Cannabis-Legalisierung: Halbgar? „Immerhin wird es 180.000 Strafverfahren weniger geben“
Interview Der Plan der Ampel-Koalition sei die liberalste Regelung Europas, aber die prohibitionistischste Legalisierung der Welt, sagt der Vorsitzende des Dachverbands Deutscher Cannabis Social Clubs, Steffen Geyer
Freundinnen des Kiffens feiern am 20. April 2023 am Brandenburger Tor in Berlin den Welt-Cannabis-Tag. „Seit in der Lindenstraße Gras angebaut wurde, ist das Thema gesellschaftlich eigentlich durch“, sagt Steffen Geyer.
Bild: Sabine Gudath/Imago
dere Freitag: Herr Geyer, entspricht der zurzeit diskutierte Gesetzentwurf zur Teillegalisierung von Cannabis in etwa dem, was Sie als Hanfaktivist seit Jahrzehnten fordern?
Steffen Geyer: Ich würde mir ein ganz anderes Gesetz wünschen. Der Dachverband der Social Clubs hat ja auch ein alternatives Gesetz entwickelt. Man könnte zum Beispiel den Tenor des Gesetzes komplett ändern, wenn man den Mut hätte, im Paragraf 2 nicht zu schreiben, „es ist verboten, Cannabis zu besitzen“, sondern „es ist genehmigungspflichtig“.
Was genau würde das ändern?
Damit würde man den natürlichen Zustand von Cannabis in das Erlaubte hineinholen, was die Lesart von Gerichten und Polizei stark beeinflussen würde. So wie es jetzt ist, kann immer
im Paragraf 2 nicht zu schreiben, „es ist verboten, Cannabis zu besitzen“, sondern „es ist genehmigungspflichtig“.Was genau würde das ändern?Damit würde man den natürlichen Zustand von Cannabis in das Erlaubte hineinholen, was die Lesart von Gerichten und Polizei stark beeinflussen würde. So wie es jetzt ist, kann immer noch jeder Polizist ermitteln und jede Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleiten. Wenn ich ein Gesetz schreiben müsste oder könnte, wäre das deutlich kürzer. Ich würde Cannabis einfach im Jugendschutz bei Tabak und Alkohol ergänzen. Cannabis ist keine risikoreiche Pflanze und auch die daraus hergestellten Genussmittel sind nicht risikoreich. Es gibt keinen rationalen Grund, Cannabis härter zu regulieren als Tabak oder Wein.„Ich will nicht, dass 16-Jährige auf den Schwarzmarkt getrieben werden“Die Abstimmung im Bundestag zum geplanten Gesetz ist nun auf die letzte Sitzungswoche zwischen dem 13. und 15. Dezember verschoben worden. Wenn diese dann tatsächlich stattfindet, könnte es frühestens im März 2024 in Kraft treten. Brächte das dann trotz der von Ihnen aufgeworfenen Kritikpunkte Vorteile für die Konsumenten?Wir würden dann zugleich die liberalste Cannabisregelung Europas und die prohibitionistischste Legalisierung der Welt haben. Im Grunde genommen ist es eine Prohibition 2.0, wenn es so bleibt, wie es jetzt ist. Dennoch haben wir so gute Chancen, dass es im nächsten Jahr etwa 180.000 Strafverfahren weniger gibt und das kann ich nicht anders als einen Fortschritt nennen. Denn durch meine Arbeit bei der Grünen Hilfe weiß ich, was für traumatische Erfahrungen eine Strafverfolgung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz mit sich bringen kann.