Zeit für die Grundsatzfrage: Kippen auf die Schwarze Liste?
Pro und Contra Rückschlag für die Rauchfreiheit: Neuseelands neue Regierung hat den Beschluss gecancelt, den Jahrgängen ab 2009 das Rauchen zu verbieten. In Berlin und London arbeitet man hingegen weiter an der schrittweisen Illegalisierung
„Kann ich mir eine Tschick wuzeln?“, fragte mich eine Wiener Freundin. Schnell drehte sie aus Blättchen und bisschen Tabak eine Zigarette, dann standen wir schon am Gehsteig. Vor einer der wenigen Nichtraucherkneipen in Berlin glühten Zigaretten wie Sterne. Und wir waren einig: Rauchen ist einfach scheiße. Neuseeland wollte es nach 2009 Geborenen daher einfach ganz verbieten – bis dieser Tage die neue Mitte-rechts-Regierung unter Christopher Luxon den Plan von dessen Vorgängerin Jacinda Ardern kassierte, quasi als erste Amtshandlung. Ein Sieg für Marianne, die heute keine Trikoloren-Fahne mehr hochhält, sondern eine Kippe?
Der Einwand hält sich, dass sich jeder Mensch ja selbst entscheiden könne zu rauchen – und sich dadurch
1; und sich dadurch in die Hände der Tabakindustrie zu begeben. Ganz so simpel ist es aber nicht. Ja, man kann sich in den meisten Fällen aussuchen, ob man damit anfängt oder nicht. Und theoretisch kann man vielleicht sagen, es gehe ja jeder Kippe eine freie Entscheidung voraus – Sucht verstanden und abgehakt. Unabhängig davon kann man es sich nicht ohne Weiteres aussuchen, in welcher Gesellschaft man lebt. Und hier liegt der springende Punkt.In den Wirtschaftswissenschaften spricht man viel von kultureller Einbettung. Damit ist gemeint, dass Entscheidungen einzelner Akteure nur innerhalb ihres kulturellen und institutionellen Rahmens verstanden werden können. Dieser Rahmen aber wird seit über einem Jahrhundert durch eine aggressive Tabakindustrie mitgeprägt, die immer wieder mit der Politik und dem Kulturbetrieb anbandelt. Vor allem Letzterer trug stark dazu bei, dass man Rauchen so oft mit Coolness assoziiert.Die Beispiele im Film sind endlos: Audrey Hepburn, James Bond, Uma Thurman. Auch in der Literatur wird oft über Zigaretten geschrieben, gerne als romantisierte Metapher. Selbst strengste Nichtraucher*innen geben zu, dass das Rauchen cool, gar attraktiv sei. Gestützt durch einen institutionellen Rahmen, der Nikotinprodukte im großen Rahmen verfügbar und deren Konsum so einfach wie möglich macht, entstand in vielen Gesellschaften ein kulturelles und zumindest teil-hegemoniales System, das man die rauchende Gesellschaft nennen kann.Wie sich dieser kulturelle Rahmen – hier also die rauchende Gesellschaft – in individuelle Gewohnheiten einschreibt, hat der italienische Philosoph und Kommunist Antonio Gramsci aufgezeigt. Kulturelle Hegemonie heißt, dass sich soziale Normen in eine Sphäre des Unhinterfragbaren erheben – wodurch am Ende die Interessen einer herrschenden Gruppe, in diesem Fall der Tabakindustrie, als Allgemeininteressen daherkommen. In der rauchenden Gesellschaft ist die freie Entscheidung eine Schimäre. Das zeigt schon die Tatsache, dass Kinder aus rauchenden Haushalten wahrscheinlicher selbst zur Zigarette greifen. Es geht hier nicht um freie Entscheidungen. Das wird in dieser Debatte nicht hinterfragt.Der neoliberale Individualismus behauptet: Ein allgemeines Rauchverbot schränkt die Entscheidungsfreiheit ein. Er übersieht systematisch, dass es diese nie gegeben hat. Die Maßnahmen der letzten Jahre – etwa die Aufklärung über die Folgen der Zigarette – fördern vor allem die Kreativität der Tabakindustrie, sich neue, vermeintlich gesündere Produkte auszudenken. Sie lassen aber den hegemonialen Rahmen der rauchenden Gesellschaft unangetastet. Es braucht hier also kollektive Maßnahmen. Durch ein allgemeines Rauchverbot hätten künftige Generationen eine wirkliche Freiheit zu gewinnen, nämlich die Rauchfreiheit. Während der reale Verlust, ökonomisch, kulturell und institutionell, bei der Tabakindustrie läge. Lorenz Füsselberger ContraWie viele ihrer Kameraden hat Alice Weidel Angst vor einem Fleischverbot. „Niemand geht an mein Schnitzel!