Ernst Piper aus PEN Berlin ausgetreten: „Positionen zu Israel für mich nicht vertretbar“
Interview Der Historiker Ernst Piper ist nicht mehr Mitglied des PEN Berlin. Auf Facebook kritisierte er die Co-Vorsitzende Eva Menasse und die Philosophin Susan Neiman. Hier erläutert er die Gründe für seinen Austritt
Der Streit um den Führungsstil im PEN-Zentrum Deutschland war heftig. Deshalb gründete sich vor einem guten Jahr die Schriftstellervereinigung PEN Berlin neu. Jetzt droht wieder eine Zerreißprobe. Der Historiker und ehemalige Verleger Ernst Piper machte seine Austrittserklärung an den PEN-Berlin-Sprecher Deniz Yücel auf Facebook öffentlich. Er begründete diese mit der seiner Meinung nach einseitig israelkritischen Haltung der Co-Vorsitzenden Eva Menasse und der US-Philosophin Susan Neiman. „Die selbstherrliche Verachtung, mit der beide über Israel sprechen, fand ich schon immer schwer zu ertragen.“ Zudem, so Piper, sei die Existenz Israels seit dem 7. Oktober so gefährdet wie nie zuvor. Wie diese Woche bekannt wurde, seien auch weite
itere Mitglieder ausgetreten, darunter die Schriftstellerin Julia Franck (Die Mittagsfrau) und die Journalistin Ramona Ambs. Wir sprachen mit Ernst Piper in seiner Wohnung in Berlin-Wilmersdorf.der Freitag: Die Freiheit der Meinungsäußerung gelte nicht nur für Meinungen, die uns sympathisch seien, schrieben Sie 2017, als Sie die Tumulte auf der Frankfurter Buchmesse kommentierten, die sich gegen die Präsenz rechter Verlage richteten. Warum ist das in einer Schriftstellervereinigung für Sie nicht mehr möglich?Ernst Piper: Ich habe mein Leben lang immer für Meinungsfreiheit gekämpft, und habe auch öfter über Zensur geschrieben. Ich habe mich immer wieder für Schriftsteller eingesetzt, die im Gefängnis saßen. Ich war auch einer der Gründungsgesellschafter des Artikel 19 Verlags – in Anlehnung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte –, wo die deutsche Übersetzung von Salman Rushdies Satanischen Versen erschienen ist. So geht es mir auch nicht darum, etwa die Meinungsfreiheit von Susan Neiman oder Eva Menasse zu beschneiden. Das ist gar nicht das Thema.Was ist das Thema?Israel ist ein ganz besonders sensibles Thema und beim PEN Berlin werden Positionen vertreten, die fundamental von dem abweichen, was ich für vertretbar halte. Daher möchte ich mit Neiman und Menasse nicht mehr im selben Verein sein. Sie prägen durch ihr öffentliches Auftreten das Gesicht des PEN Berlin sehr stark. Und im Hinblick auf den PEN-Kongress am 16. Dezember, bei dem die Verschwörungstheoretikerin und BDS-Sympathisantin A. L. Kennedy auftreten wird, ahne ich das Schlimmste. Bei der Buchmesse 2017 ging es übrigens um etwas Anderes. Es galt dort immer das Prinzip, dass es keinerlei Zensur gibt. Rechte Verlage dürfen ihre Bücher, solange sie nicht vom Staatsanwalt beschlagnahmt sind, präsentieren wie jeder andere auch. Die rechten Verlage kriegen zwar nicht gerade die schönsten Stände, eher irgendwo in der Ecke. Aber das ist viel besser als mit Zensur anzufangen. Die Leute, die heute danach schreien, sollten sich an die 68er-Jahre erinnern: Damals ertrug die Mitte der Gesellschaft auch viele wilde linksradikale Positionen, ohne dass jemand nach Zensur gerufen hat.Was Sie eben gesagt haben, könnten Sie doch auch in die nächste Sitzung von PEN Berlin einbringen. Haben Sie etwa resigniert?Der PEN Berlin ist nicht so wahnsinnig wichtig. Es gibt viele andere Foren, wo ich meine Meinung vortragen kann. Ich bin zum Beispiel seit fast 30 Jahren in der Vereinigung „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ als Vorstandsmitglied aktiv, gehöre noch viel länger