Vergewaltigung und Verstümmelung von Frauen war Auftrag der Hamas-Terroristen
7. Oktober Keine Einzelfälle, sondern ein Kriegszug gegen Frauenkörper: In detaillierter Recherche sammelt eine Kommission in Israel Informationen über sexualisierte Gewalt am 7. Oktober. Es zeichnet sich ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ab
Die Gewalt der Terrororganisation Hamas richtete sich gezielt gegen Frauen
Foto: Leon Neal/Getty Images
Es waren nicht die vielen grausamen Videos, die die Hamas verbreitete. Ebensowenig waren es die Bilder von Frauen, deren Körper dermaßen zugerichtet waren, dass kein Zweifel an den schrecklichen Dingen bleiben konnte, die ihnen vor ihrer Ermordung angetan wurden. Es waren nicht einmal die schrecklichen Augenzeugenberichte der Freiwilligen der Such- und Rettungsorganisation Zaka und der Menschen im Zentrum zur Identifizierung von Opfern in der israelischen Militärbasis Shura. Was Cochav Elkayam-Levy diese Woche zusammenbrechen ließ, war ein kurzes Telefongespräch mit Michal Herzog, der Frau des israelischen Präsidenten.
„Weil es ist, als ob deine Mutter anruft und einfach fragt, wie es dir geht.“ Die Stimme der Wissenschaftlerin und Aktivistin Elkaya
tin Elkayam-Levy erstickte, sobald sie aufgelegt hatte. „Ich hatte mich schon daran gewöhnt, von dem zu sprechen, was schwieriger zu erzählen ist als alles andere. Die Leute fragen mich, was ich weiß. Sie fragen nach Details. Sie fragen nach Zahlen. Und plötzlich ruft jemand wie sie an und fragt: ,Wie geht es Ihnen?‘ Wie es mir geht? Es geht mir schrecklich. Aber um meine Geschichte geht es hier nicht.“Elkayam-Levy lehrt am Fachbereich für Internationale Beziehungen an der Hebrew University. Das Interesse an ihr persönlich will sie klein halten. Dabei spielte sie in den vergangenen Wochen eine Hauptrolle dabei, die Aufmerksamkeit auf besonders albtraumhafte Kapitel des Albtraums vom 7. Oktober zu lenken. Die von ihr gegründete Zivile Kommission für Verbrechen der Hamas gegen Frauen und Kinder am 7. Oktober wirft ein Schlaglicht auf die Vergewaltigungen und anderen Sexualverbrechen, die von den Terroristen unter der „Flagge“ des Angriffs auf den Süden Israels begangen wurden.In den vergangenen Wochen sammelten die Frauen der Nichtregierungskommission unermüdlich Zeugenaussagen und Dokumentationsmaterial über den Tag des Massakers, um eine Datenbank über Verbrechen gegen Frauen und Kinder zu erstellen. Sie fügen einen Bericht nach dem anderen, ein Beweisstück nach dem anderen zusammen und setzen nach und nach die vielen Puzzleteile zusammen. Die Zusammenstellung der Beweise ergibt ein erschreckendes Bild: Während des Massakers verübte die Hamas bei ihrem Angriff in vielen der an den Gazastreifen angrenzenden Gemeinschaften eine Spur der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs.Elkayam-Levy ist Rechtsanwältin und Wissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Internationales Recht, Gender und Menschenrechte. Sie sagt: „Ich hätte niemals vermutet, dass meine Arbeit an internationalem Recht und feministischer Theorie sich auf eine solch schockierende Weise kreuzen würden.“Vergewaltigung auf Bildern, Videos, AudiodateienRund eine Woche nach der Katastrophe, als sich die Umrisse des Schreckens bereits abzeichneten, gründete Elkayam-Levy eine Task Force, die sie „Gender Crimes War Room“ nannte – „Gender-Verbrechen Kriegsraum“. Damals dachte sie noch, das sei „eine Aufgabe für eine Woche, konkret und fokussiert, mit dem Ziel, alle Informationen, die wir über Gewalt gegen Frauen haben, geordnet darzustellen“.In den folgenden Tagen wurde ihr das Ausmaß klarer. Sie erkannte, dass sich das von ihr gegründete spontane Team zu einer organisierten Einrichtung mit ständiger Präsenz vor Ort umbilden musste. So entstand die Zivile Kommission. Elkayam-Levy versammelte ein ausgewähltes Team von 15 Juristinnen, Aktivistinnen, Kriminologinnen und Forscherinnen aus verschiedenen Bereichen – alles Frauen, alles Freiwillige. Ihre wichtigste Partnerin ist die Jura-Professorin Yifat Bitton, Präsidentin des Achva Academic College, die den Austausch der Kommission mit Mitarbeitern der israelischen Polizei und der Staatsanwaltschaft leitet, mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit auf die Merkmale geschlechtsspezifischer Gewalt zu lenken.Die Kommission arbeitet mit der Polizei zusammen, genauer mit der Einheit für internationale Verbrechen 433, die Beweise zu diesem Thema sammelt. „Wir arbeiten nach einem Protokoll, das wir aufgestellt haben“, erklärt Elkayam-Levy. „Die Art der Information, wie oft wir sie erhalten haben, von welchen Quellen und in welcher Sprache. So gleichen wir Beweise, Geschichten und Orte miteinander ab.