„Alles, was ein Zentralnervensystem hat, sucht den Rausch – wir sind da sozusagen Opfer unserer Biochemie“Wie stehen Sie zu der Kritik der Ärzteverbände, dass das Mindestalter von 18 Jahren in dem momentanen Gesetzentwurf zu niedrig sei?Das menschliche Gehirn entwickelt sich ein Leben lang weiter und ist nicht mit 25 Jahren fertig entwickelt, wie da vielfach behauptet wird. Das ist eine willkürliche Grenze, wovon wir hier viele haben. Und es gibt Studien dazu, dass Cannabis, wenn überhaupt, nur reversible Schäden verursacht – im Gegensatz zum Alkohol beispielsweise. Cannabis ist der normalen Biochemie des menschlichen Körpers so ähnlich, dass es im Grunde fast keine messbaren Schäden hinterlässt. Ich persönlich halte die hohen Altersgrenzen, die da ins Spiel gebracht werden, für falsch, weil es ja gerade die vulnerabelsten Gruppen allein lässt. Ich will nicht, dass 16-Jährige auf den Schwarzmarkt getrieben werden. Wenn ein Jugendlicher mit Bier erwischt wird, wird der bestraft, der ihm das Bier verkauft hat. Das Cannabis-Gesetz in seiner jetzt diskutierten Form sieht dagegen explizit vor, dass die Jugendlichen selbst Ärger bekommen. Da ist immer noch so eine generalpräventive Wirkung unterstellt, die die Jugendlichen aber nicht abschreckt.Also argumentieren auch die Ärzteverbände letztlich politisch?Jeder, wer an den Ausschüssen zum Gesetzentwurf beteiligt ist, hat eine politische Motivation. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Dahinter stehen finanzielle Interessenkonflikte. Wir sind da einfach nicht ehrlich, das ist ein Politikbereich, der von Unehrlichkeit geprägt ist, weil er ja schon von Unwissenschaftlichkeit geprägt ist. Ich unterstelle denen keine böse Absicht. Das Problem sind die verzerrten Stichproben, aus denen die ihre Daten bekommen. Kinderärzte, die Cannabis ablehnen, sind wie Feuerwehrleute, die Häuser ablehnen, weil sie sie so oft brennen sehen. Die gehen halt davon aus, dass alle Cannabiskonsumenten solche Probleme haben wie die paar, die wegen psychischer Probleme oder so in deren Praxen kommen. Jedes Rauschmittel kann eine toxische Psychose auslösen und ein Prozent der Bevölkerung hat eine genetische Disposition für Psychosen – und dieses eine Prozent haben wir in Ländern mit genauso wie in denen ohne Cannabis-Legalisierung. Es kann also nicht sein, dass es da eine kausale Beziehung gibt. Das ist ein Mythos, dicht gefolgt von dem der Einstiegsdroge und dem so genannten Amotivationssyndrom. Da wird halt immer eine neue Sau durchs Dorf getrieben.Dass es gesundheitliche Risiken auch beim Cannabis-Konsum gibt, können Sie aber doch nicht komplett leugnen?Natürlich hat jede Substanz Risiken. Auch wer Gummibärchen isst, lebt nicht risikofrei. Die Frage ist, ob wir diese Risiken durch ein Verbot dezimieren. Die Idee war ja, dass durch das Verbot die Nachfrage in sich zusammenbricht und so dann auch das Angebot und damit das Problem gelöst ist. Das ist aber nicht der Fall – Menschen sind Lebewesen, die sich gern berauschen. Alles, was ein Zentralnervensystem hat, sucht den Rausch, wir sind da sozusagen Opfer unserer Biochemie. Es gibt ein Bedürfnis danach und das bekommen wir nicht weg, wenn wir die Substanz verbieten. Was wir durch das Verbot aber wegbekommen, ist die staatliche Kontrolle. Keine Droge wird für die Gesellschaft risikoärmer, wenn wir Jugendschutz, Qualitätskontrolle, Verbraucherschutz und so weiter der Mafia überlassen.Würden Sie so auch für andere Drogen argumentieren?Nahezu jedes Argument, dass man für die Legalisierung von Cannabis finden kann, gilt auch für alle anderen Substanzen. Es gibt keine einzige Substanz, die ungefährlicher