Propaganda und Zensur bei der "Zeit"

Russlandbashing: Mit den Rüstungsetats der USA (649 Mill. $) und Russlands (61 Mill. $) wird versucht zu argumentieren, dass Russlands Rüstung den Westen bedroht und nicht etwa umgekehrt

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Auf "Zeit online" hat Michael Thumann am 30. August das Propagandakunststück versucht, den Lesern zu erklären, warum – ausgehend von den Zahlen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), USA 649 Milliarden $, Russland 61,4 Milliarden $ die russische Rüstung den Westen bedroht und nicht etwa umgekehrt. Das sei so, weil "Putin" (personalisieren ist alles, in Russland ist alles "Putin") den russischen Rüstungsetat systematisch kleinrechne – und natürlich steckt dann hinter den kleingerechneten Zahlen auch noch ein perfider "Plan" zur Irreführung, selbstverständlich "Putins Plan".

Hier der Link zum Artikel: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-08/russland-wettruesten-militaerausgaben-raketentests-usa-europa

Hier die Seite von SIPRI: https://www.sipri.org/

Nun erst einmal, möge doch jemand einmal den Staat (vielleicht außer dem Vatikan oder San Marino) nennen, der seinen Militäretat NICHT kleinrechnet, denn Militärausgaben sind in keinem Land besonders beliebt. Thumann bleibt in seinem Propagandastückchen auch jede weitere konkrete Zahl schuldig. Um wieviel soll denn "Putin" den russischen Militäretat kleingerechnet haben? Soll der Etat in Wirklichkeit gar doppelt so hoch sein? Das wären dann im Verhältnis zum US-Rüstungsetat immer nur gerade einmal weniger als ein Fünftel.

Wie auch immer, ein solcher Propagandaansatz wie hier von Thumann kann nur daneben gehen.

Der "Zeit"-Artikel hat die große Zahl von 582 Kommentaren provoziert, viele davon ausgesprochen kritisch. Nun wollte ich auch einen Kommentar (wegen der Länge auf zwei geteilt) anbringen. Ich habe es zweimal versucht, an zwei verschiedenen Tagen, und in beiden Fällen hat die Moderation ihn nicht zugelassen.

Hier nun der abgelehnte Kommentar:

Das ist ein Propagandaartikel.

Lesen Sie mal: https://www.rubikon.news/artikel/die-russen-kommen.

Nun mag der Autor den russischen Militärschattenhaushalt vielleicht unterschätzen.

Ein sicher nicht Russland-freundliches Institut in Estland (International Centre for Defense and Security) rechnet mit bis zu 40 %, die man noch in Schattenhaushalten draufrechnen muss. Dann hätten wir bei 61,1 Milliarden Dollar offiziellem Militärhaushalt real 85,5 Dollar.

https://icds.ee/what-is-hidden-in-russias-military-budget/

Der gesamte „National Security“ Haushalt der USA – also der offizielle Militärhaushalt zuzüglich aller in anderen Haushalten versteckten Positionen – beläuft sich auf ca. 1,25 Billionen Dollar.

http://www.tomdispatch.com/post/176561/tomgram%3A_hartung_and_smithberger%2C_a_dollar-by-dollar_tour_of_the_national_security_state/

Das ergibt mit Schattenhaushalten ein Verhältnis USA–Russland von 1 zu 14,62. Wenn man also auf beiden Seiten die Schattenhaushalte einrechnet, zeigt sich zeigt sich die Aggressivität der USA sogar noch stärker. Wenn man also auf die Fakten schauen würde, würde sich Thumanns Aussage sogar noch in ihr Gegenteil verkehren.

Aber das kann ja auch noch nicht alles sein: Warum blendet Thumann völlig aus, dass die USA noch das komplette NATO-Bündnis hinter sich haben, und die Russen nichts?

Die Rüstungsausgaben der 28 anderen NATO-Staaten betragen zusammen 314 Milliarden Euro – und das ist ohne Schattenhaushalte!

Nun haben nicht nur Russland und die USA Schattenhaushalte für das Militär – das haben andere Länder auch. Wieviel können wir auf die 314 Milliarden noch draufrechnen? Gehen wir mal davon aus, dass europäische NATO-Länder weniger militarisiert sind als die USA und Russland und auch die parlamentarische Kontrolle besser ist. Rechnen wir also nur 20 % drauf, das ergibt dann insgesamt 376,8 Milliarden Dollar.

Somit erhalten wir: NATO gesamt mit Schattenhaushalten 1626,8 Milliarden Dollar, Russland 85,5 Milliarden Dollar.

Das ergibt ein Verhältnis NATO-Russland von 19,14 zu 1.

Also: Das ist ein Propagandaartikel.

