Was haben Riesenborstenwürmer oder auch einfach nur Goldfische mit Queerness zu tun? Sind die Meere queere Lebensräume? Auf den ersten Blick wohl kaum, wäre da nicht die US-amerikanische Wissenschaftsjournalist*in Sabrina Imbler, die uns eines Besseren belehrt. Dabei beschert uns ihr Interesse an der bizarren Welt der Tiefsee mehr als nur einen Blick auf spektakuläre Lebensweisen. Imbler geht es nicht darum, uns in unserer Distanzierung zu bestärken. Im Gegenteil. Die Autor*in besitzt eine Begabung, das Fremd- und Anderssein in seinen Existenzformen unserem eigenen Leben merkwürdig nahe erscheinen zu lassen. Als wiederholten sich bestimmte Verhaltensweisen, als ließen sie sich buchstäblich synchronisieren. Plötzlich hat das Verhalten eines Oktop
topusweibchens etwas mit dem von Imblers Mutter zu tun, fügt sich nahtlos und plausibel in die Naturerzählung ein.Doch was geschieht da genau? Klar, alles Leben hat eine gemeinsame Wurzel, wie uns die Evolutionsbiologie erklärt. Der Mensch ist auch nur ein Tier, obschon ein sprachbegabtes. Was ihn über sich und die Welt reflektieren lässt und was ihn wiederum vom Rest der Tierwelt unterscheidet. Indem Imbler davon Gebrauch macht, entsteht ein Wahrnehmungshorizont, der das Gemeinsame im scheinbar Disparaten aufscheinen und Grenzen zu gleitenden Übergängen werden lässt. Das hat übrigens überhaupt nichts mit unserer Neigung zu tun, die Natur zu vermenschlichen. Imblers Geschichten funktionieren völlig anders.In dem Kapitel Meine Mutter und der verhungernde Oktopus geht es um eine Oktopusart, für die eine Brutdauer von viereinhalb Jahren typisch ist. Genau diese lange Zeit liegt eine Oktopusmutter schützend auf den Eiern und verfällt dabei nach und nach – da sie fortan keine Nahrung mehr aufnimmt – in eine uns unbegreifliche Selbstaufopferung. Imbler bringt das zu der Frage, wie nehmen wir unsere Körper wahr, was verlangen wir ihm ab? „Während meine Mutter damit aufgewachsen ist, weiß sein zu wollen, bin ich mit dem Wunsch aufgewachsen, dünn zu sein!“ Imbler wird klar, der Wunsch der Mutter war „gewissermaßen ein Liebesbeweis“ gewesen. Damit alles leichter werde im Leben. Auch das Heterosein gehöre zu dieser vermeintlichen Leichtigkeit. Doch am Ende lautet die Lehre: Man kann seinen Körper sehr wohl begehren, wie er ist – gerade als queerer Körper. Irgendwann sollten es in Imblers Leben eine flache Brust und schmale Hüften sein, was den alten Körperhass auf andere Weise wiederbelebte. „Ich werde wohl immer mit meinem Körper darüber verhandeln müssen, was er will und was ich von ihm will.“Erkenntnis garantiertEin anderes Kapitel heißt Meine Großmutter und der Stör. Durch den Bau von Staudämmen hat der Mensch den Lebenszyklus des Störs unterbrochen und unüberwindliche Hindernisse auf dessen Laichzügen geschaffen. Imbler beschreibt das ganze Elend der Fische und kommt so zum Elend des Menschen. Die chinesischen Großeltern mütterlicherseits flüchteten einst vor den Japanern. Die Flucht sollte einen Monat dauern, daraus wurden schließlich sechs Monate. Es gab Phasen des Hungers und der Hoffnungslosigkeit. Am Ende erreichte die Familie ihr Ziel. Der frei lebende chinesische Stör indes wird aussterben, für ihn bleiben die Hindernisse unüberwindlich.Viele von Imblers Erzählungen haben mit dem Queersein zu tun – es geht um sexuelle Erfahrungen, um gefährliche Orte, um Hybride und deren Exotisierung, sie handeln vom Sich-Verwandeln wie Sepien oder der Fähigkeit von Quallen, sich aus sich selbst wiedererstehen zu lassen. Die Verblüffung überwiegt beim Lesen, wenn Imbler die unterschiedlichen Welten wie selbstverständlich zusammenbringt mit garantiertem Erkenntnisgewinn in Sachen Tiefseewelt und Queerness – denn das eine lässt uns vom anderen lernen.Placeholder infobox-1