buch Il corpo del Duce (1998) des italienischen Historikers Sergio Luzzatto erzählt, wie der verehrte und begehrte Körper des Führers Benito Mussolini zum Gegenstand der Verachtung, der Erniedrigung und des Schreckens wurde. Auf der Flucht Richtung Schweiz wird Mussolini mit seiner Geliebten am 27. April 1943 von Partisanen der Brigata Garibaldi angehalten und einen Tag später füsiliert (eine Tradition besagt, dass die Geliebte nicht erschossen werden sollte, jedoch – höchster Zusammenklang aus Liebe und Pflicht – sich im Moment der Exekution schützend vor den Duce geworfen habe). Die Leichen stellte man auf der Piazzale Loreto in Mailand zur Schau, hängte sie an den Füßen an einer Tankstelle auf und zog sie immer höher und höher, in dem Maß, in dem die erregte Volksmenge sich an ihr zu vergehen drohte. Das drückte nicht unbedingt antifaschistische Gesinnung aus: Es ging auch darum, dem Duce (→ Quattro giornate) die eigene Niederlage anzuhängen.J wie JohnnyRomane über die Resistenza waren häufig zugleich Coming-of-Age-Romane. Beppe Fenoglio porträtiert die im norditalienischen Piemont besonders vielfältige Partisanenbewegung. Eine Privatsache und Il partigiano Johnny mit seinen auf Englisch geführten inneren Monologen haben mit ihrer existenzialistischen Lakonie dazu beigetragen, dass das Partisanentum nicht bloß Abenteuer eines Lebens, sondern dessen Inbegriff wurde. Ähnlich Nuto Revelli, der sich als Offizier der Befreiungsbewegung anschloss und später eine mehrbändige Oral History über das Ende der bäuerlichen Welt des Piemont vorlegte (Il mondo dei vinti). Revellis Geschichte legt die wertkonservativen Wurzeln offen, die zur Resistenza gehören (gab es doch neben den „roten“ Garibaldini monarchistische, sozialdemokratische, katholische und liberale Partisaneneinheiten).K wie Kesselring, AlbertAlbert Kesselring (1885 – 1960), Oberbefehlshaber der Wehrmacht in Italien. Für Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt. Churchill setzte sich für die Umwandlung in eine Haftstrafe ein: Besiegte seien nicht durch Auslöschung ihrer Eliten zu demütigen. Nach wenigen Jahren wurde Kesselring in die BRD überstellt und liegt heute am Tegernsee begraben. Die Deutschen dankten ihm, wofür er von den Italienern vergeblich ein Denkmal einforderte: die Bewahrung zahlreicher Kulturgüter vor alliiertem Bombenhagel, da er unter anderem Rom zur „offenen Stadt“ erklärt habe. Piero Calamandrei, einer der Verfassungsväter, antwortete mit einem Gedicht: „Das Denkmal, das du von uns Italienern verlangst / du wirst es haben / Kamerad Kesselring / Aber aus welchem Stein es gefertigt sei / das zu entscheiden, liegt bei uns // … // Auf diesen Straßen wirst du, wenn du zurückkehrst / uns an unserem Platz finden / Lebende und Tote mit der gleichen Mission / Ein Volk, vereint um ein Denkmal / das heute und für immer / heißt / RESISTENZA“.L wie LächelnDas schöne Gesicht der Resistenza: Irma Bandiera entstammte einer wohlhabenden Bologneser Familie, ihr Verlobter kam in Kriegsgefangenschaft um, sie selbst schloss sich nach dem Waffenstillstand 1943 der im Untergrund operierenden Kommunistischen Partei an. Faschistische Schergen folterten sie tagelang, um mehr über ihre Genossen zu erfahren, stachen ihr, wie einst Santa Lucia, die Augen aus und warfen ihren Leichnam zur Abschreckung nahe dem Wohnhaus von Verwandten ab. Auf einem ikonisch gewordenen Foto lächelt sie schräg am Fotografen vorbei, geschminkt und mit schwerer Perlenkette erinnert sie an eine Jazzqueen (und ein bisschen an Maria Magdalena). In ihr kreuzen sich die Typen der selbstlosen Heiligen, der lebensfrohen jungen Frau und der Revolutionärin, später auch für lateinamerikanische Befreiungsbewegungen charakteristisch.Q wie Quattro giornateAm 25. Juli 1943 war Mussolinis (→ Duce) „Repubblica