Soweit der abgelehnte Kommentar. Mich würde doch sehr interessieren, in welchen Punkten er gegen die Kommentarregeln bei der "Zeit" verstoßen hat. Man findet sie hier: https://www.zeit.de/administratives/2010-03/netiquette/seite-2.

Oder ist es vielmehr so, dass sich dieser Kommentar zu schlecht mit dem beabsichtigten Propanda-Spin dieses Artikels vertragen hätte? Sind konkrete Zahlen, die die Propaganda konterkarieren, nicht erwünscht?

Diese Einengung des als zulässig angesehenen Diskussionsfeldes wirkt noch auffälliger, wenn man sich daran erinnert, dass die "Zeit" in ihrer Ausgabe vom 5. September 2019 mit einigem Tamtam die neue Rubrik "Lasst uns streiten!" aus der Taufe gehoben hat. Dazu heißt es auf Seite 1: ... zwischen den Polen, in der Mitte, steht eine große Anzahl von Menschen, die sich hart, aber sachlich auseinandersetzen möchten. Diesen Menschen und ihren Argumenten geben wir eine Bühne. "Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine", hat unserer früherer Herausgeber Helmut Schmidt einst gesagt; wir nehmen ihn beim Wort. Nun, man sollte nicht einen längst Verstorbenen, sondern besser die "Zeit"-Redaktion beim Wort nehmen.

Aber hier wird ja auch nicht einmal verklausuliert gesagt, wer sich hier äußern darf: die "in der Mitte". Und das sind eben nur die, die in dem vom Mainstream vorgegebenen engen Rahmen des als zulässig Vorgegebenen bleiben. Wenn man das dann als große Neuerung unter dem Begriff "Streit" verkaufen will, macht man den Lesern ein X für ein U vor.

Die ständige Verengung dieses Diskussionsrahmens im Mainstream der Öffentlichen / veröffentlichten Meinung hat Rainer Mausfeld sehr anschaulich herausgestellt. Ich zitiere aus einem Artikel der Nachdenkseiten: Dies führt zu dem vielleicht zentralen Element der Lenkung der öffentlichen Meinung: der Einschränkung des Spektrums, innerhalb dem eine Meinung noch als zulässig anerkannt werden darf. Rainer Mausfeld beschreibt hier ausführlich, wie seit der Zeit der Aufklärung dieser Korridor nicht nur immer weiter verkleinert wurde, sondern auch, wie stark er in diesen reichlich zwei Jahrhunderten drastisch nach rechts verschoben wurde. Das, was heute als ganz weit linksaußen, gerade noch innerhalb des akzeptablen Meinungsspektrums befindlicher Standpunkt dargestellt wird, hat mit dem, was zu Zeiten der Aufklärung links war, überhaupt nichts mehr zu tun. Sukzessive wurde der zulässige Debattenraum konstant verkleinert und immer weiter in das damals – zur Zeit der Aufklärung – rechte Meinungsspektrum verschoben. Gleichzeitig wird jedoch innerhalb dieses Spektrums eine lebhafte Debatte nicht nur zugelassen, sondern sogar noch befeuert, um somit den Anschein einer funktionierenden Demokratie zu erwecken, die selbst kritische, abweichende Meinungen zulässt. Das mitgelieferte Schaubild zeigt auf einen Blick, was gemeint ist.

https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=53505).

Mausfeld beschreibt hier genau, was der Hintergrund des angeblichen Ressorts "Streit" bei der "Zeit" ist. Im "Freitag" hat kürzlich Christian Baron gerade die "Zeit" und ihr neues "Streit"-Ressort als Musterbeispiel für diese Einengung und Täuschung ausgewählt:

Als „repressive Toleranz“ bezeichnete Herbert Marcuse einmal die Tendenz, das Unwichtige zu dulden, damit das Wesentliche nicht zur Sprache kommt. Der Philosoph beobachtete in den 1960er Jahren, dass in der damals jungen Demokratie der BRD wilde Debatten auf Nebenschauplätzen tobten, während das Fundament der Herrschaftsverhältnisse unangetastet blieb.

Wer heute so manche der massenmedial und in den sogenannten sozialen Netzwerken geführten Debatten verfolgt, der bemerkt schnell, wie aktuell die „repressive Toleranz“ ist. Die auflagenstarken Leitmedien befinden sich in Deutschland beispielsweise im Eigentum großer Konzerne. Und die sehnen eher keine Debatten herbei, in denen etwa das bestehende Wirtschaftssystem infrage gestellt wird. Sie diktieren der Redaktion nicht, was sie schreiben soll. Und doch müssen einstellungswillige Journalisten zuvor unter Beweis gestellt haben, dass niemand ihnen sagen muss, was sie schreiben sollen.