einer politischen Partei an. Die prägenden Figuren im PEN Berlin laufen in eine Richtung, die ich einfach nicht mehr ertragen kann. Nach meinem Austritt habe ich gehört, dass Bemühungen um eine Solidaritätserklärung mit Israel keinen Erfolg hatten. Die Leute im Board (der Vereinsvorstand mit neun Mitgliedern und zwei Sprechern, Anm. d. Red.) sind alle von Eva Menasse und Deniz Yücel ausgewählt worden. Die kennen sich sehr gut, sie sind alle per Du. Bei den Online-Konferenzen fühlt man sich ein bisschen wie ein fremder Gast in einer großen WG. Durchsetzen kann man da nichts. Und es gibt auch ein Leben außerhalb des PEN Berlin.Ihre Kritik richtet sich im Besonderen gegen das Mitglied Susan Neiman, amerikanische Philosophin und Direktorin des Potsdamer Einstein-Forums. Sie ist Mitherausgeberin des Buches „Historiker streiten“. Sie haben als Piper-Verleger 1987 den Band „Historikerstreit“ veröffentlicht, eine 1986/87 unter Zeithistorikern und Publizisten geführte Debatte über die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Neiman geht von der Existenz einer zweiten Debatte, dem „Historikerstreit 2.0“ aus und schreibt in ihrer Einleitung: „Wenn wir uns also die Zusammenhänge der beiden Historikerstreite vor Augen führen, wird klar, dass die Singularität als moralisches Gebot überholt ist …“Das ist ein unglaublich wirrer und schwacher Text. Ich weiß nicht, warum sich eine Philosophin unbedingt in diese Debatte einmischen will, von der sie offensichtlich nichts versteht. Ich würde auch nicht einen Aufsatz zu Debatten schreiben, die unter Philosophen geführt werden. In einer zufälligen Doppelrolle als Historiker und Herausgeber und zugleich Verleger habe ich den Historikerstreit herausgebracht. Das Buch war enorm erfolgreich, ist auch in mehrere Sprachen übersetzt worden und bis heute so präsent, dass man sich jetzt mit dem Zusatz „2.0“ darauf beziehen möchte. Historiker streiten ist ein sehr merkwürdiges Konglomerat aus höchst ungleichgewichtigen Beiträgen. Der Titel ist etwas irreführend. Unter den Autoren sind auch Vertreter anderer Disziplinen und mehrere Schriftsteller …… auch der Journalist Fabian Wolff, der eine jüdische Familiengeschichte erfunden hat …Genau. Es sind auch viele Historiker unter den Beiträgern, aber deutsche NS-Historiker sucht man vergebens. Mit einer einzigen Ausnahme: Michael Wildt. Er ist ein zu Recht sehr angesehener Historiker des Nationalsozialismus, der allerdings jetzt auf seine alten Tage eine unglückliche Liebesaffäre mit dem Postkolonialismus begonnen hat, die seine Kollegen und Freunde mit einiger Skepsis verfolgen. Michael Wildt schreibt übrigens in seinem Beitrag, dass man von einem „Historikerstreit 2.0“ nicht sprechen kann. Dem stimme ich zu. Und noch etwas. Es gab nach dem Krieg dieses Schlagwort vom „deutschen Schuldkult“, das jetzt wiederbelebt wird, etwa mit der Parole „Free Gaza from German guilt“. Neiman ist da sehr nahe dran, wenn sie fordert, mit der Vergangenheitsbewältigung müsse endlich Schluss sein. Sie schreibt, man müsse stattdessen der Verfolgung und dem Terror gegenüber anderer Völker ins Gesicht schauen. Das geschieht aber schon seit Jahrzehnten. Die Historiker brauchen da keinen Nachhilfeunterricht.Schriftsteller gelten vielen als moralische Instanzen. Haben sie ihre Empathie bezüglich der Shoa verloren?Eine neue Generation hat auch neue Themen. Und eine völlig andere Art, sich mit dem Holocaust auseinanderzusetzen, als jemand, der noch einen autobiografischen Bezug dazu hat. Das gilt nicht nur für Schriftsteller. Etwas Anderes ist entscheidend. Anders als „Free Gaza from German guilt“ suggerieren möchte, existiert