Prostitution: Warum das „Nordische Modell“ ein Irrweg ist
Sexarbeit Wer die Prostitution faktisch verbieten will, drängt sie nur tiefer in die Illegalität. Ausstiegshilfen gibt es jetzt schon. Aber von einer Politik kleiner Schritte wollen Moralapostel, die das „Nordische Modell“ fordern, nichts wissen
Das „nordische Modell“ hat die Ausbeutung von Sexarbeiterinnen nicht verhindert
Illustration: der Freitag
Es ist Januar 2010 in Schweden. Göran Lindberg wird auf dem Weg in ein Hotelzimmer verhaftet, wo eine 14-Jährige auf ihn wartet. Die Polizei wird auf Lindberg aufmerksam, als ein Multimillionär unter mysteriösen Umständen vom Balkon fällt und stirbt. Vermutet wird ein illegaler Sex-Ring, in dem auch Minderjährige regelmäßig vergewaltigt werden. Lindberg muss sich wegen zahlreicher Sexualstraftaten verantworten, verurteilt wird er wegen Sexkaufs, Zuhälterei, Vergewaltigung und schwerer Vergewaltigung. Der Fall Lindberg ist ein nationaler Skandal. Aber er ist kein „normaler“ Zuhälter und „Kunde“. Er ist Polizeichef in Uppsala, mit Prostitution als Schwerpunkt – eine Farce. Schweden hat 1999 die Bezahlung f
für sexuelle Dienstleistungen (und vieles mehr) verboten und es sich zum außenpolitischen Ziel gemacht, sein Verbot – „Modell“ genannt – weltweit zu exportieren. Was die elf Frauen, die 2010 gegen Lindberg aussagten, über das schwedische beziehungsweise „Nordische“ Verbot sagen würden, wissen wir nicht. Fakt aber ist: Sie wurden in dem Land, das sich als weltweiter Vorreiter einer modernen Prostitutionspolitik geriert, massiv ausgebeutet – und zwar durch die Polizei.Die Freier bestrafenDie Kampagne für das „Nordische Modell“ hat knackige Slogans parat. Prostitution sei „weder Sex noch Arbeit“, man bestrafe „nur die Freier, aber nicht die Prostituierten“. Fakt ist: Wer eine Frau zur Prostitution zwingen will, macht es auch dort, wo sie verboten ist, auch in den vielen Ländern, in denen inzwischen die Kunden kriminalisiert werden. Der Begriff „Sexkauf“ lenkt den Fokus auf den rohen Sex und verschleiert, dass es sich eigentlich um Lohn respektive Vergütung handelt, das „Sexkaufverbot“ also ein Vergütungsverbot ist. Geld wird zur alleinigen Quelle von Ungleichheit und Frauenhass erklärt. Ganz egal, dass Geld der Hauptgrund für Sexarbeit ist. Ganz egal, dass Geld auch in romantischen Paarbeziehungen eine wichtige Rolle spielt. Ganz egal, dass Menschenhandel und Ausbeutung in vielen Dienstleistungsbranchen stattfinden. Und ganz egal, dass Frauenhass und Gewalt gegen Frauen die Gesellschaft durchdringen und sicher nicht mit einem Verbot der Prostitution verschwinden.Ach, wäre es doch so einfach, dass wir ein einziges Verhalten verbieten und sich dann die ganze Gesellschaft verbessert! Genau das suggeriert das „Nordische Modell“.„Ausstiegshilfen“ für Prositituierte werden dabei großgeschrieben. Dabei braucht es dafür kein „Nordisches Modell“. Das Familienministerium legt immer wieder kleine „Modellprojekte“ auf, die Prostituierten beim Ausstieg helfen sollen. Man könnte es auch anders machen. Wie wäre es mit einer Weisung vom Arbeitsministerium an die Jobcenter, allen Ex-Prostituierten bedingungslos Weiterbildungsmaßnahmen ihrer Wahl zu ermöglichen? Schon wäre das Problem gelöst.Aber Sexarbeitende brauchen nicht nur einen Ausstieg in Jobs, die sie oft überhaupt erst zur Sexarbeit gebracht haben. Sie haben oft andere Probleme, weshalb sie ja der Sexarbeit nachgehen und nicht einer „normalen“. Manche haben zu hohe Schulden, als dass sie vom Bürgergeld leben könnten, andere haben gesundheitliche Probleme, die mit dem Trott eines geregelten Arbeitstags nicht kompatibel sind. Andere, wie Maria S., werden auf dem deutschen Arbeitsmarkt diskriminiert. Ob das Jobcenter hier die richtige Adresse ist, bleibt offen.Paris: Illegal im Bois de BoulogneFakt ist: Das „Nordische Modell“ verspricht den Ausstieg, liefert ihn aber nur für sehr wenige Prostituierte. In Frankreich, wo es auch gilt, werden jährlich ein paar hundert Frauen beim Ausstieg unterstützt. Dafür arbeiten Zigtausende in der Illegalität – im Pariser Wald, dem Bois de Boulogne, oder in teuer illegal gemieteten Zimmern. Und so fallen im „Nordischen“ Modell viele Prostituierte, die weiterhin der Sexarbeit nachgehen, aus dem Netz.Die Rhetorik des „Modells“ verklärt, dass zahlreiche Einzelmaßnahmen, wie Ausstiegs- und Umstiegsangebote oder Entkriminalisierung, auch jetzt schon, ohne Verbote, umgesetzt werden können. Doch gerade das „Modell“-Denken – alles oder nichts – verhindert eine Diskussion über die kleinen