Wer wurde Millionär?

Frankreich Präsident Hollande will in Zukunft all das verbieten, was Politiker zu Korruption und Lobbyismus verführen kann. Der entsprechende Gesetzentwurf liegt vor
Ausgabe 18/2013
Arbeitsminister Michel Sapin deutet an, wie leicht man in eine Schieflage geraten kann
Arbeitsminister Michel Sapin deutet an, wie leicht man in eine Schieflage geraten kann

Foto: Jacques Demarthon/ AFP/ Getty Images

Während Deutschland über Steuerflüchtlinge und -hinterzieher debattiert, geht es in Frankreich um ein verwandtes Thema: Moral und Anstand der Politiker. Gerade hat François Hollande der Nationalversammlung ein Gesetz zur „Moralisierung der Abgeordneten“ vorgelegt. Es soll bewirken, dass sich Volksvertreter künftig klar entscheiden: Entweder die politische Laufbahn oder eine private Karriere. Der Präsident setzt den bei Parlamentariern beliebten Nebenjob eines Beraters auf den Index. Denn – so die Begründung – hinter derart schwer zu fassenden Beschäftigungen verberge sich häufig nur ein „Einkaufen“ des Politikers für einen lukrativen, weil gut dotierten Auftrag. Peer Steinbrücks viel diskutierte Beraterhonorare in Millionenhöhe wären in Frankreich demnächst nicht mehr möglich. Auch juristische Mandate für die Wirtschaft sollen verboten werden. Hollande erbaut sich am Ideal „des neuen, tugendhaften Abgeordneten“, braucht er doch nach einem drei viertel Jahr im Amt ein Achtungszeichen. Schließlich sind die Franzosen mehrheitlich höchst unzufrieden mit seiner Regierung, die wegen des eingeschlagenen Sparkurses den Vorgängern inzwischen zum Verwechseln ähnlich sieht. Ein Moral-Code wäre etwas völlig Neues im politischen Alltag, nicht zuletzt im Vergleich mit anderen Staaten der EU.

Konto in der Schweiz

Nach der Affäre um Ex-Minister Jérôme Cahuzac muss Hollande mehr denn je verlorene Sympathien zurückgewinnen. Der Chef des Budgetressorts im strategischen Ministerium für Wirtschaft und Finanzen hatte ein Konto in der Schweiz verschwiegen und mehrfach im Parlament bestritten, über ein solches Depot zu verfügen. Wie blanker Hohn wirkte plötzlich die Wahlkampagne der Sozialisten vor einem Jahr, als mit dem Slogan von einer „Moralisierung der Politik“ Stimmen für den Triumph über Nicolas Sarkozy gewonnen werden sollten. Der hatte zu häufig in Edelrestaurants gespeist, Yachten bestiegen und goldene Uhren vorgeführt. Nun aber konterkarierte das verborgene Konto des Jérôme Cahuzac den Hygiene-Code der sozialistischen Saubermänner. Als Cahuzac aufflog, verlangte Hollande von seinen Ministern, ihre Finanzen offenzulegen, und setzte durch, was er wollte.

Nichtregierungsorganisationen beklagen dennoch, es fehle den präsidialen Vorstößen an Radikalität: „Die Abgeordneten sollten überhaupt keinen Beruf nebenher ausüben dürfen“, sagt Séverine Tessier, Gründerin der NGO Anticor. Ausnahmen dürfe es allein für Mediziner geben, die ehrenamtlich Patienten betreuen. Auch Lokalpolitiker sollten hauptberuflich nichts weiter als Politiker und als solche unbestechlich sein, meint Tessier. Allein das häufige Public-Private-Partnership (öffentliche Projekte, bei denen Städte mit der Privatwirtschaft kooperieren) sei „ein Nährboden der Korruption“.

