Verleger Michael Faber über das Verlagssterben: „Es sind systemische Probleme“
Interview Anfang des Monats musste der renommierte Leipziger Verlag Faber & Faber Insolvenz anmelden. Viele kleine, unabhängige Verlage könnten folgen, sagt Michael Faber. Der Verleger sieht die Politik in der Verantwortung
Illustration: der Freitag, Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa
Gemeinsam mit seinem Vater Elmar gründete Michael Faber 1990 den symbolträchtigen Verlag zuerst in Berlin, später zog man ins Leipziger Musikviertel. Es war eine von vielen ostdeutschen Verlagsneugründungen nach der Wende. Die Corona-Pandemie habe manche Probleme der Buchbranche verstärkt, andere noch sichtbarer gemacht, so Faber. Er fragt sich, was kleine Verlage von subventionierten Stadttheatern unterscheidet.
der Freitag: Herr Faber, ab wann wussten Sie, dass Sie mit Ihrem Verlag Faber & Faber nicht gegen momentane Umsatzflauten ankämpfen, sondern gegen die Schließung?
Michael Faber: Die Einsicht hat sich über zwei Jahre hingezogen. Der Moment der Anmeldung der Insolvenz war ein trauriger, aber mit dem Vorlauf kein spontaner mehr. Von dem Momen
r Insolvenz war ein trauriger, aber mit dem Vorlauf kein spontaner mehr. Von dem Moment an, wo man weiß, es kann nur schlimmer werden, muss man handeln. Ein paar bleiben zurück. Das sind die Druckereien als Hauptgläubiger. Natürlich auch man selbst mit seinem persönlichen Kapitaleinsatz, der schwerlich zurückzugewinnen ist.Ist die Insolvenz eine Folge von Corona?Ja, Corona spielte eine große Rolle. Aber keine ausschließliche. Die schwerwiegenderen Gründe für unsere jetzige Krise liegen eigentlich in der Zeit danach. Viele haben, als sie aus Corona mit einem blauen Auge herausgegangen sind, ihr Konsumverhalten auf den Prüfstand gestellt und sich gefragt, was brauche ich wirklich, was ist existenziell. Dazu hat man in unserer Branche sehr lange das veränderte Leseverhalten ignoriert, die starken Abbrüche in schulischen Leistungen, die schleichende Analphabetisierung, die wir trotz eines hohen Bildungsangebots feststellen. Dieser krisenhafte Zustand wurde sichtbar, wo alles hätte besser werden müssen. An eine kurzfristige Behebung des Problems glauben auch eine Reihe von Kollegen in der Verlagsbranche nicht.Hören Sie von anderen Verlegern, die einen Verlag in der Größenordnung von Faber & Faber führen, dass sie ans Aufgeben denken?Es hat in der ersten Hälfte des Jahres von unserem Branchenverband Umfragen gegeben. Dabei haben etwa 40 Prozent von Verlagen meiner Größenordnung, also mit Umsätzen von einer halben Million bis zu zwei Millionen, geantwortet, dass sie für sich eine existenzielle Krise sehen und nicht sicher sind, ob sie in 2024 nicht auch die Reißleine ziehen. Die Verunsicherung wächst und der wirtschaftliche Druck ist enorm.Wie hoch belief sich der Jahresumsatz in den besten Zeiten von Faber & Faber?Wir lagen leicht über einer Million. 1,1 bis 1,2 Millionen Euro waren die besten Jahresumsätze. Wir sind damals ein Verlag mit fünf Beschäftigten und jährlich etwa 20 Titeln gewesen, acht im Frühjahr, 12, 13 im Herbstprogramm. Eine sehr gesunde Betriebsgröße in unserer Branche.2022, wo lag der Umsatz da?Oh, das will ich am liebsten gar nicht aussprechen. 