Interview Geht es um Prostitution, kommen in deutschen Medien meistens Vertreterinnen der Betroffenen zu Wort, kaum je Betroffene selbst. Wir haben mit einer rumänischen Sexarbeiterin, die in Berlin lebt und arbeitet, gesprochen
Maria S.* arbeitet in einer Bar in Berlin. Die 33-jährige Frau mit den pechschwarzen Haaren wirkt zierlich, hat aber schon einiges erlebt. Das Gespräch wurde auf Englisch geführt.
der Freitag: Wie bist du zu dieser Arbeit gekommen?
Maria S.: Mein Vater ist gestorben, als ich 18 war, und meine Mutter ein Jahr später. Ich habe zwei Schwestern und einen Bruder. Sie hatten keine Arbeit. Und dann habe ich mit 17 geheiratet. Der Typ nahm viele Drogen. Er gab mir nie eine Zigarette. Nicht ein Mal schenkte er mir Blumen. Ich arbeitete zu der Zeit in einem Geschäft, als Verkäuferin.
Warum hast du ihn geheiratet?
Weiß nicht, ich war einfach dumm. Meine Mutter sagte immer: „Verlass diesen Typen, er ist nicht gut für dich.“ Ich habe ihn ja auch verlassen
icht, ich war einfach dumm. Meine Mutter sagte immer: „Verlass diesen Typen, er ist nicht gut für dich.“ Ich habe ihn ja auch verlassen, aber dann musste ich Rumänien verlassen.Warum?Vor allem wegen ihm. Er war gefährlich. Und ich hatte eine Freundin, die in diesem Job arbeitete. Sie sagte, ich solle kommen, nach England. Da arbeitete ich ein paar Jahre, deswegen kann ich Englisch. Dann kam ich nach Berlin.Du hattest keinen Schlepper, der dich nach Westeuropa brachte.Nein.Es gibt die rumänische Mafia also gar nicht?Doch, ich habe das gesehen. Aber das ist einige Zeit her. Die Dinge haben sich verändert. Natürlich gibt es Mädchen, die einen Typen haben, der sagt: „Mach diese Arbeit.“ Aber er zwingt sie nicht. Jedenfalls nicht direkt. Die Frauen machen es „aus Liebe“. Die Männer versprechen ihr eine gute Zukunft als Familie, und die Frau glaubt es. Die Männer sitzen in Rumänien, trinken, sitzen am Spielautomaten und lassen die Frau arbeiten. Aber was soll sie tun? Zur Polizei kann sie nicht. Der Mann wird sagen: „Ich habe sie zu nichts gezwungen, ich habe sie nicht geschlagen.“Sind alle so?Ich hatte eine Freundin im Club. Ihr Mann ging auf dem Bau arbeiten. Kein guter Job, du kommst kaputt nach Hause. Aber es hat sich gelohnt. In Rumänien haben sie nun ein Auto und eine große Wohnung. Sie haben sich gesagt, wir bauen uns etwas auf, und es hat geklappt. Nun sind sie mit ihren Kindern zusammen. Er arbeitet jetzt in Rumänien auf dem Bau. Sie arbeitet nicht mehr.Möchtest du auch einmal eine große Wohnung?Natürlich.Was fehlt noch zu deinem Glück?Ein Auto. Ein Mercedes.Hast du jemals Urlaub gemacht?Am Meer und so? Nein.Wohin würdest du gerne reisen?Nach Afrika. Ich will die Leute kennenlernen. Und die Tiere.Hast du im Job schwarze Kolleginnen?Ich war ja in England. Da hatte ich schwarze Freunde. Ich mag sie. Meine rumänischen Kolleginnen denken anders, nicht so gut.Den klassischen Zuhälter gibt es nicht mehr, sagst du. Aber gibt es nicht die „Mamas“? Ich habe gehört, dass sie sehr böse sind.In England habe ich das noch erlebt. Die Mädchen wohnen bei den Mamas, die dich kontrollieren. Aber die Zeiten haben sich geändert. Diese Aufpasserinnen werden nicht mehr akzeptiert. Die Frauen lassen sich nicht mehr alles sagen.Hast du das Geld verdient, das du dir erhofft hast?Nein. Am Anfang war es besser. Ich war neu, ich war jünger. Die Kunden hatten mehr Geld.Aber immer noch verdient man offenbar so viel, dass viele Frauen aus deinem Land sich im Westen prostituieren.Rumänien ist ein sehr armes Land. Viele Frauen, die hier