“Kurzfristig könnte das von der Kommission gesammelte Material den Opfern und ihren Familien bei Ermittlungen und rechtlichen Fragen helfen. Langfristig soll an der Ben-Gurion-Universität der Region Negev ein Archiv zu diesem Thema entstehen. Wegen der Sensibilität des Materials wird es für den Zugang zu dem Archiv strenge Kriterien geben.„Wir sammeln Materialien aller Art: Bilder, Audiodateien, Videos, Zeugenaussagen und Zeitungsberichte“, erklärt Doktor Sarai Aharoni, Leiterin des Gender Studies Programms an der Ben-Gurion-Universität, die dem Dokumentationsteam der Kommission vorsteht. „Ziel ist es, eine Faktenbasis zu schaffen, und die Umstände an den Orten, an denen sich bestimmte Straftaten ereignet haben, besser zu verstehen.“Welche Anweisungen gaben Hamas-Terroristen zu sexualisierter Gewalt?Manchmal habe das Sammeln des Materials etwas von Detektivarbeit. „Neulich war ich zum Beispiel in der Knesset, und während der Anhörung des Ausschusses für Frauen und Gleichstellung zum 7. Oktober übergab mir eine Frau einen Zettel mit sehr konkreten Informationen zu einem der Fälle, die wir untersuchen“, erzählt sie. „Einige der Informationen ergeben sich auch aus unserem Dialog mit den Medien. Einem der Journalisten, der anrief, um sich nach einem bestimmten Vorfall zu erkundigen, gelang es, das Bild zu diesem speziellen Fall zu vervollständigen“.Bisher hat die Kommission selbst keine direkten Zeugenbefragungen durchgeführt, will aber bald damit beginnen. „Wir haben abgewartet, bis die relevanten Zeugen offiziell bei der Polizei ausgesagt haben, um sie dann selbst ausführlich zu befragen“, erläutert Aharoni. Besondere Aufmerksamkeit wird der Inhaltsanalyse von Videos und Texten in arabischer Sprache gewidmet. Es geht darum, die Anweisungen zu ermitteln, die die Hamas-Terroristen zur Durchführung von Sexualverbrechen erhalten haben.Während der wochenlangen Materialsammlung häuften sich die Beweise für Vergewaltigungen und brutale Übergriffe. Als Elkayam-Levy im Oktober eingeladen war, auf einem von verschiedenen jüdischen Studentengruppen an der Harvard-Universität organisierten Podium zu sprechen, hielt sie die Zeit für gekommen, der Welt einige der Beweise zu präsentieren.Acht Minuten erschütternde Berichte über VergewaltigungenSie warnte zunächst vor den schlimmen Vorkommnissen, die sie beschreiben würde, holte tief Luft und begann dann mit der erschreckenden Bestandsaufnahme. Sie zählte eine lange Liste von Beweisen für Vergewaltigungen auf, darunter Gruppenvergewaltigungen, Entstellungen und andere Misshandlungen. Sie beschrieb eine Reihe von Videos, die von der Hamas verbreitet wurden und auf denen nackte Frauen zu sehen sind, deren Körper so deutlich auf Gewaltverbrechen verweisen, dass wenig Raum für Zweifel bleibt. In einem Fall wurde ein Opfer unbekleidet und bewusstlos nach Gaza gebracht und vor einer jubelnden Menge zur Schau gestellt. Die Juristin verlas auch erschütternde Berichte über Vergewaltigungen durch Augenzeugen.Neben Videos und Bildern stützte Elkayam-Levy ihre Berichte auf von der Polizei gesammelte Zeugenaussagen, an den Tatorten gesammelte forensische Beweise, Informationen von Sanitätern und Freiwilligen, Berichte des gerichtsmedizinischen Instituts und Aussagen von Hamas-Terroristen, die von den israelischen Sicherheitsbehörden gefangen genommen und verhört wurden.Nach acht Minuten erschütterndem Monolog bat Elkayam-Levy darum, aufhören zu dürfen. „Nie im Leben hätte ich mir vorgestellt, dass ich Kollegen gegenübertrete, um über geschlechtsspezifische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen israelische Frauen und Kinder in solch einem Ausmaß zu sprechen“, erklärt die Juristin, „und wir gehen davon aus, dass in der Zukunft noch viele weitere Fälle zu Tage kommen.“ Über die Arbeit der Kommission sagt sie: „Wir fügten eine Zeugenaussage an die andere. Plötzlich das ganze Bild zu sehen, wie systematisch es war, das Ausmaß der Gewalt – das war ein Schlag in die Magengrube.“Wurden in der gesamten von der Hamas angegriffenen Region Sexualverbrechen verübt?„Ja. Die Folter von Frauen wurde zur Waffe gemacht, bei der Zerstörung der Dörfer, um allgemeinen Schrecken zu verbreiten und den Kampfgeist der Israelis zu brechen.“Zu diesem Schluss kommt Cochav Elkayam-Levy durch die Aussagen der verhafteten Hamas-Terroristen, die bezeugten, dass Vergewaltigung ein Teil ihres Auftrags war. Der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet veröffentlichte Aufzeichnungen von mindestens zwei Verhören mit Terroristen, die gefragt wurden, ob sie konkrete Befehle zum Misshandeln von Frauen und Kindern erhalten hätten. In Bezug auf die Sexualverbrechen sagte einer von ihnen, das Ziel sei gewesen, „sie zu beschmutzen, sie zu vergewaltigen“. Ein zweiter Terrorist wird zitiert: „Der Kommandeur sagte: Ihr müsst ihnen auf die Köpfe treten. Schlagt ihnen die Köpfe ab. Tut ihnen alles an.