Sociale“ gefallen; wo sie es vermochten, übernahmen die Deutschen als Besatzer, während die Alliierten von Süden her drängten. Neapel hatte unter dem Krieg stark gelitten, alliierte Bombenangriffe hatten an die 10.000 Tote gefordert. Als die Deutschen Neapel zur Festung ausbauen, den Hafen sprengen und die männliche Bevölkerung als Zwangsarbeiter rekrutieren wollten, kam es zwischen dem 27. und dem 30. September zu Sabotageaktionen, zivilem Ungehorsam und Erhebungen, die schließlich die Besatzer in die Flucht schlugen –als erste italienische Stadt befreite sich Neapel selbst, wobei die Zahl der Toten vergleichsweise niedrig blieb. Wieder mal hatte Neapel gezeigt, dass es sich eher auf improvisierte Aufstände denn auf lang vorbereitete Handlungen verstand, als mobilisierte sich in kritischen Momenten die historisch informierte DNA seiner Gesellschaft. Das Kriegsleiden der Stadt und die Überlebensstrategien ihrer Bewohner*innen erzählen Curzio Malapartes Roman Die Haut oder Nanni Loys Film Le quattro giornate di Napoli.R wie RestanzaRestanza ist nicht Resistenza. Vielmehr verweist das Kunstwort auf das Beharrungsvermögen jener meist süditalienischen Bevölkerung, die unter schwierigen Umständen das eigene kulturelle Nahumfeld nicht aufgibt. Biere und Festivals firmieren unter diesem Namen, sie sollen den Rhythmus des sozialen Lebens und darüber das Zusammengehörigkeitsgefühl im von Abwanderung und Depression geprägten südlichen Apennin stärken. Und sie sollen den Fremden einbinden, als den, der heute kommt und morgen bleibt – oft gegen den Willen der Politik. Diese heutige Art von Widerstand sei „ein Antidot gegen Rassismus und Arbeit am Gemeinsinn“ (Mimmo Lucano, ehemaliger Bürgermeister im kalabrischen Riace). Schließlich waren bei der historischen Resistenza mehr als 50 Nationen beteiligt, darunter Somalier und Eritreer.V wie Virtù, le piccoleNatalia Ginzburg (1916 – 1991) war die Ehefrau des von den Nazis in Rom zu Tode geprügelten ukrainisch-italienischen Widerstandskämpfers (und Einaudi-Verlagsmitgründers) Leone Ginzburg und die Mutter des Historikers Carlo Ginzburg. Sie schrieb zahlreiche autobiografisch inspirierte Romane, wie Lessico famigliare – Familienlexikon von 1963. Ihr bestes Buch aber ist eine kleine Sammlung von Betrachtungen und Erzählungen, Le piccole virtù (1962) – Die kleinen Tugenden. Darin heißt es: „Unsere Kinder sollte man, wie ich meine, nicht die kleinen Tugenden lehren, sondern die großen. Nicht Sparsamkeit, sondern Großzügigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Geld; nicht Vorsicht, sondern Mut und die Verachtung der Gefahr (→ Lächeln); nicht Schläue, sondern Offenheit und Liebe zur Wahrheit …“ Es sind eben nicht die kleinen Tugenden, auf denen die großen aufbauen, sondern es sind die großen, in deren Schatten die kleinen gedeihen können. Vielleicht eine der wichtigsten Lektionen der Resistenza für die italienische Zivilgesellschaft, gerade heute.Z wie Zweig, der goldeneAm Nemi-See in der Nähe Roms soll einst ein entlaufener Sklave geherrscht haben. Alljährlich durfte er im Kampf durch einen anderen geflohenen Sklaven herausgefordert werden, nachdem dieser einen Zweig als Erkennungszeichen abgebrochen hatte. Die Legende inspirierte James G. Frazer zu seinem Werk Der goldene Zweig (1890), in dem er den Ursprüngen von Herrschaft auf den Grund ging. Sein italienischer Übersetzer war ein junger Mann, in Amerika ausgebildet, monarchistisch gesinnt und ein ambitionierter Flieger. Anders als der Mussolini-Apologet Gabriele D’Annunzio, der die Überlegenheit des Herrenmenschen durch seine Landung (und Landnahme) auf Istrien manifestieren wollte, warf Lauro De Bosis über Italien antifaschistische Handzettel ab. Von seinem letzten Flug am Morgen des 3. Oktober 1931 kehrte der junge Mythomane nicht zurück.