wird durch die Art, wie wir es jetzt handhaben. Deshalb wäre es auch falsch, als Reaktion auf die Risiken von Alkohol und Tabak zu sagen, dann verbieten wir die beiden Substanzen auch einfach. Insofern muss man den Mut haben, offen darüber nachzudenken, wie wir das als Gesellschaft gut regeln können. Hilft es den Konsumenten wirklich, wenn wir sie zusätzlich auch noch auf den Schwarzmarkt treiben und die Gesundheitskontrolle des Staates abschaffen? Die Substanzen stattdessen in Apotheken anzubieten, an Orten, an denen Beratung stattfinden kann, wäre doch viel besser als schmuddelige Ecken in Parks. Es gibt für jede Droge einen vernünftigeren Abgabeweg als das Totalverbot. Im Moment bricht das zum Glück auf. Wir diskutieren in einem globalen Maßstab über die Legalisierung von Cannabis. Schön sieht man das in den USA und in Kanada, dort ist die Akzeptanz für einen legalen Cannabismarkt schon relativ hoch und es wird jetzt der nächste Schritt gegangen: Da wird jetzt Psilocybin, also Magic Mushrooms, zugelassen. Und auch das MDMA ist auf einmal wieder für Psychotherapie verwendbar, nachdem man es jahrzehntelang verteufelt hat. Wir verschwenden im Moment als Gesellschaft einfach wahnsinnig viel Potenzial, um kreativer, produktiver, erholter und sozial verträglicher zu leben.„Seit im Fernsehen in der Lindenstraße Gras angebaut wurde, ist das Thema gesellschaftlich eigentlich durch“Warum ist man in Deutschland da Ihrer Meinung nach so träge und uneinsichtig?Das ist die Feigheit alter Männer, die prinzipiell den Status quo erhalten wollen. Und es ist ja eine politische Binse, dass nur Nixon nach Peking konnte, dass nur Schröder die Sozialsysteme derartig schleifen konnte und nur Merkel konnte die Homo-Ehe einführen. Wenn die SPD versucht, Cannabis zu legalisieren, wird die CDU alles dagegen aufbieten. Wenn aber die CDU für die Legalisierung ist, halten die Leute, die von ihr abhängig sind, in der Öffentlichkeit die Füße still. Seit in der TV-Serie Lindenstraße Gras angebaut wurde, ist das Thema gesellschaftlich eigentlich durch. Aber die Politik hinkt der gesellschaftlichen Realität hinterher und tabuisiert es stattdessen und überzieht es mit Klischees. Die Bilder, die da immer noch suggeriert werden sollen, sind aus Wir Kinder vom Bahnhof Zoo oder von mir aus auch Bob Marley oder Snoop Dogg. Aber das alles sind keine Beispiele für die Leute, die sich in der Legalisierungsbewegung engagieren. Das sind Lehrer, Rechtsanwälte, Polizisten und Krankenschwestern, stinknormale Leute halt, die einfach nur Spaß an einem anderen Genussmittel haben. Und die lassen sich das nicht nehmen, die machen das heute und in Zukunft. Aber sie würden es gern sauber und günstig machen und mit all den Schutzprivilegien, die man als Konsument im Kapitalismus nun mal so bekommt. Und wenn’s gut läuft, würden einige mit ihrem Hobby auch noch Geld verdienen wollen.Sie waren ja auch in einem Ausschuss des Bundestages zum Gesetzentwurf dabei. Wie hat man dort Ihre Argumente aufgenommen?Ich hatte 90 Sekunden Redezeit. Die restlichen zwei Stunden habe ich tapfer durchgehalten und mir die vielen Bedenken anhören müssen. Aber es war zu merken, dass die anwesenden Politikerinnen und Politiker, auch die von der CDU, sich damit abgefunden haben, dass jetzt was passiert. Das wird inhaltlich nicht mehr