Israel nicht deshalb, weil es den Holocaust gab. Das jüdische Volk hat genauso wie jedes andere Volk dieser Erde ein Recht auf einen eigenen Staat, in dem es in Frieden leben kann. Diese Idee ist nicht 1945 entstanden, sie existiert seit der Zerstörung des zweiten Tempels 70 n. Ch. Die Proteste an amerikanischen Unis oder die jüngsten Aktionen an der Berliner UdK zeigen, dass sich in letzter Zeit etwas sehr deutlich verschoben hat. Israel wurde zunächst vor allem als Zufluchtsort für Verfolgte wahrgenommen, die Gründung des Staates 1948 vor allem auch von der Sowjetunion unterstützt, die in der Kibbuzbewegung ein sozialistisches Projekt sah. Heute wird Israel als aggressive, expandierende Macht und Satrap der USA wahrgenommen. Deshalb lässt sich bei der UNO auch jederzeit eine antiisraelische Mehrheit organisieren.War der Sechstagekrieg hierfür eine Art ein Kipppunkt? Sie haben in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass es bislang nur einen israelischen Nobelpreisträger gegeben habe: Samuel Agnon. Das war 1966.Der Sechstagekrieg 1967 war der entscheidende Kipppunkt. In allen Ostblockstaaten gab es rabiate antisemitische Kampagnen, viele Juden emigrierten in den Westen, zum Beispiel nach Deutschland. Agnon hatte den Nobelpreis 1966 zur Hälfte bekommen, er musste ihn sich mit der in Schweden lebenden Nelly Sachs teilen und war bis heute der letzte israelische Nobelpreisträger. Ich halte das in keiner Weise für zufällig. Jehuda Amichai war mein Autor, und er stand bis zuletzt immer wieder auf der Shortlist. Aber in Israel sagte man mir: Solange noch israelische Truppen in den besetzten Gebieten stehen, wird das nichts. Und als 1978 die jiddische Literatur mit einem Nobelpreis gewürdigt werden sollte, wäre der natürliche Kandidat Abraham Sutzkever gewesen, ein grandioser Dichter, der durch glückliche Umstände das Wilnaer Getto überlebt hat. Aber er war 1947 nach Israel emigriert. Das verzieh man ihm nicht. Und so bekam Isaac Bashevis Singer den Nobelpreis.Gab es noch weitere israelische Autoren, die den Nobelpreis verdient gehabt hätten?Auf jeden Fall Amos Oz und A. B. Jehoshua. Beiden hätten gerade unter den gegenwärtigen Umständen nicht die geringste Chance, auch wenn das nicht von Greta Thunberg entschieden wird. Die gegenwärtigen Umstände sind schrecklich. Worauf kann man in dieser Situation hoffen?Nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023, dem Schwarzen Schabbat, der nach der Shoah ein zweiter Zivilisationsbruch war, bringen viele die Zweistaatenlösung wieder ins Gespräch, die Netanyahu unbedingt verhindern will. 2002 war man mit der sogenannten Roadmap eigentlich schon ziemlich weit gekommen. Netanyahu muss nach Kriegsende endlich vor Gericht gestellt werden. Dann muss weiter an der Zweistaatenlösung gearbeitet werden. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, dass ein guter Weg zur Weiterentwicklung des Gazastreifens gefunden wird, ohne Hamas und unter internationaler Aufsicht. Die vielen Menschen, die dort seit Jahrzehnten unter oftmals erbärmlichen Verhältnissen leben, haben das ebenso verdient wie ihre israelischen Nachbarn, unter denen es übrigens auch zwei Millionen Araber gibt.Dieser Artikel wurde am 8. Dezember 2023 geändert. In der ersten Fassung stand, Susan Neiman gehe – „aus einer postkolonialen Perspektive" – von der Existenz einer zweiten Debatte, dem „Historikerstreit 2.0“ aus. Diesen Einschub haben wir gestrichen. Am 11. Dezember wurde der Artikel erneut geändert. In der ersten Fassung stand eine Behauptung über Eva Menasse. Diese haben wir gestrichen.
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