In Deutschland verhindern CDU/CSU und FDP regelmäßig ein strengeres Anti-korruptions-Reglement. Zwar werden auch Bundestagsabgeordnete bald etwas durchschaubarer sein – in der nächsten Legislaturperiode müssen sie nach einem jüngst verabschiedeten Gesetz Nebeneinkünfte von mehr als 250.000 Euro pro Jahr offenlegen –, doch bleiben Nebentätigkeiten erlaubt. „Die Einkünfte sollten bis auf den Cent genau veröffentlicht werden, ebenso wie die Auftraggeber“, sagt Timo Lange von der NGO LobbyControl. Besser noch sei die Übernahme des französischen Modells, könne doch rund ein Drittel der Bundestagsabgeordneten neben den Diäten auf Einkünfte aus anderen Quellen rechnen.

Bürger in Frankreich goutieren die neue Offenheit: Die Internetseite der Regierung, ansonsten mehr offiziellen Reden vorbehalten, wurde von Millionen Franzosen geklickt, seit man sich dort über große oder weniger große Vermögen ins Bild setzen kann. Überraschungen blieben freilich aus. Wie zu erwarten, sind Hollandes Kabinettsmitglieder reicher als die Durchschnittsfranzosen. Das Kapital der meisten Minister sind Immobilien, erworben größtenteils im Umland von Paris, wo die Grundstückspreise europäische Spitzenwerte erreichen. Ein Beispiel liefert Arbeitsminister Michel Sapin, ein zweifacher Millionär, der ein Appartement in der Hauptstadt, drei Häuser auf dem Lande und Latifundien im Wert von einer halben Million Euro besitzt.

Dennoch ist dieses Ranking weit mehr als ein launiges Zahlenspiel. Es zeigt immerhin, dass ein derzeitiger Minister im Schnitt 913.000 Euro besitzt – ein Normalbürger gerade ein Viertel davon, nämlich knapp 230.000 Euro. Auch haben die meisten Kabinettsmitglieder schon länger keinen Beruf mehr ausgeübt und geben bei der Rubrik „Profession“ an: Sie seien „Minister“ und verfügten über „keinen Job“. Premier Jean-Marc Ayrault beispielsweise ist seit 1977 Bürgermeister und seit 1986 ununterbrochen Abgeordneter.

Copé sieht es ein

Was in der Pariser Nationalversammlung zur Regel werden soll, ist im europäischen Parlament (EP) übliche Praxis. Brüssel schreibt seinen Abgeordneten vor, sämtliche Einkünfte offen zu legen. Die EP-Webseite lässt erkennen, dass viele Mandatsträger ein Doppelleben führen. So verdient der Düsseldorfer Christdemokrat Klaus-Heiner Lehne als Wirtschaftsanwalt mehr als 10.000 Euro monatlich hinzu. Und der konservative Österreicher Paul Rübig hat zusätzliche Einkünfte, weil er bei der Industrie-und Handelskammer seines Landes angestellt ist. Mit anderen Worten, trotz aller Transparenz kann die EU Nebenjobs nach wie vor weder verbieten noch einschränken. Das bleibt den Entsende-Ländern überlassen, die sich redlich bemühen: So kann in Estland kein Berufspolitiker gleichzeitig in einem Aufsichtsrat sitzen. In der Slowakei ist sogar jede andere Tätigkeit prinzipiell verboten. In Kerneuropa aber wird allein Frankreich Nebenjobs rigoros eingrenzen.

Präsident Hollande könnte gelingen, woran viele seiner Vorgänger scheiterten. Schon ein sozialistischer Premier wie Lionel Jospin hatte Kommissionen eingesetzt, die zu den gleichen Empfehlungen kamen, wie sie die jetzige Regierung in Gesetzesform bringen will. Doch dachte eine Mehrheit der Abgeordneten – gleich welcher Partei – nicht daran, sich in ihren Freiheiten beschneiden zu lassen. Will jedoch eine sozialistische Exekutive 2014 sechs Milliarden Euro an Steuern mehr erheben, sorgt das für erheblichen Druck, selbst sparsam zu sein.

Eine erste Bekehrung kann das neue Gesetz vor seiner Verabschiedung schon vorweisen: Jean-François Copé, Parteichef der Konservativen, hat sein Amt als Wirtschaftsanwalt niedergelegt.

Annika Joeres schrieb zuletzt über die Unterschiede zwischen François Hollande und Ex-Kanzler Gerhard Schröder

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