Sie tun es immer wieder. Für die italienischen Rechten gehören Provokationen gegen den Antifaschismus zur politischen Identität. In zeitlicher Nähe zum Nationalfeiertag am 25. April, wenn die Befreiung (Liberazione) vom Faschismus gefeiert wird, ist ihnen besondere mediale Aufmerksamkeit garantiert. 2019 war es Innenminister Matteo Salvini von der Lega, der sich über das „Derby“ zwischen Linken und Rechten lustig machte, an dem er sich nicht beteiligen werde; wer wolle, solle am 25. April auf die Straße gehen: mit einem roten, schwarzen oder grünen Halstuch.
In diesem Jahr hat die seit Oktober regierende Rechte die Jahrzehnte andauernde geschichtspolitische Kontroverse noch einmal eskaliert. Den Anfang machte Ende März Premierministerin Gi
isterin Giorgia Meloni. Von Brüssel aus meldete sie sich mit einer Botschaft zu einem anderen Jahrestag: dem des Massakers der deutschen Besatzungstruppen am 24. März 1944 in den Ardeatinischen Höhlen im Süden von Rom. Angeordnet wurde der Massenmord vom Generalfeldmarschall Albert Kesselring, die Exekutionen übernahmen Sicherheitspolizei (SiPo) und Sicherheitsdienst (SD). 335 Menschen starben – als „Vergeltung“ für eine Partisanenaktion am Vortag in der Via Rasella in Rom. „335 unschuldige Italiener ermordet, nur weil sie Italiener waren“, schrieb Meloni jetzt.Eine skandalöse Geschichtsfälschung. Es waren nicht nur auch neun Ausländer unter den Opfern, vor allem wurden gezielt Juden und Antifaschisten zur Erschießung ausgesucht. Etwa 50 Namen standen auf einer Liste, die Guido Buffarini, Innenminister in Mussolinis damaliger Sozialrepublik von Salò, der deutschen Besatzungsmacht übergeben hatte. Melonis Darstellung stimmt also auch in diesem Punkt nicht: Am 24. März 1944 waren die Täter Deutsche und Italiener ihre Komplizen. Anderswo in Italien mordeten Nazis und Faschisten zwischen September 1943 und April 1945 gemeinsam. Meloni weiß das natürlich. Da sie und ihre Partei, die „Brüder Italiens“ (Fratelli d’Italia/FdI), sich zumindest auf Teile des faschistischen Erbes berufen, muss sie diese historische Wahrheit verschweigen. Entsprechend groß war die Empörung. Gleichwohl folgte gerade einmal eine Woche nach Melonis Märchenstunde die nächste Geschichtsrevision, diesmal vorgetragen von ihrem Parteifreund und langjährigem Mentor, dem amtierenden Senatspräsidenten Ignazio La Russa.Wieder ging es um die Vorgänge im März 1944, genauer: den Bombenanschlag der kommunistischen Partisanen der GAP (Gruppi d’Azione Patriottica) auf das Polizeiregiment Bozen am 23. März in der Via Rasella in Rom, bei der 33 Besatzungssoldaten und zwei italienische Zivilisten starben. Im Podcast der rechten Tageszeitung Libero sagte La Russa: „Ich möchte daran erinnern, dass das Attentat in der Via Rasella nicht zu den ruhmreichsten Seiten der Resistenza gehört: Sie haben eine Musikkapelle von Südtiroler Halbrentnern umgebracht, keine Nazis der SS, und kannten sehr gut das Risiko einer Vergeltungsmaßnahme, dem sie die römischen Bürger, ob Antifaschisten oder nicht, aussetzten.“Kalkulierte Täter-Opfer-UmkehrDaran stimmt wenig. Die angeblichen Rentner hatten ein Durchschnittsalter von 35, der jüngste war 26. Und die Musikanten waren „bis an die Zähne bewaffnet“, stellte Gianfranco Pagliarulo richtig, Präsident der Partisanenvereinigung ANPI. Das in Rom angegriffene dritte Bataillon des Polizeiregiments sei auf dem Weg in den Kampf gegen die Alliierten und die Partisanen gewesen, erinnerte er und hob hervor: „Der von den angloamerikanischen Kommandos öffentlich gelobte Angriff in der Via Rasella war die wichtigste Kriegshandlung in einer europäischen Hauptstadt.“ Bleibt die Frage der vorhersehbaren deutschen „Vergeltung“, der sich Partisanen auch anderswo stellen mussten. Ihnen eine Mitschuld am Tode Unschuldiger anzulasten, ist Teil einer kalkulierten Täter-Opfer-Umkehr. Aber genau darum geht es Meloni, La Russa und ihren Gesinnungsgenossen: Täter sind die anderen, die Italiener beklagenswerte Opfer.Auf Proteste und Rücktrittsforderungen antwortete La Russa, der als Senatspräsident das zweithöchste Staatsamt innehat, mit einem halbherzigen Rückzug. Das mit den musizierenden Rentnern habe er irgendwo gelesen, aber natürlich niemanden beleidigen wollen. Damit, fand Meloni, sei die Angelegenheit erledigt. Italienische Antifaschisten und die gesamte parlamentarische Opposition sehen das anders und fordern La Russas Rücktritt.Dazu wird es nicht kommen, solange Meloni ihm die Treue hält. Wie wichtig er für sie selbst und ihre Partei ist, lässt sich in ihrem 2021 veröffentlichten Bekenntnisbuch und Bestseller Io sono Giorgia nachlesen. „Ohne ihn und seine Erfahrung hätten wir es nicht geschafft“, schreibt sie dort: Nur dank La Russas Hilfe gelang im Dezember 2012 die Gründung der Fratelli d’Italia – „einer neuen Partei mit alter Tradition“, die mindestens bis Ende 1946 zurückreicht. Seinerzeit konstituierte sich die neofaschistische Partei, der Movimento Sociale Italiano (MSI); der Name nimmt Bezug auf die Repubblica Sociale Italiana (RSI) am Gardasee, Mussolinis Marionettenregime von deutschen Gnaden. Für Meloni ist das kein Problem, denn der MSI habe dazu beigetragen, „Millionen von im Krieg besiegten Italienern zur Demokratie zu führen“.Das sagte sie Ende Dezember 2022 anlässlich des 76. Jahrestages der MSI-Gründung. La Russa äußerte sich seinerzeit ähnlich. Sein Anliegen, das beteuerte er zuletzt Ende März, sei die nationale Versöhnung. So habe er als Verteidigungsminister bei einer offiziellen Zeremonie in Mailand Blumen auf die Gräber von Partisanen gelegt, „und zwar von allen, auch den roten, die bekanntlich kein freies und demokratisches Italien wollten, weil sie dem Mythos des kommunistischen Russlands anhingen“. Anders gesagt: Sie wollten den Stalinismus einführen, während die rechten Patrioten erfolgreich demokratische Prozesse vorantrieben. Solche dreisten Lügen gehören seit jeher zum Repertoire des italienischen Neofaschismus. Neu ist, dass die Geschichtsrevisionisten die Regierung stellen. Der diesjährige 25. April bietet Gelegenheit, ihnen entgegenzutreten. Die antifaschistische Mobilisierung läuft.