“, rief die Co-Chefin der AfD kürzlich mit verzerrter Miene ihren Fans auf dem Gillamoos in Bayern zu. Okay, es mag Grüne geben, die Schweinshaxen und Bratwürste gerne auf eine Schwarze Liste setzen würden. Aber ehrlich: Wer fordert so was denn öffentlich?Es ist ein anderes Genussmittel, um das wir uns sorgen müssen: die Zigarette. Auch wenn gerade ganz andere Themen die Nachrichten dominieren: Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) arbeitet an einem Gesetz, das Qualmen im Auto zu verbieten, wenn Kinder und Schwangere an Bord sind. Und wer den Sozialdemokraten kennt, der weiß: Das reicht Karl, dem Gesunden nicht! 2019 offenbarte er, dass er Raucher am liebsten ganz von öffentlichen Plätzen verdrängen würde, in so kleine gelbe Dreiecke, wie auf den Bahnhöfen. Also, wieso brüllen Weidel und Konsorten nicht täglich „Niemand geht an meine Kippe!“ von den Bühnen?Wahrscheinlich liegt es daran, dass Faschisten schon immer eine schlechte Beziehung zum Glimmstängel hatten: Mussolini und Franco waren strikte Nichtraucher – und auch die Nationalsozialisten kämpften gegen das „Rassengift“. Wenn es einen Staat gibt, der so liberal wie möglich mit Nikotinkonsum umgehen sollte, dann ist es schon daher Deutschland.Im fernen Neuseeland wurde zum Jahreswechel beschlossen, ab dem Geburtsjahrgang 2009 den Tabak ganz zu verbieten. Nun wurde das gekippt. Ob nun der britische Premier Rishi Sunak dem folgt, der Neuseelands nunmehr gecancelte Verbotspolitik als Vorbild nannte? Schwer zu sagen. Denn es geht hier nicht nur um die Gesundheit: Konservative verachten das proletarische Odium, das am Rauchen haftet: Es ist die Durchschnaufpause für die gestresste Krankenschwester, für den Mann von der Müllabfuhr oder den Möbelpacker, der seit Jahren kurz vorm Bandscheibenvorfall steht.Eine Untersuchung der Uni Düsseldorf aus dem Jahr 2018 belegt: In ärmeren Haushalten wird mehr geraucht. In der Gruppe jener, die mit weniger als 1.000 Euro Nettoeinkommen klarkommen müssen, hängen 37 Prozent an der Zigarette; bei über 5.000 Euro sinkt die Quote auf 23 Prozent. Und das hat sicher nichts mit Bildung zu tun, sondern: mit Stress. Erst lässt dieser Kapitalismus die Leute schuften für einen Niedriglohn – lebt mal von weniger als 1.000 Euro im Monat –, und dann nimmt ihnen der Staat auch noch ihren Pausensnack? Wofür? „Volksgesundheit“?Damit kennen wir uns ja aus: Es waren deutsche Wissenschaftler, die in den 1920ern erstmals überhaupt eine Verbindung zwischen Rauchen und Lungenkrebs nachgewiesen haben. Adolf Hitler führte dann, echt wahr, den Aufstieg des NS auf die Tatsache zurück, dass er das Rauchen an den Nagel gehängt hatte. 1919 warf er seine Zigaretten in die Donau und zündete sich nie wieder eine an. 1941 ließ er der Universität Jena 10.000 Reichsmark überweisen, um dort ein „Institut zur Erforschung der Tabakgefahren“ zu etablieren.Also, wie wär’s mit Rauchen gegen rechts? Und wer keinen Akt des antifaschistischen Widerstands darin sehen will, wenn er eine neue Packung aus der Tasche holt, auch gut! Der kann sich dann wenigstens auf den wichtigsten Wert überhaupt berufen: Solange man nur sich selbst und keinem anderen schadet, sollte eine Handlung erlaubt sein – so will es das „Freiheitsprinzip“ von John Stuart Mill. Und wo es tatsächlich anderen schadet, ist das Rauchen ja auch hierzulande verboten. Keinen Fußbreit weiter! Dorian BaganzPlaceholder authorbio-1
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