“ Die Tageszeitung Yedioth Ahronoth verweist auf eine Militärquelle, in der es heißt: „die Terroristen sagten, das Ziel des Abschneidens von Köpfen und der Vergewaltigung sei es, Angst und Schrecken in der israelischen Öffentlichkeit zu verbreiten“.Zudem berichtete der israelische Präsident Isaac Herzog in einem Interview mit CNN von einem Pamphlet, das bei der Leiche eines Terroristen gefunden wurde und eine detaillierte Checkliste für die Entführung von Geiseln enthält. „Es ist eine Anleitung: Wie man in die Innenhöfe der Leute geht, in ein Kibbuz, eine Stadt, einen Moschaw; wie man einbricht. Und was soll man als Erstes machen, wenn man die Bewohner findet? Sie foltern. Das steht in der Anleitung. Sie erklärt genau, wie sie gefoltert werden, wie sie entführt, wie sie gekidnappt werden sollen.“„Die Frauenorganisationen der UN erweisen sich als antisemitisch“Die Zivile Kommission will unter anderem erreichen, dass auf internationaler Ebene anerkannt wird, dass die von der Hamas an Frauen und Kindern begangenen Taten unter die Definition von Verbrechen gegen die Menschlichkeit fallen. Um dies zu erreichen, hoffte sie, die mit den Vereinten Nationen verbundenen Frauenorganisationen aus ihrem Winterschlaf zu wecken. Aber die Ergebnisse waren enttäuschend. Enttäuscht ist die Kommission insbesondere vom UN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und UN Women. „Diese Organisationen haben eine wichtige Erklärungsfunktion“, erläutert Elkayam-Levy. „Sie sollen die erste Anlaufstelle sein, die Informationen über Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Kindern weitergibt.“Diese Organisationen reagierten jedoch nur langsam auf die Ereignisse in der westlichen Negev-Wüste. Die Erklärungen, die sie schließlich veröffentlichten, sind für Elkayam-Levy frustrierend. „Es werden alle möglichen vagen Erklärungen abgegeben, die beide Seiten zur ,Zurückhaltung‘ auffordern und den 7. Oktober einfach aus dem Zeitstrahl verschwinden lassen. Ein Paralleluniversum. Der schreckliche Verrat, den wir empfanden, hat sich zu dem Gefühl entwickelt, dass wir nun Opfer einer wilden, gegen uns gerichteten Hetze sind. Bereits zu Beginn des Krieges starteten diese Organisationen Kampagnen wegen eines Völkermords, den Israel in Gaza verübe. Es ist mir sehr unangenehm, das zu sagen, aber diese Organisationen haben sich als antisemitische Institutionen erwiesen.“Placeholder image-4„In dem Moment, in dem diese Organisationen schweigen oder nicht die Wahrheit berichten, haben wir ein Problem“, fährt sie fort. „Es ist nicht hinnehmbar, dass Experten, die auf die Not von Frauen überall auf der Welt reagieren sollen, sich politischen Erwägungen unterordnen und nicht berichten, was bei einer Katastrophe dieses Ausmaßes passiert ist. Es ist unverständlich, dass UN-Organisationen, die für die Förderung und den Schutz von Frauenrechten zuständig sind, die israelischen Frauen ignorieren, die als Geiseln genommen oder von der Hamas ermordet und vergewaltigt wurden.“Das Völkerrecht spricht nicht die Sprache des EinzelfallsNach Ansicht von Elkayam-Levy werden hier die gleichen Verleugnungsmechanismen wiederholt, die in Einzelfällen von Vergewaltigungen häufig zu beobachten sind. „Wenn eine Frau vergewaltigt wird, dreht sich der Diskurs sofort um Fragen der Beweisführung. Gibt es Beweise für eine Vergewaltigung oder gibt es sie nicht? Die Frau wird angezweifelt, ihre Zuverlässigkeit in Frage gestellt, und es wird ein Fragezeichen gesetzt: Ist es wirklich passiert oder nicht? Dieses Anzweifeln richtet sich nun auf kollektiver Ebene gegen uns“, erklärt die Aktivistin. „Es werden Fragen gestellt wie: Gibt es Samenspuren oder nicht? Wurde ein Vergewaltigungsnachweis vorgelegt oder nicht? Die Juristinnen mit internationalem Renommee, die diese Diskussion führen, haben offenbar kein Grundverständnis für das Völkerrecht. Das Völkerrecht spricht nicht die Sprache des Einzelfalls. Ich appelliere an sie, über diese Leugnungsmechanismen hinauszublicken. Sie stehen vor einem Haufen angesehener Frauen und erzählen ihnen, dass hier schockierende Verbrechen begangen wurden. Bin ich diejenige, die den Beweis für die Taten der Terroristen erbringen muss? Was für ein Hohn ist es, dass sie mir die Beweislast aufbürden?“„Im Fall des 7. Oktobers werden wir niemals das ganze Ausmaß des Schadens kennen“, fährt Elkayam-Levy fort. „Wir wissen, dass die große Mehrheit der Opfer auch ermordet wurde. Wenn es Überlebende gibt, kann es Jahrzehnte dauern, bis sie den Mut aufbringen, darüber zu sprechen. In den wenigen Fällen, in denen jemand Zeuge ihres Leidens war, nehme ich an, dass auch dann Fragen dazu auftauchen, was er oder sie genau gesehen hat und wie verlässlich er oder sie als Zeuge ist. Ich habe nicht vor, mich an diesem Spiel zu beteiligen.“Dennoch sammelt ihre Gruppe Beweise.