2022 lagen wir leicht unter 300.000 Euro.Ich blicke mal auf einzelne Bücher Ihres Verlags. Im Vorjahr veröffentlichte Faber & Faber „Verlassene Werke“ von Bernd Wagner. Eine 600-seitige Sammlung von Aufzeichnungen zwischen 1976 und 1989, die die Existenz eines oppositionellen Schriftstellers in der DDR bezeugen. Ich erinnere mich, dass der Autor mit dem Buch lange im Rennen um einen großen Literaturpreis war. Er wurde am Ende Zweiter, und damit wurde es auch kein öffentlicher Vorgang. War das Verlagsrisiko für dieses Buch bei Faber & Faber zu groß?Das kann man so nicht sagen. Man entscheidet sich für Autoren, weniger für Bücher. Es war zum damaligen Zeitpunkt klar, dass ich mit Bernd Wagner einen hervorragenden Autor an den Verlag binden konnte. Ich wusste, worüber er in den folgenden Jahren schreiben wollte. Hier gerät der Verleger in gewisser Weise mit dem Kaufmann, der ich natürlich auch sein muss, in Konflikt. Der Verleger entscheidet sich für einen Autor oder für ein bestimmtes Buch und der Kaufmann runzelt die Stirn, weil er zweifelt, ob die Zahl der verkauften Bücher die Kosten decken wird. Ich müsste mich vor diesem Risiko schützen, bin aber Verleger geworden, weil ich gern in dieses Risiko gehe. Ich hoffe immer, Verstand und Leidenschaft zu verbinden. Aber im Falle von Verlassene Werke war die Leidenschaft größer. Das Buch wurde für den Verlag und den Autor wirtschaftlich ein Misserfolg.Wie oft verkauft?Wir sind nicht über 400 Exemplare hinausgekommen.Ich halte zwei schmale Romane von Désirée Opela in der Hand. 1988 in München geboren, Absolventin des Leipziger Literaturinstituts und darüber auch mit Ihrem Verlag in Kontakt gekommen. Der Versuch, eine noch namenlose Autorin, die laut Kritik eine hochliterarische Stimme einzubringen hat, auf dem Markt durchzusetzen, ist gescheitert. War auch hier der Versuch zu ehrgeizig?Ganz deutlich: Nein. Als Verleger darf man sich nicht auf kanonische und schon wirtschaftlich geprüfte Texte verlassen, sondern man muss die neuen literarischen Begabungen in seiner Zeit aufspüren und durchsetzen. Vielleicht lag unser Manko darin, zu wenig für den einzelnen Autor, die Autorin geleistet zu haben. Ich habe heute nur noch eine Mitarbeiterin für den Vertrieb. Presse und Buchhaltung sind ausgelagert. In dem einen oder andere Fall gelingt es, aber Désirée Opela ist ein Beispiel dafür, dass es uns nicht gelungen ist.Die kleinen, unabhängigen Verlage bleiben mit dem Risiko allein. Dieses Risiko bringen sie ja nicht nur für sich, sondern für die Literatur. Welche Unterstützung hätten Sie erwartet?Von wem?Das sollen Sie mir sagen.Damit kommen wir auf andere Fragen: Warum finden wir in Deutschland kein System für die Absicherung einer kulturellen Infrastruktur? Warum werden kleine Verlage nicht ähnlich mit öffentlichem Geld subventioniert wie beispielsweise ein Stadttheater? Ist verlegerisches Bemühen nicht genauso anzuerkennen? Dieser Gedanke ist im Kopf vieler Verleger, aber noch nicht ausgesprochen. Ist der Kulturverleger nicht genauso anzuerkennen wie ein kommunales Theater, eine Landesbühne?Große Konzernverlage fangen dieses Risiko durch die sogenannte Mischkalkulation auf. Sie setzen einen unbekannten Autor durch, wenn sie mit einem Bestseller das Geld dafür verdienen. In Österreich erhalten die unabhängigen Verlage eine vom Staat garantierte Förderung. Warum übernimmt Deutschland dieses Prinzip nicht?Ich kann’s nicht sagen. Wir leisten uns Ensembles, wir leisten uns Repertoiretheater, wir leisten uns eine Infrastruktur, die ohne Subventionen gar nicht lebensfähig ist. Nun will ich sie den Theatern keinesfalls absprechen, ich will anregen, die Verlage in das System einzubeziehen. Ein Verlag in meiner Betriebsgröße erreicht