Schritte zur Verbesserung.Menschenhandel findet trotzdem stattOft ist ein Ausstieg gar nicht das, was Prostituierte brauchen. Prostituierte haben ein Leben, das über die Sexarbeit hinausgeht. Sie haben Freunde und Familie. Als Selbstständige müssen sie sich um viel Verwaltung kümmern, die oft gerade für Migrantinnen undurchsichtig und kompliziert ist. Manche haben Schulden. Das Prostituiertenschutzgesetz reguliert die Prostitution seit 2017 umfassend. Prostituierte müssen sich beraten und registrieren lassen. Migrantinnen machen um die 80 Prozent der offiziellen Anmeldungen aus.Zahlen aus Ländern mit „Nordischem“ Verbot gibt es wenig. Die, die wir kennen, zeigen aber eins: Mit der Einführung eines Prostitutionsverbots haben sich Menschenhandelsfälle nicht signifikant verringert. Und in Deutschland gab es seit der Legalisierung der Prostitution, anders, als immer wieder behauptet, keine Zunahme von Menschenhandel.Das „Nordische Modell“ schafft die Prostitution nicht ab, sie findet nur anders statt. Wer sich über das „Bordell Deutschland“ aufregt wie der Spiegel, freut sich über das Bordellverbot des „Nordischen Modells“ und den allzu breiten Zuhälterei-Begriff, der die Vermietung von Arbeitsräumen an Prostituierte unter Strafe stellt. Was auf den ersten Blick gut klingt, hat drastische Folgen. Denn es gibt beim „Nordischen Modell“ keine legalen Arbeitsorte mehr, die auch gesetzlich reguliert werden. Sexarbeitende arbeiten also in Autos oder kurzfristig und illegal gemieteten Unterkünften, die teuer sind und Prostituierte erpressbar machen. Wenn zwei Prostituierte gemeinsam einen Arbeitsort mieten, zum Beispiel aus Kosten- oder Sicherheitsgründen, machen sie sich strafbar.Kritik am schwedischen ProstitutionsverbotEs entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Prostituierten gerade in Ländern mit „Nordischem Modell“ für die großen moralischen Reden einiger Politiker und Frauenorganisationen herhalten müssen – als Mittel für einen vermeintlich höheren Zweck. Prostitution wird geächtet und verboten, weil Frauen dadurch angeblich zur Ware und zu Objekten werden. Dabei werden die Prostituierten gerade im „Nordischen Modell“ als „Ware Frau“, betrachtet. Ihre Menschlichkeit erlangen sie hier erst wieder, wenn sie mit der Prostitution aufhören. Als „Ware“ können sie nicht an Demokratie und Politik teilhaben, und die Länder mit „Nordischem Verbot“ sehen kein Problem darin, den aktiven Prostituierten den Dialog auf Augenhöhe zu verweigern – im Namen der Frauen- und Menschenrechte. Unbezahlter Sex als Bedingung für Menschlichkeit?Und was macht die Polizei in diesem Modell? Folgt man dem schwedischen Vorzeigepolizisten Simon Häggström, verbringt die Sittenpolizei die Tage damit, Escortseiten zu durchforsten und Prostituierte ausfindig zu machen. Die Arbeitsorte sind ja nicht mehr bekannt und müssen ständig gewechselt werden. Die Prostituierten werden dann telefonisch überwacht – obwohl sie an sich keine Straftat begehen. So werden immer mal ein paar Kunden gefasst, viele bekommen nicht mal eine Geldstrafe.Olaf Scholz glaubt, „Frauen“ kann man „kaufen“Wer ist dafür, wer ist dagegen? Es ist ein Mantra dieser medialen Debatte, dass sich zwei Seiten in der Prostitutionsfrage bekriegen. Der feministische „Zickenkrieg“ zieht immer, einfache Erklärungen und Lösungen für komplexe Probleme auch. Medien lieben knallige Behauptungen. Gehört wird, wer die deutsche Prostitutionspolitik ohne Wenn und Aber für gescheitert und das schwedische Verbot zur Wunderpille erklärt. Die Grautöne der Realität, die schwierigen praktischen Fragen und zahlreichen Überschneidungen und Gemeinsamkeiten werden medial ausgelöscht – als gäbe es sie nicht.Die Kritik am schwedischen Prostitutionsverbot ist so alt wie das Gesetz selbst. Und dennoch lassen sich Politiker*innen und Journalisten gleichermaßen von den großen Versprechen jener Wunderpille „Nordisches Modell“ blenden. Besonders tief sinken Politiker*innen, wie zuletzt Dorothee Bär, wenn sie einmalig ein Bordell betreten und stolz davon berichten, wie „ekelhaft“ das war. Dass selbst der Bundeskanzler Olaf Scholz glaubt, man könne sich in Deutschland zu seinem Leidwesen „Frauen kaufen“ – so gesagt in der Regierungsbefragung jüngst im Bundestag –, zeigt das Ausmaß der Unwissenheit über Prostitution in Deutschland. Prostituierte kauft man nicht, sie sind auch keine „Ware“. Sie sind Menschen, die eine Dienstleistung anbieten, unter oft beschissenen Umständen.Placeholder authorbio-1
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