„Das stimmt. Aber nicht, weil wir Einzelfälle betrachten und uns damit beschäftigen, ob sie dem Mindestmaß für eine Straftat entsprechen oder nicht. Allein die Tatsache, dass diese Diskussion stattfindet, macht mich wahnsinnig. Die Frage, mit der wir uns befassen wollen, ist nicht, ob etwas passiert ist. Uns geht es darum, welche Art von Verbrechen begangen wurden, um die systematische Art und Weise, auf die sie begangen wurden und um die Befehle, sie zu begehen. Die Frage der Beweise, die die Polizei gesammelt oder nicht gesammelt hat, ist komplett zweitrangig. Es geht überhaupt nicht um die Frage, ob es hier Gräueltaten gegeben hat oder nicht. Es ist klar, dass jedes internationale Gremium, das Untersuchungen anstellt, haufenweise Material finden wird, das dies belegt. Das Ziel ist, der Menschheit das Ausmaß des Leids zu vermitteln. Die kritische Masse ist der Kern der Sache, nicht der eine oder andere Aspekt eines Einzelfalles.“Andererseits, wenn die andere Seite einen bestimmten, extremen Fall herauspickt und es ihr gelingt, ihn zu widerlegen, kann ihr das dazu dienen, die große Narrative zu unterhöhlen und Risse im Gesamtbild zu verursachen. Vielleicht führt allein schon die Tatsache, sich mit einem Einzelfall zu beschäftigen, in eine Falle.„Diese Gefahr besteht immer. Deshalb veröffentlichen wir zum Beispiel keine E-Mail-Adresse, weil wir befürchten, man könnte versuchen, uns falsche Informationen unterzuschieben, um unsere Glaubwürdigkeit zu untergraben. Erst neulich behauptete jemand, ein bestimmtes Detail, das ich weitergegeben hatte, sei falsch. Wenn ich darlege, was ich weiß, dann gebe ich die zuverlässigsten Informationen wieder, die ich zu diesem Zeitpunkt habe. Möglicherweise wird sich im Laufe der Zeit einiges von dem, was wir zu wissen glauben, als falsch herausstellen. Aber ich bin davon überzeugt, dass auch das Gegenteil passieren wird – ein Informationsfetzen, von dem wir nichts wissen, wird Dimensionen annehmen, die wir uns im Moment nicht vorstellen können. Daher halten wir es für wichtig, diese kleinen Informationsfragmente zu dokumentieren. Wir sind keine Ermittlungs- oder Strafverfolgungsbehörde. Unsere Aufgabe ist die von Historikern.“Und öffentliche Diplomatie – auf Hebräisch: hasbara?„Nein, ich bürde mir nicht die Aufgabe der israelischen Hasbara auf. Es stimmt, dass ausländische Korrespondenten uns seit der ersten Woche anrufen und um Informationen bitten. Ich antworte in den Fällen, in denen ich eine sofortige Antwort für wichtig halte. Aber wir sind eine zivilgesellschaftliche Organisation, keine offizielle staatliche Organisation. Wir sehen unsere Arbeit als etwas an, das über viele Jahre hinweg bekannt werden wird.“Placeholder image-3Aber Sie halten es auch für wichtig, die Medien aktuell über die Schrecken zu informieren.„Es gibt Journalist:innen, die mich kontaktieren und fragen: Ist diese bestimmte Vergewaltigung wirklich geschehen? Worüber reden wir da überhaupt? Hier geht es um die am besten dokumentierten Gräueltaten, die die Menschheit je gesehen hat. Es gibt unzählige Videos, die veröffentlicht wurden. Gehen Sie einfach in die Telegram-Gruppen der Hamas. Ihr seid Journalisten, macht eure Arbeit. Fragt mich nicht, was passiert ist und wie es passiert ist. Es ist hart genug, dass ich selbst diese Gruppen durchforsten muss, um Informationen herauszuziehen.“Sind Sie zu einer Art Vermittlungsstelle für Horrorgeschichten geworden?„Nein, das lasse ich nicht zu. Auch bei Fragen nach Zahlen kooperiere ich nicht. Sie fragen mich: Wie viele? Wie viele? Wie viele? Es gab da eine Journalistin von einem ausländischen Nachrichtensender, die hat mich wahnsinnig gemacht. ‚Reden wir von mehreren Zehnern? Hunderten? Tausenden?‘ Es tut mir leid. Nein. Es wäre unverantwortlich von mir, eine Zahl zu nennen.“Warum halten Sie eine Schätzung der Zahlen für unverantwortlich?„Erstens weil es Fälle gibt, von denen wir niemals erfahren werden, angesichts der Tatsache, dass die Opfer getötet wurden. Zweitens bin ich nicht bereit, einen Unterschied zwischen Folter, Gruppenvergewaltigung, Vergewaltigung und einem ,Sexualverbrechen‘ zu machen. Eine Frau, die hingerichtet wurde, Frauen und Mädchen, die zur Zielscheibe wurden, weil sie Mädchen waren – jede Geschichte ist eine Welt für sich und eine unvorstellbare Tragödie. Gender-Gewalt ist ein viel weiterer Begriff als sexuelle Gewalt. Es bedeutet, einer Mutter ihr Baby wegzureißen, den Körper einer Frau zu verstümmeln oder ihren Körper zu entwürdigen. Die Forderung nach einer Zahl widerspricht allem, wofür ich stehe.“Auch Sarai Aharoni, die das Dokumentationsteam der Zivilen Kommission leitet, hält jede Diskussion um Zahlen für „ungesund. Wir versuchen, die Wahrheit herauszufinden. Zeugen zu sein. Da ich mit dem Material vertraut bin, kann ich Ihnen sagen, dass viele Dinge passiert sind. Viele, sehr schwierige Dinge.