mit 20 Titeln vierzig- bis fünfzigtausend Leser, und wenn ich die Rezeption in größeren Medien noch hinzunehme, dann sind wir in der Größenordnung des Publikums manches Stadttheaters. Ich denke, dass es kurz- oder mittelfristig notwendig sein muss, dass man in Deutschland auch die Verlage als Kulturinstitutionen bezuschusst. Für Verlage sollte es wie in Österreich jedes Jahr einen Sockelbetrag geben. Ausreichend zur Finanzierung von mindestens zwei oder drei Mitarbeitern für Vertrieb, Presse, Buchhaltung. Dann haben die anderen Zeit für die Vorbereitung eines Manuskripts zum Buch.Nun wird uns Claudia Roth als Staatsministerin für Kultur und Medien heftig widersprechen und auf das System deutscher Verlagspreise verweisen. Jährlich werden 1,6 Millionen Euro zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit kleiner, unabhängiger Verlage ausgegeben. Ihrem Verlag hat dieser Weg nicht geholfen, haben Sie ihn deshalb nicht angesprochen?Die Verlagspreise existieren seit 2019. Claudia Roth war nicht ihre Erfinderin. Dass es sie gibt, ist absolut begrüßenswert. Die Preise heben den Ruf eines Verlags und sind durchaus motivierend. Aber sie lösen nicht das systemische Problem. Es ist ein erster Schritt. Jetzt müsste der zweite Schritt folgen und neben dieser partiellen Anerkennung weiter gehen zur systemischen Unterstützung von Kulturinstitutionen, wie es Verlage sind.Ich höre und lese oft davon, dass Deutschland beim Buch in einer privilegierten Situation ist. Die aktuelle deutsche Gegenwartsliteratur zeigt eine große Vielfalt von Themen und literarischen Schreibweisen und es gibt ein staunenswertes Netz von stationären Buchhandlungen, heißt es. Aber stimmt es überhaupt?Ich will mal ketzerisch sagen: Verglichen mit dem, was gegenwärtig aus der österreichischen Literatur an bedeutsamen literarischen Texten erwächst, können wir nicht gerade sagen, dass wir in einem großen kreativen Literaturland leben. Weil das so ist, frage ich mich, ob die Förderung von Verlagen in Österreich nicht eine bessere Basis schafft, damit sich literarische Stimmen entwickeln können.Verhalten sich große Konzernverlage in Deutschland nicht objektiv unfair, weil sie ihre Buchangebote stärker am Mainstreamgeschmack ausrichten?Das empfinde ich gar nicht. Die Konkurrenz besteht nicht zwischen Konzernverlag und unabhängigen Verlagen. Unser Problem ist die Konzentration im Buchhandel. In dem Augenblick, wo etwa vierzig Prozent des Gesamtumsatzes an Büchern von Ketten wie Hugendubel, Thalia, Lehmannsche und so weiter generiert werden, haben wir eine eingeschränkte Öffentlichkeit für Bücher kleinerer Verlage. Unsere Bücher werden von den Ketten erst ab einer bestimmten Stückzahl ins Sortiment genommen. Das sind Volumen, die wir meist nicht erreichen. Deshalb werden wir nicht gelistet.Nach fast dreißig Jahren als Verleger höre ich bei Ihnen viel analytisches Wissen heraus, das für den Verlag Faber & Faber im Moment der Insolvenz zu spät kommt. Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft?Ich habe zu all meinen Autorinnen und Autoren gesagt, ich möchte im Moment nicht über meine Zukunft nachdenken. Sie wird sich finden, wenn es so weit ist. Jetzt ist es meine Aufgabe, das Bestmögliche aus der Situation zu machen. Alles andere kommt später.Steht die Tür für den Verlag Faber & Faber nach der Insolvenz noch einen Spalt offen?Einen Spalt gibt es.Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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