So gilt es in der Zeit, die jüngst in ihrer Printausgabe ein Ressort namens „Streit“ eingeführt hat, als Gipfel der Meinungsfreiheit, in einem 2018 erschienenen „Pro und Contra“ unter der Überschrift „Oder soll man es lassen?“ zu debattieren, ob private Seenotrettung von Flüchtlingen legitim sei. Die Redaktion schwenkte den Scheinwerfer also von denen, die das Flüchtlingsleid erzeugen, auf jene, die es zu lindern versuchen. Noch nie dagegen hat die Zeit eine Diskussion angezettelt zur Frage, ob Banken und Schlüsselindustrien verstaatlicht gehören oder große Vermögen und Erbschaften konsequenter und sehr viel höher besteuert werden müssten. Da würde sich die Frage nach Vergesellschaftung von Produktionsmitteln und Einhegen der Marktwirtschaft stellen. Stattdessen bestätigt sich Marcuses Diagnose: Bei Konzernmedien sind die Grenzen des Sagbaren erreicht, wenn die Interessen der Eigentümer ins Spiel kommen. Nun hat sich in den vergangenen Jahren das Internet zu einer Meinungsmaschine entwickelt, in der (zumindest in demokratisch verfassten Staaten) unabhängig von Verlegern oder Chefredakteuren jeder Mensch seine Meinung frei äußern kann. So weit die Theorie. Denn tatsächlich stellen sich in der Ära des digitalen Kapitalismus und in Zeiten des Rechtsrucks alte Fragen neu: Welche Rolle spielen Tech-Konzerne wie Google bei der Verbreitung von Meinungen? Wie verändern sich Debatten, wenn die „alten weißen Männer“ abgetreten sind? Kann es einen „herrschaftsfreien Diskurs“ geben? Existieren linksliberale „Meinungskorridore“, wie manch konservativer Intellektueller beklagt? Christian Baron

https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/was-darf-man-heute-noch-sagen

So ist auch schon der erste "Streit"-Beitrag in der "Zeit" vom 9. September sicher ein negatives Beispiel. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer diskutiert mit drei Wählern (eine AfD-Anhängerin, ein Unternehmer, der FDP gewählt hat, und jemand, der sich selbst als "Wechselwähler" bezeichnet) über Politik und die Wahl in Sachsen. Alle drei Vertreter der wählenden Bürger äußern hier Meinungen, die klar im rechten Spektrum und außerhalb dessen, was man so stehen lassen könnte, zu verorten sind. Wie schön, dass es da den Helden Kretschmer gibt: In dieser "Streit"-Folge erscheinen die drei Wähler wie der dunkle Hintergrund, vor dem Kretschmer als demokratischer Strahlemann umso heller glänzen kann.

Vielleicht hätte man Michael Kretschmer ja nicht mit diesen drei Wählern, sondern etwa mit jemandem wie Wolf Wetzel "streiten" lassen können. Von Wetzel stammt der erhellende Artikel "das Ossi- und AfD-Phänomen" vom 8. September auf den Nachdenkseiten: https://www.nachdenkseiten.de/?p=54609. Das wäre dann vielleicht ein wirklich interessanter "Streit" geworden – aber eben sicher mit Aussagen, die nicht "in der Mitte" (Die "Zeit") gewesen wären, sondern außerhalb des engen "zulässigen Debattenraums" (Mausfeld).

Also: "Streit" bei der Zeit? Vergessen Sie's.

Das ist im Übrigen nicht mein erster Beitrag zum Thema. Im April 2019 war es

Rüstungspropaganda und Zensur in der „Zeit“. Propagandaschleuder Zeit: Die "Zeit" propagiert eine schnelle Aufrüstung und freiere Rüstungsexporte. Argumente sind Europas "Sicherheit" und Russland als böser Popanz. Gegenstimmen unerwünscht.

https://www.freitag.de/autoren/dklose/ruestungspropaganda-und-zensur-in-der-zeit

Wie schrieb der amerikanische Professor für Politische Soziologie Peter Phillips? Konzernmedien sind heute hochkonzentriert und völlig international. Ihr vorrangiges Ziel ist die Förderung von Produktverkäufen und pro-kapitalistischer Propaganda durch die psychologische Kontrolle der menschlichen Wünsche, Emotionen, Überzeugungen, Ängste und Werte: https://www.freitag.de/autoren/dklose/unsere-weltordnung-auf-den-punkt-gebracht

Von ihm können Sie auch noch lesen: Wie sich Mainstreammedien zu Konzernmedien entwickelt haben (How Mainstream Media Evolved into Corporate Media): https://www.projectcensored.org/how-mainstream-media-evolved-into-corporate-media-a-project-censored-history/

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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