“ Die Schwierigkeit, die Zahl der Opfer zu schätzen, ist auch darauf zurückzuführen, dass die israelische Armee den Hamas-Angriff als Kriegsereignis betrachtete und die Opfer nicht wie an einem Tatort behandelte. Die Richtlinien für die Leichen konzentrierten sich auf die Identifizierung, den Schutz der Würde der Leichen und die sofortige Beerdigung – und nicht auf die Sammlung von Beweisen. Das Ziel war Evakuierung, nicht Ermittlung. Die Rettungsgruppen Zaka und United Hatzalah wurden als Hilfskräfte betrachtet und nicht als direkte Zeugen der von der Hamas begangenen Verbrechen.Im Laufe der Zeit machten einige dieser Freiwilligen jedoch Aussagen bei der Polizei und berichteten, dass in einigen Fällen die Geschlechtsorgane der Opfer verstümmelt worden waren. Einem Bericht der Tageszeitung Israel Hayom zufolge, der sich auf die Aussagen von Zaka-Freiwilligen stützt, wiesen einige der männlichen Opfer auch Anzeichen sexueller Folter auf. Laut Elkayam-Levy erhielt die Kommission zudem Informationen über einige Fälle von sexueller Folter an Männern, die durch Fotos belegt sind. Die israelische Diplomatin Sarah Weiss Maudi, die als stellvertretende Vorsitzende des UN-Rechtsausschusses fungierte, sagte darüber hinaus, dass Israel den Vereinten Nationen eindeutige Beweise für Vergewaltigungen vorgelegt habe. Darunter waren Hinweise auf Gruppenvergewaltigungen und Spuren von Sperma, die in den Leichen ermordeter junger israelischer Frauen gefunden wurden.Internationale Frauenorganisationen schweigenElkayam-Levy ist sowohl mit den Personen als auch mit den Abläufen in den internationalen Frauenorganisationen bestens vertraut. Deshalb versuchte sie in den ersten Tagen nach dem Anschlag noch, deren lautes Schweigen zu erklären: die Zwänge, wegen der sie sich um einen Konsens bemühen müssen; Prozesse, in denen sie ihre Beziehungen zu israelischen Frauenorganisationen abgebrochen haben, und die Auswirkungen der Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung.„Wir haben uns mit allen uns zur Verfügung stehenden rationalen Mitteln hingesetzt und versucht, die Sache aufzuschlüsseln“, erzählt sie. „Wir haben uns wirklich das Hirn zermartert, um herauszufinden, wo sie sind und warum. Irgendwann beschloss ich, keine Ausreden mehr für sie zu finden. Sie haben uns auf unmoralische und schreckliche Weise im Stich gelassen. Von dem Moment an, als mir klar wurde, wie viel Zeit und Energie wir mit dem Versuch verschwendet hatten, sie zu überzeugen – uns einfach nur zuzuhören, uns zu glauben –, wurde mir klar, dass diese Gruppen nicht die Adresse sind, an die wir uns wenden können.“Waren sie von der anfänglichen Reaktion der Frauen-Organisationen überrascht?„Es war ein Schock. Vielleicht war ich naiv. Man muss wissen, dass sich seit den 90er Jahren die Fähigkeit stark verbessert hat, Ungerechtigkeiten, die sich gegen Frauen im Krieg richten, zu begreifen. Das hat zum Teil damit zu tun, was 1994 Frauen in Ruanda und den bosnischen Frauen während des Jugoslawienkriegs widerfuhr. Internationalen Jurist:innen ist es gelungen, die Terminologie grundlegend so zu verändern, dass Verbrechen gegen Frauen als andersgeartet erkannt werden. Aus diesem Grund ist es noch schlimmer, was gerade in Bezug auf den 7. Oktober geschieht. Ich frage mich wirklich, wie ich an die Uni gehen und internationales Recht lehren soll.“Weil es überholt ist? Weil es seine Gültigkeit verloren hat?„Weil es unrechtmäßig geworden ist. Welchen Sinn hat das Völkerrecht, wenn es sich von den universellen Werten abkoppelt? Wenn es nicht einmal Raum für einen Aufschrei über ein solches Grauen lässt, geschweige denn es anerkennt? Schließlich ist internationales Recht eine Sammlung von Verfahren, die menschliches Leid verhindern sollen. Ohne Erklärungen, die das Leiden anerkennen, liegt eine moralische Verzerrung und großes Versagen vor.“Die Kommission riss nicht nur den mit der UNO verbundenen Frauenorganisationen die Maske vom Gesicht, sondern sprach sich auch gegen Aktivistinnen und internationale Persönlichkeiten aus, deren Reaktion auf die Ereignisse vom 7. Oktober abscheulich war. Ein Beispiel ist Samantha Pearson, die Leiterin des Zentrums für sexuelle Übergriffe an der Universität von Alberta, die behauptete, es gebe keine Beweise dafür, dass Hamas-Terroristen während des Terroranschlags Frauen vergewaltigt hätten. Nach einer entschlossenen öffentlichen Aktion, an der sich Elkayam-Levy und ihre Kollegen beteiligten, kündigte der Universitätspräsident Pearsons Entlassung an.Das nächste Ziel ist die UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt am UN-Human Rights Council Reem Alsalem. Ihre Aufgabe ist es zu überwachen, ob Mitgliedstaaten die internationalen Standards für den Schutz von Frauen gegen Gewalt einhalten. „Sie schrieb mir eine E-Mail, in der sie forderte, ,Beweise‘ für unsere Anschuldigungen zu sehen“, erzählt Elkayam-Levy. „Sie ist eine Sonderberichterstatterin mit jordanisch-palästinensischem Hintergrund, die kürzlich ein Statement veröffentlichte, in dem sie den 7. Oktober als den Tag bezeichnete, an dem Israel einen Genozid startete. Das ist nicht nur Schweigen. Es ist die Vereinnahmung der Ereignisse vom 7. Oktober für palästinensisches Leiden. Aus meiner Sicht ist das ein völlig verrückter Schritt. Ich mag das Wort ,Kampagne‘ nicht besonders, aber wir haben vor, die Welt auf eine Figur aufmerksam zu machen, die – ich habe kein anderes Wort dafür – globale öffentliche Gelder missbraucht.