Schwerkraft der Ökonomie

Bolivien Der Sturz von Evo Morales zeigt, woran Linksregierungen scheitern können
Ausgabe 46/2019
Boliviens Ex-Staatschef Evo Morales flüchtet nach Mexiko und hinterlässt ein Land in Scherben
Boliviens Ex-Staatschef Evo Morales flüchtet nach Mexiko und hinterlässt ein Land in Scherben

Foto: Ronaldo Schemidt/AFP/Getty Images

Zuletzt gab es gute Gründe, sich von den Linksregierungen in Lateinamerika abzuwenden. In Brasilien stützte sich Lulas PT auf ein Bündnis mit dem Baukonzern Odebrecht, der als Gegenleistung für Staatsaufträge die Regierungskoalition schmierte. Das seit jeher von Korruption gebeutelte Venezuela verkam zu einem Land, in dem man jederzeit verhaftet werden kann, weil sich Polizisten mit Erpressungsgeldern finanzieren. Und in Bolivien hat Präsident Morales nicht nur die Verfassung übergangen, um noch einmal gewählt zu werden, sondern auch kritische Indigenen-Verbände gewaltsam ausschalten lassen. Von einer „anderen Politik“ konnte keine Rede mehr sein: Die Linksregierungen fuhren die Sozialprogramme zurück, bauten Beziehungen zu den Unternehmerverbänden aus und veränderten strukturell kaum noch etwas.

Doch dieses wenige war offenbar immer noch viel zu viel. In Brasilien mündeten die Ermittlungen gegen die PT in einen Staatsstreich gegen die an der Korruption gar nicht beteiligte Präsidentin Rousseff und führten zur Machtübernahme des Rechtsextremen Jair Bolsonaro. In Venezuela kämpft die Guaidó-Opposition ebenfalls nicht für mehr Demokratie, sondern für eine Rückkehr der alten Eliten. Und was in Bolivien gespielt wird, zeigt ein Blick auf die Proteste: In einem Land, in dem die Indigenen zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, sind die Demonstranten auffallend weiß. Die wohlhabenden Bolivianer haben zwar auch unter Evo Morales gut verdient, doch dass ein ungebildeter „Indio“ das Sagen hat, ist für diese Leute untragbar.

Da ist es schwierig, eine konsequente Haltung einzunehmen. Auf der einen Seite darf man nicht verschweigen, dass sich unter Linksregierungen neue Eliten gebildet haben und Personenkult die Debatten erstickte. Und wo die Linke nicht gestürzt ist, droht ein Zustand wie in Nicaragua, wo Präsident Ortega autoritäre Klientelpolitik mit linkem Anstrich betreibt. Doch wahr ist eben auch, dass die Alternative häufig auf nichts anderes hinausläuft als auf die Herrschaft einer faschistoiden Oligarchie.

Manches hätten die Linksregierungen sicher anders machen können, doch vieles hat auch strukturelle Gründe. Hätte sich Brasiliens PT nicht dem Baukonzern Odebrecht angenähert, hätte die MAS in Bolivien kein System der (finanziell an sie gebundenen) Claqueure aufgebaut, wären die Regierungen vermutlich noch früher gefallen. Wer einen Staat im globalen Süden kontrollieren will, braucht entsprechende Netzwerke: Polizisten wollen geschmiert werden, Großagrarier im großen Stil Soja oder Drogen exportieren, Militärs Rüstungsgüter kaufen und dafür „Honorare“ der Konzerne aus dem Norden kassieren.

Dass die Lage so hoffnungslos erscheint, liegt nicht an der „mangelnden politischen Kultur“ der betroffenen Länder, sondern an den Gesetzen des neoliberalen Weltmarkts. Für lateinamerikanische Staaten gibt es jenseits der Rohstoffplünderung keine echte Perspektive. Dort aber, wo wenig Wertschöpfung stattfindet und der Kuchen klein ist, verwandelt sich der Staat in eine Arena der Verteilungskämpfe. Die Linksregierungen haben versucht, die Rohstoffeinnahmen etwas ausgewogener zu verteilen. Doch seit die Nachfrage auf den Weltmärkten stockt, ist es damit vorbei. Das neoliberale Modell, das jetzt mit aller Macht zurückkehrt, wird die soziale Krise weiter vertiefen. Die Unruhen in Lateinamerika sind nicht nur, aber auch die Kehrseite einer ökonomischen Globalisierung, die Länder in Besitz nimmt, aber deren Bevölkerung nicht braucht.

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