infrage gestellt, die Frage ist nur noch, wie viele Zugeständnisse die Vertreter der Ampel Karl Lauterbach noch abtrotzen können. Das Problem ist, dass Lauterbach wenig Interesse und noch weniger Ahnung hat. Und er hat zwei Ängste: Er will nicht der neue Andreas Scheuer werden, also schuld daran sein, dass Deutschland in zwei Jahren Strafzahlungen an die EU zahlen muss. Und er will auch nicht in die Geschichte eingehen als derjenige, der Deutschland zum Narco-Staat gemacht hat. Das kann man ihm nur teilweise vorwerfen, weil er ja eigentlich wegen Corona Gesundheitsminister geworden ist. Das Cannabis-Gesetz ist nur ein Stiefkind für ihn, mit dem die Ampel bei sonst wenig Gemeinsamkeiten doch etwas zusammen auf die Reihe kriegen kann.Hat denn Lauterbach auch mal das Gespräch mit der Legalisierungsbewegung gesucht?Nein, bis heute hat er nicht mit der Szene gesprochen. Weder mit dem Deutschen Hanfverband noch mit dem Dachverband oder der Patientenvereinigung. Aber die Kinderärzte, Jugendpsychiater und Verkehrspsychologen, die ganzen Bedenkenträger und Prohibitionsgewinnler geben sich bei ihm die Klinke in die Hand. Und ich möchte wetten, dass die Beamten im Gesundheitsministerium dieselben sind, die seit 20, 30 Jahren die Prohibitionskampagnen abwickeln. Die haben einfach keinen Bock, dazuzulernen und ihre Köpfe mal in die andere Richtung zu drehen.„Unter Nazis gibt es genau so viele Kiffer wie bei der CDU oder den Grünen“Würden Sie sagen, dass es bei der bisher angewandten restriktiven Handhabe des Staates auch um eine gewisse Angst vor progressiven oder kritischen Menschen geht?Ich glaube nicht daran, dass Cannabis bessere Menschen macht. Unter Nazis gibt es genau so viele Kiffer wie bei der CDU oder den Grünen. Wir erfahren als Cannabiskonsumenten einfach so viel Substanzismus, dass wir den manchmal selbst auch auf andere projizieren. Fast alle Menschen haben einen legalen Drogenmarkt nie erlebt. Das ist so sehr Teil unserer Sozialisierung, die die meisten nicht hinterfragen. Ich würde es auf jeden Fall entpolitisieren. Wir haben ja auch keine politischen Diskussionen über Gummibärchen oder Schokoriegel. Und genau diesen Status müssen Cannabisprodukte auch wieder bekommen, wie sie ihn vor 100 Jahren ja auch noch hatten. Vor 100 Jahren wäre ein Gespräch wie dieses hier völlig undenkbar gewesen. Niemand hätte verstanden, warum wir so ein Bohei darum machen.Und es wäre ja durchaus auch ein wirtschaftlicher Faktor. Inwiefern würde sich eine Legalisierung ökonomisch auszahlen? Es würden jährlich mindestens vier Milliarden Euro für den Steuersack herauskommen. Etwa 1,8 Milliarden durch wegfallende Repressionskosten und 2,2 Milliarden plus x durch Cannabissteuern, Umsatzsteuern etc. Und es würde erst mal etwa 25.000 bis 30.000 versicherungspflichtig Beschäftigte in der Branche geben, aber eben nicht auf die Art, wie es nach dem jetzigen Gesetzentwurf geregelt werden würde. Aber ich glaube auch, dass das Gesetz nur der erste Schritt sein wird. Der zweite wird vielleicht weitere zehn Jahre brauchen, aber er wird kommen, schon weil unsere Nachbarländer mutigere Schritte gehen werden als wir. Liechtenstein, die Niederlande, Tschechien und auch Polen diskutieren eine Legalisierung, und zwar nicht so eine halbgare wie hier.
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