“„Das gesamte innere Glaubenssystem wird untergraben“Elkayam-Levy koordiniert die Arbeit der Kommission von ihrem Haus in Modi'in aus. Ihr Handy klebt an ihrem Ohr, während sie zwischen Wohnzimmer und Küche hin- und hergeht und ihre Absätze auf dem Holzboden klackern. Erst kürzlich beschloss sie, die Aktivitäten der Kommission in nahegelegene Büroräume zu verlagern, die jemand der Kommission kostenlos zur Verfügung stellt. „Ich hatte das Gefühl, ich muss aus dem Haus raus“, erklärt sie, „um meine Kinder gegen diesen rauen Wind zu beschützen und die Familie etwas zur Ruhe kommen zu lassen.“Die Folgen des 7. Oktober haben ihr eigenes Wertesystem, sowohl ihr professionelles als auch ihr privates, stark auf den Kopf gestellt. „Als feministische Wissenschaftlerinnen kämpfen wir aus offensichtlichen Gründen konstant gegen die Bewaffnung von Zivilisten“, erläutert sie. „Und jetzt: Eine der ersten Dinge, die ich nach dem Angriff zu meinem Mann sagte, war, dass er eine Waffe besorgen soll, um unser Zuhause zu schützen. Das ist das Gegenteil von allem, an das ich glaube. Ich hätte nie gedacht, dass ich bei mir zuhause eine Waffe haben würde. Ich lehre genau das Gegenteil, ich agiere dagegen. Das gesamte innere Glaubenssystem wird untergraben.“Placeholder image-2Elkayam-Levy ist 39, verheiratet und hat vier Kinder. Aufgewachsen ist sie in einer religiösen Familie in der „gemischten“ Stadt Lod als mittleres Kind mit vier Geschwistern. Ihre Eltern sind Pädagogen in Rente. „Ich brauchte eine Weile, um zu erkennen, wie ungewöhnlich unsere Lebenserfahrung ist“, sagt sie. „Dass arabische Kinder in der gleichen Klasse lernten wie ich, dass unsere Nachbarn Araber waren, dass unsere Umgebung so heterogen war.“Elkayam-Levy diente in der Sprechereinheit der israelischen Armee IDF und studierte anschließend Rechts- und Politikwissenschaften an der Bar-Ilan-Universität. Später absolvierte sie ein Praktikum bei der Staatsanwaltschaft in der Abteilung, die für die Bearbeitung von Anträgen beim Obersten Gerichtshof zuständig ist. Nach der Geburt ihres ersten Kindes wechselte sie ins International Law Department. Sie befasste sich unter anderem mit Fällen und Verträgen im Zusammenhang mit Menschenhandel, Kinderrechten und Rechten von Gefangenen.„Das Department ist wie eine NRO innerhalb des Staates, die den Staat berät, wie er seinen Verpflichtungen in Sachen Menschenrechte nachkommen kann“, erklärt sie. „Ich sah, welche Macht das internationale Recht hat und wie es die Prioritäten eines Staates verändern kann.“Gender und internationales RechtNach zwei Jahren in diesem Job ging sie in die USA, um an der University of Pennsylvania ihren Jura-Master zu machen. Dort erhielt sie ein Stipendium und den Titel „Human Rights Scholar“ – Menschenrechtswissenschaftlerin, der ihr erlaubte, unentgeltliche Rechtsberatung für Einwanderer ohne Papiere anzubieten, darunter Asylbewerber und mexikanische Kinder, die über die Grenze in die Vereinigten Staaten kamen.In ihrer Forschung setzte sie den Schwerpunkt auf die Schnittpunkte von internationalem Recht und Gender. Ihre Promotion 2019, ebenfalls an der Penn, befasste sich mit dem Recht von Frauen auf Religions- und Glaubensfreiheit und der Regelung dieser Rechte unter dem Dach des internationalen Rechts. Nach fünf Jahren kehrte sie mit ihrer Familie nach Israel zurück und begann, ein Seminar über feministische Theorie im internationalen Recht an der Reichman University in Herzliya anzubieten. Im laufenden akademischen Jahr (das bisher wegen des Krieges noch nicht begonnen hat), will sie das gleiche Seminar auch an der Hebrew University anbieten. Vor drei Jahren gründete sie das Deborah Institute, das sich für den Schutz der Rechte von Frauen in Israel und die Verringerung der geschlechtsspezifischen Unterschiede bei strategischen Planungen einsetzt. Im vergangenen Jahr war sie eine führende Aktivistin in der Protestbewegung „Women Building an Alternative“ – Frauen schaffen eine Alternative.Für letztere nahm Elkayam-Levy an einem Online-Panel teil, das vom UN-Komitee gegen Diskriminierung von Frauen CEDAW organisiert wurde – an dem Tag, als bestätigt wurde, dass Shani Louk gestorben war. Die 22-jährige Louk wurde von der Hamas bei einem Open-Air-Musikfestival im Kibbuz Re’im entführt. Sie wurde von ihren jubelnden Entführern gefilmt, während sie verwundet hinten in einem Pickup-Laster Richtung Gaza gefahren wurde. „Shanis Geschichte ist kein Einzelfall“, sagte Elkayam-Levy in ihrer Rede. „Die schwache Reaktion – wenn überhaupt – seitens der internationalen Gemeinschaft bietet einen fruchtbaren Boden für die Instrumentalisierung der Körper von Frauen und Mädchen als Waffen in der Kriegsführung.