arbeiten, müssen ihre Familie ernähren. Ich habe einen Sohn. Ich sehe ihn monatelang nicht. Es ist hart.Wer schaut nach ihm?Meine Schwester.Sie macht einen tollen Job. Gibst du ihr Geld?Nein, ich sende nur Geld für das Kind. Jede Woche. Für die Kleider, für das Essen, für die Schuluniform.Wissen deine Geschwister, was für eine Arbeit du hier machst?Ich denke, sie wissen es. Aber sie haben mich nie gefragt. Wir sprechen nicht darüber. Aus Scham.Du kommst aus einer Roma-Familie, hast du mir gesagt.Ja, aber wir sind nicht die Art von „gipsy“, die strenge Regeln hat, wir werden nicht jung verheiratet. Wir leben wie normale Rumänen. Aber weil wir eine etwas braune Hautfarbe haben, sind wir „gipsy“.Eine Menge von den Frauen, die in Westeuropa arbeiten, sind Roma, nicht wahr?Kann ich so nicht sagen. In dem Club, wo ich arbeite, gibt es nur ganz wenige. Vielleicht gibt es mehr auf der Straße. Aber für „gypsies“ ist es noch schwieriger, das zu machen, als für normale Rumäninnen. Sogar wenn sie es machen wollen, haben sie große Angst. Vor der Familie.Hast du bei der Arbeit Gewalt erlebt?Ja, aber wir haben Security. Im Zimmer gibt es eine Klingel. Sie kommen sofort, wenn etwas ist.Fühlst du dich sicher?Ja. Ich muss ja auch nicht mit einem Gast aufs Zimmer. Wenn einer nicht freundlich mit mir gesprochen hat, gehe ich nicht mit.Welche Gäste sind dir die liebsten?Die Deutschen, sie gehen respektvoll mit uns um. Das macht mir die Arbeit leichter.Aber verachtest du sie im Grunde genommen nicht? Sei ehrlich.Ich verachte sie, wenn sie ihre Frau schlechtmachen, wenn sie sagen: „Meine Frau ist eine Null im Bett“, weil sie möchten, dass ich mich als etwas Besonderes fühle.Wäre es nicht besser, als Barfrau im Club zu arbeiten? Sie müssen nicht auf Zimmer, verdienen gut.Wer hat dir das gesagt? Es sind 50, vielleicht 70 Euro pro Nacht. Und du musst sehr tough sein, bist für alles verantwortlich. Für das Geld. Für die Kunden. Für die Mädchen.Was würdest du ändern, wenn du der Boss des Clubs wärst?Ui, eine Menge. Erstens würde ich die arabischen Männer nicht mehr reinlassen. Sie sind aggressiv. Zweitens würde ich die Preise anheben.Um wie viel?Von 100 Euro auf 200. Okay, 150 für die Stunde und 80 für eine halbe Stunde.Gibt es einen Einheitspreis?Ja. Wenn der Chef hört, dass ein Mädchen mehr nimmt, dann ist sie ihren Job los.Und würdest du die Zimmer freundlicher ausstatten?Nein, wir haben schöne Räume. Mit Dusche.Was würdest du lieber machen, wenn es gleich bezahlt ist: putzen oder im Club arbeiten?Natürlich putzen.Du könntest ja auch bei Aldi an der Kasse arbeiten. Aber du würdest weniger verdienen. Ist das der Grund, warum du es nicht machst?Nein. Erstens musst du gut Deutsch sprechen, sonst nehmen sie dich nicht. Zweitens weil ich braun bin. Sie würden mich sowieso nicht nehmen.Das kann ich nicht glauben.Komm mit mir zu Rossmann, da wirst du es sehen. Neulich war ich dort, und der Sicherheitstyp stand direkt hinter mir, während ich Parfüm probierte. Mit dem Tester! Ich wurde nervös und fragte ihn: „Was machst du da?“ Er sagte: „Das ist mein Job.“ Ich sagte: „Nein, dein Job ist nicht, hinter mir zu stehen.