Nach dem 7. Oktober: Feministinnen, wieso schweigt ihr zu dem Horror der Hamas?

Kolumne Vor eineinhalb Jahren zogen in Berlin Frauen mit Kunstblut beschmierte Kleider an, um gegen Vergewaltigungen ukrainischer Frauen durch russische Soldaten zu demonstrieren. Wo sind solche Proteste nach dem Terror der Hamas?
Ausgabe 49/2023
Frauen demonstrieren in Berlin gegen die russische Gewalt gegen Frauen und Kinder in den Ukrainekrieg
Frauen demonstrieren in Berlin gegen die russische Gewalt gegen Frauen und Kinder in den Ukrainekrieg

Foto: IMAGO/Virginia Garfunkel

Super Safe Space

Alina Saha ist Online-Redakteurin des Freitag. Neben Umwelttthemen schreibt sie abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Elsa Koester und Tadzio Müller die Kolumne „Super Safe Space“.

Eineinhalb Jahre nachdem in Berlin Frauen weiße, mit Kunstblut beschmierte Kleider anzogen, um gegen die Vergewaltigungen ukrainischer Frauen durch russische Soldaten zu demonstrieren, werden massenhaft Frauen und junge Mädchen in Israel von der Terrorgruppe Hamas bei ihrem Überfall am 7. Oktober vergewaltigt. Dieses Mal gibt es in Berlin keine aufsehenerregenden Demonstrationen gegen die gezielte Demütigung und Erniedrigung dieser Frauen. Wieso nicht?

Was Augenzeug:innen berichten, ist so bestialisch, dass sich mir der Magen zusammenzieht, wenn ich darauf stoße. Die Videos davon, die von der Hamas in die sozialen Medien hochgeladen wurden, kann ich mir nicht ansehen. So viel Selbstschutz muss sein.

Öffentlich wird diese gezielte Gewalt gegen Frauen durch die Hamas kaum thematisiert. Es gibt keine Demonstrationen, die sich den Frauen widmen. Am schlimmsten ist jedoch, dass sich sogar feministische Organisationen schwer damit tun, das anzusprechen. Einzelne Feminist:innen leugnen die Vergewaltigungen sogar. Auch eine befreundete Künstlerin, die unter anderem queere Performances macht, postete nur wenige Tage nach dem Terrorangriff auf Instagram, dass sich Berichte von Vergewaltigungen nicht unabhängig bestätigen ließen. Ihr zufolge würden diese Behauptungen lediglich Palästinenser schlecht machen und Rechten nützen, die arabische Männer gerne als misogyne Gewalttäter darstellen. Sie bezeichnet sich selbst als Feministin.

Kriegerische Konflikte, in denen Vergewaltigungen nicht passieren, sind wahnsinnig selten. Gezielte sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Männer hat langfristige Folgen für eine Gesellschaft. Die Opfer werden gedemütigt und erniedrigt. Mit ihnen aber auch deren Umfeld, ihre Familie. Sie erzeugen kollektive Angst und Scham. Genau diese Scham sorgt dafür, dass es Gemeinschaften schwerfällt, die Opfer anschließend wieder problemlos zu integrieren.

Es diskreditiert die gesamte Bewegung

Frauenrechtler:innen haben jahrelang dafür gekämpft, dass die Geschichten und die Perspektive von Frauen, die dieser Gewalt ausgesetzt waren, bekannt und anerkannt werden. Mindestens seit #metoo sind sich Feminist:innen einig, dass Opfern sexualisierter oder partnerschaftlicher Gewalt immer zuerst geglaubt werden muss. Gerade weil Frauen immer noch automatisch eine abwehrende Haltung entgegenschlägt, wenn sie Missbrauch ansprechen. Noch immer wird ihnen zumindest eine Mitschuld an der Gewalt gegeben, die ihnen angetan wird.

Nur bei israelischen Frauen wollen einige Feminist:innen ihren Konsens über Bord werfen und dementieren die Tatsache von gezielter Gewalt gegen Frauen im Krieg? Dabei hatten sie für deren Anerkennung doch so lange gekämpft. Beispiel UN Women: Als eine der weltweit größten Gruppen, die sich für die Rechte von Frauen einsetzt, hat die Organisation wochenlang geschwiegen. Obwohl die Beweislast inzwischen absolut klar und eindeutig ist, sich nichts mehr anzweifeln lässt, bleibt der Aufschrei aus.

Dass auch feministische Gruppen weiterhin schweigen und es keine eindeutige feministische Positionierung zu dieser Gewalt gibt, diskreditiert die gesamte Bewegung.

Denn jede Frau, und es ist unglaublich, jemanden daran erinnern zu müssen, hat es verdient, dass sich Feminist:innen für sie einsetzen. Wenn das für jüdische und israelische Frauen nicht mehr gilt, hat die antisemitische und frauenfeindliche Terrororganisation Hamas gewonnen.

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Geschrieben von

Alina Saha

Redakteurin „Online“

Alina Saha hat in Berlin und Tokio Vergleichende Literaturwissenschaften und Japanstudien studiert. 2019 kam sie als Hospitantin zum Freitag, blieb zunächst als freie Autorin und ist seit Ende 2021 Teil der Online-Redaktion. Ihre Themen sind die Klimakrise, mit Schwerpunkt auf Klimabewegungen, sowie Gesellschaft und Politik Ostasiens.

Alina Saha

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