“Suche nach internationaler ZusammenarbeitMit Elkayam-Levy für ein einstündiges Gespräch zusammenzusitzen, ohne Unterbrechungen, ist praktisch eine „Mission impossible“. Ständig vibriert ihr Handy und ihr Terminkalender ist übervoll. Im Laufe weniger Tage besucht sie die Residenz des Präsidenten als Teil einer jungen Führungsdelegation, die später in der Woche unter der Schirmherrschaft der Zionistischen Weltorganisation nach New York reisen wird; nimmt an einer Sitzung der Kommission über Zoom teil; trifft sich mit ausländischen Führern und Diplomaten; nimmt an einer Pressekonferenz für die ausländische Presse des Polizeipräsidenten teil und gibt Interviews für die Washington Post und andere Medien.Seit dem 7. Oktober habe sie sich an regelmäßig schlaflose Nächte gewöhnt. „Es gibt hunderte Anfragen. Alle wollen wissen, was wir herausgefunden haben. Und bei alldem muss ich mich daran erinnern, was die große Mission ist“, erzählt sie. Auf Drängen von ihr Nahestehenden begann sie in der Woche vor unserem Interview, Gespräche mit einer Psychotherapeutin. „Sie macht mit mir die Arbeit, die mir hilft, mein Wohlbefinden zu erhalten“, erklärt sie. „Sie spricht nicht mit mir darüber, was geschehen ist, sondern eher über mich. Mir ist klar geworden, dass ich Hilfe brauche, wenn ich stark bleiben will. Und dass ich auch zusammenbrechen darf.“Gibt es Momente, in denen Sie zusammenbrechen?„Vor einigen Tages sah ich einen Bericht im Fernsehen über männliche und weibliche Soldaten, die in Gaza getötet wurden. Mir liefen die Tränen herunter. Einfach aus Herzschmerz über diese jungen Gesichter, die es nicht mehr gibt. Es ist ein Schmerz, mit dem sich jeder identifizieren kann; es rührt an unser aller Herzen. Und plötzlich wurde mir klar, dass wir an diese Art von Trauer in Israel gewöhnt sind. Aber wie gehen wir mit dem Bild eines Babys um, das erschossen wurde? Von einer schwangeren Frau, die abgeschlachtet wurde? Es ist eine Trauer, die nicht zu verstehen ist.“Am Donnerstag der Vorwoche, früh am Morgen, fand sich Elkayam-Levy in einer ungewöhnlichen Situation im King David Hotel in Jerusalem wieder. Zwei europäische Ministerpräsidenten besuchten Israel, Pedro Sánchez aus Spanien und Alexander De Croo aus Belgien. Sie versammelten sich mit ihren mitreisenden Mitarbeitern im Konferenzraum des Hotels, um ein Briefing durch die Leiterin der Israelischen Zivilen Kommission zu erhalten. Elkayam-Levy entschied sich, die „Horrorrede“ – die erschütternden Beschreibungen von Verbrechen, die sie auf der Harvard-Konferenz aufgezählt hatte – beiseitezulassen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Bemühung, die ausländischen Staatsoberhäupter für eine konstruktive Zusammenarbeit zu gewinnen. Es war keine Diskussion, sondern eine Veranstaltung mit Elkayam-Levy als Hauptrednerin, während die Ministerpräsidenten zuhörten. Sánchez war hauptsächlich an ihren Ansichten zur nationalen Sicherheit und Terrorismus interessiert. De Croo wollte wissen, ob sie an Frieden glaubt, und fragte sie, ob sie auch das Leiden der Einwohner von Gaza sehe. Elkayam-Levy wies darauf hin, dass sie seit langer Zeit Friedensaktivistin ist.Placeholder image-1Am nächsten Tag hielten die beiden Regierungschefs propalästinensische Reden, die eine diplomatische Krise mit Israel auslösten. Aber das kümmerte Elkayam-Levy nicht. „Selbst wenn sie eine israelkritische Haltung zum Ausdruck brachten – sie leugneten zu keinem Zeitpunkt die Taten, die sich gegen israelische Frauen richteten, oder schwiegen.“Mehr israelische Frauen müssen in FührungspositionenNach dem einstündigen Gespräch ging es für Elkayam-Levy zu einem weiteren Treffen in dem Hotel, diesmal mit der kanadischen Botschafterin in Israel, Lisa Stadelbauer. Elkayam-Levy war schnell in ihrem Element und legte die Ziele ihrer neuen Kommission dar. Als in Gesicht und Stimme der Botschafterin Abscheu und Schock über die Verbrechen der Hamas deutlich wurden, streckte Elkayam-Levy ihr eine tröstende Hand hin.Nachdem sie einige Berichte vorgestellt hatte, die ihr Team gesammelt hat, sagte sie „Ich wusste zu viel zu früh“, und musste schlucken. „Es tut mir leid, dass Sie das alles durchmachen mussten“, antwortete Stadelbauer und fragte: „Wie kann Kanada helfen?“„Um ehrlich zu sein“, antwortete Elkayam-Levy, „Ich weiß noch nicht, wonach ich frage. Es ist ein Langstreckenlauf. Unser Schwerpunkt ist jetzt, Partnerschaften zu schaffen und möglichst viele internationale Organisationen und Staaten dazu zu bringen, den Horror anzuerkennen.