“ Ich habe in Deutschland nie gestohlen. Ich zahle Steuern.Bist du da eher die Ausnahme?Okay, ich mache es noch nicht so lange. Ein Mädchen aus dem Club hat mir gesagt, dass ich es tun soll. Sie zahlt auch Steuern. Es gibt uns also. Wir wollen keinen Ärger.Was ist mit Drogen? Nehmen nicht alle Frauen Kokain?Nicht alle. Okay, es gibt Mädchen, die können nicht arbeiten ohne. Andere nehmen es manchmal mit den Kunden, damit die länger im Zimmer bleiben. Das ist unser Job.Macht es die Arbeit erträglicher?Ehrlich gesagt ja. Es ist dann einfacher, Sex mit Menschen zu haben, mit denen du eigentlich keinen Sex haben willst. Du kannst fremde Männer leichter berühren.Was geht gar nicht im Club?Ohne Kondome geht gar nicht. Dann fliegt das Mädchen raus.Und wenn die Frau den Kunden beklaut.Weißt du, viele Kunden nehmen so viele Drogen und Alkohol, dass sie nichts mehr checken. Aber die Mädchen wissen, dass sie rausfliegen, wenn sie klauen.Wie steht es mit Lügen? Dein Job basiert auf Lügen. Es hat nichts Unmoralisches.Wenn du über dich sprichst, musst du lügen, klar. Ich würde einem Kunden nie erzählen, dass ich einen Freund habe. Aber du kannst ja über andere Dinge sprechen. Über Präsidenten, Planeten. Du lachst, aber es ist wirklich so. Mein Ziel ist, dass sich der Kunde gut fühlt. Ich spreche auch viel, damit die Zeit verstreicht. Ich will ja, dass er möglichst lange bleibt.Früher hat man erzählt, um den Tod aufzuschieben, du erfindest Geschichten, damit der Kunde bleibt.Was ich von meinem Land erzähle, ist aber alles wahr. Es ist wirklich „fucked up“.Immerhin gibt es Sozialhilfe.Ja, gibt es. Aber du musst Jahre warten, wenn du eine Wohnung willst. Allerdings nicht, wenn du ukrainischer Flüchtling bist. Schlimm ist es auch, wenn du krank wirst. Selbst wenn du krankenversichert bist, kannst du nicht erwarten, dass dich der Arzt auch nur anschaut, wenn du ihm nicht „extra“ gibst.Rumänien ist EU!Ja, und doch liebe ich mein Land. Es ist sehr schön.Es gibt Leute, die sagen, jede Form von bezahltem Sex ist Vergewaltigung. Wie siehst du das?Würde ich so nicht sagen. Der Kunde muss mich fragen, wenn er etwas von mir will. Niemand zwingt mich, zu tun, was ich nicht will.Die Antwort hier wäre: Du denkst nur, du tust es aus freiem Willen. Aber du bist traumatisiert. Hattest du Depressionen?Ich hatte Depressionen, am Anfang. Dann gewöhnt man sich irgendwie daran. Aber es ist schon hart. Ich bin nun sieben Jahre in Berlin. Mein Plan ist es, bis Ende des Jahres auszusteigen. Und dann bin ich erst einmal in Rumänien. Bei meinem Freund.Schickst du ihm Geld?Nie! Er arbeitet selbst. Er macht den Boden in einer Wohnung.Wie hält er es aus, dass du diesen Job machst?Schwer. Wir haben uns gestritten. Und wenn er mich hier besucht, kann ich mit ihm unmöglich über meine Arbeit sprechen.Gibt es etwas, das du an deinem Job magst?Nein, nichts.Hast du vom Nordischen Modell gehört? In Schweden ist Prostitution nicht direkt verboten, aber der Kunde macht sich strafbar.Wirklich? In Rumänien ist es verboten.Was bedeutet das?Die Prostitution findet auf der Straße statt, nicht in den Clubs. Und in den Wohnungen.Würdest du auf der Straße arbeiten?Nein.Sollte die Politik wenigstens den Straßenstrich verbieten?Weiß nicht. Sie können es bekämpfen, solange sie wollen. Sex für Geld wird es immer geben. Wir Frauen sind schon froh, wenn wir sicher sind. Ich arbeitete davor in einer Filmbar, sie sollte verkauft werden. Der Chef kümmerte sich um nichts mehr, es gab nicht mal Security. Einmal kam eine Horde Männer rein, ohne zu bezahlen. Sie schnappten ein Mädchen und schlugen es. Wir anderen schlossen uns in einem Zimmer ein. Die Barfrau hat die Polizei gerufen. Ich habe viele solche Sachen erlebt.Welche Arbeit möchtest du später machen?Maniküre.Und was machst du gerne in deiner Freizeit?Ich mag Filme. Ich gehe gerne ins Kino, in das am Alexanderplatz.Placeholder infobox-1
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