“„Ich glaube Ihnen“, sagte die Botschafterin und fügte hinzu, die Verbrechen seien nicht zu leugnen. Am folgenden Tag veröffentlichte die kanadische Botschaft ein Statement zur entschiedenen Unterstützung der israelischen Frauen.Elkayam-Levy beendet ihre Treffen mit ausländischen Staatschefs und Diplomaten mit einer ungewöhnlichen Bitte: Druck auf die israelische Regierung auszuüben, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. „Wenn wir das jetzt nicht tun, sind wir auf grundlegende Weise verloren“, erklärt sie. „Die Tatsache, dass 50 Prozent der Bevölkerung nicht repräsentiert wird, führt zu einem grundsätzlichen Versagen von Israels nationaler Widerstandsfähigkeit. Wir schränken unsere Fähigkeit ein, Krisen zu bewältigen, langfristige Prozesse zu führen und das Land voranzubringen. Abgesehen von der Tatsache, dass es ein demokratisches Versagen ist.“Elkayam-Levy weist darauf hin, dass die Repräsentation von Frauen in offiziellen Führungspositionen in allen Teilen der Regierung trostlos aussieht – im Kabinett, um den Tisch der Regierung herum ebenso wie in den Rängen der Ministerialdirektoren. „Es gibt keine Mechanismen, die die Repräsentation von Frauen gewährleisten. Die, die es einmal gab, wurden von der aktuellen Regierung niedergetrampelt. Wir brauchen jede Unterstützung, darunter internationalen Rückhalt, um Systeme einzubauen, die den Diktaten der einen oder anderen, zu einem bestimmten Sektor gehörenden Partei standhalten.“Misstrauen gegen Frauen ist SicherheitsrisikoElkayam-Levys Beobachtungen mögen intuitiv klingen, aber sie basieren auf gründlicher Forschung. Vor zwei Jahren nutzte Israels Nationaler Sicherheitsrat ihre Kompetenz, indem er sie als Leiterin für ein Team einsetzte, das untersuchen sollte, wie Krisen und extreme nationale Ereignisse sich auf Frauen auswirken. Ihr Bericht legte die Basis für politische Richtlinien, die nachteilige Auswirkungen auf Frauen in normalen Zeiten und während Notständen verringern würden (etwa bei einem Anstieg von häuslicher Gewalt) und die Repräsentation von Frauen in Institutionen, die mit Israels Verteidigungspolitik zu tun haben, darunter eine 33-prozentige Vertretung im Kabinett für Diplomatie und Verteidigung, sicherstellen.Die Empfehlungen des Berichts wurden von der Regierung unter Ministerpräsident Yair Lapid angenommen, aber jetzt ist es unwahrscheinlich, dass sie umgesetzt werden. Als der Krieg ausbrach, stellte Elkayam-Levy ein Team mit 50 qualifizierten Frauen aus verschiedenen Bereichen zusammen, die bereit sind, Positionen in Notstands- und Rehabilitierungsinstitutionen zu übernehmen. „Es war keine vage Liste“, betont sie. „Wir hielten Rücksprache, um sicherzustellen, dass alle bereit sind, morgen anzufangen. Die Namen schickten wir in einem Brief an den Chef des Nationalen Sicherheitsrats.“Fand der Brief Beachtung?„Leider nicht, glaube ich.“In jüngster Zeit wurden viele Geschichten von heldenhaftem Verhalten von Soldatinnen bekannt. Welche Auswirkungen wird das nach Ihrer Einschätzung auf die Diskussion um die Integration von Frauen in die Kampfeinheiten haben?„Ich beobachte den Zusammenprall zweier gegensätzlicher Prozesse. Einerseits gibt es diese Geschichten von Heldentum, die Anerkennung in der israelischen Gesellschaft von denjenigen, die viele retten konnten, und derer, die leider gefallen sind. Auf der anderen Seite befindet sich die Gesellschaft in einem Prozess der Radikalisierung. Und je mehr wir uns in radikale Richtungen bewegen und den Gruppen Macht geben, die früher am Rand der politischen Landkarte standen, desto mehr wächst die Gefahr, dass wir rückwärtsgehen.“In den vergangenen Tagen hörten wir von den Militärbeobachterinnen, die wiederholt vor verdächtigen Aktivitäten an der Grenze zu Gaza gewarnt hatten, aber nur Spott von ihren Vorgesetzten ernteten, und von einer Unteroffizierin des militärischen Nachrichtendienstes, die detailliert wegen Hamas-Vorbereitungen für den Angriff warnte, deren Warnungen aber nicht beachtet wurden. Es scheint, als ob das Versagen Gender-Aspekte hatte.„Absolut. Und solche Dinge zu hören, ist wie ein Schlag in die Magengrube. In den Seminaren, die ich lehre, spreche ich über das inhärente Misstrauen gegenüber Frauen. Frauen hielten zahlreiche rote Fahnen hoch, riefen laut, und niemand hörte zu. Die Katastrophe, die wir erlebt haben, entstand durch viele System-Zusammenbrüche, aber das Misstrauen gegenüber Frauen ist einer der schmerzhaftesten. Die einfache, konkrete Wahrheit wurde als unverlässlich betrachtet. Wenn man das realisiert, spannt sich der ganze Körper an. Man fühlt sich einen Moment lang völlig hilflos. Und dann wird klar, dass wir etwas tun müssen, damit es das nächste Mal anders ist.“
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