ARD-Serie „Everyone is f*cking crazy“: Vier Patient:innen nach dem Tod ihrer Therapeutin

Was läuft Nach dem Suizid ihrer Therapeutin trifft eine bunte Mischung fassungsloser Patient:innen aufeinander – doch der Versuch, das Geschehene zu verarbeiten, endet im Chaos. Dobrila Kontíc über eine Serie, die zu viel will und doch sehenswert ist
Ausgabe 32/2023
Chloë (Maja Bons) und Derya (Via Jikeli) waren Patientinnen von Dr. Thomalla
Chloë (Maja Bons) und Derya (Via Jikeli) waren Patientinnen von Dr. Thomalla

Foto: ARD/SR

Die Eröffnungssequenz hat es in sich: Strahlend blauer Himmel und Nina Simones Feeling Good lassen kurz träumen, bevor eine Frau in Zeitlupe aus großer Höhe durchs Bild fällt – und man direkt ins Geschehen der ARD-Serie Everyone is f*cking crazy katapultiert ist. Die in ihren Tod stürzende Frau ist die Psychotherapeutin Dr. Thomalla (Jeanette Hain), die unter anderen vier junge Erwachsene in Behandlung hatte: die an OCD leidende Chloë (Maja Bons), Malik (Arsenij Walker), der mit Angststörungen und Drogenproblemen zu kämpfen hat, die aggressive, mehrfach vorbestrafte Schröder (Luise von Stein) und schließlich Derya (Via Jikeli), deren genaue Diagnose den anderen verborgen bleibt, weil sie sich als Assistentin Dr. Thomallas und angehende Therapeutin ausgibt. Alle vier schaffen es kurz nach Thomallas Tod in die Praxis vorzudringen, wo sie zum ersten Mal aufeinandertreffen.

Der Schock über den vermuteten Suizid Dr. Thomallas sitzt bei allen vier tief, schließlich wissen sie, wie schwer es ist, überhaupt an einen Therapieplatz zu kommen, geschweige denn eine fürs jeweilige Problem geeignete Therapeutin zu finden. In einer Mischung aus Empathie und Selbstüberschätzung ist Derya willens, die Schicksals- zur Zweckgemeinschaft zu entwickeln: Sie stiehlt Dr. Thomallas Schlüssel und verschafft sich so dauerhaft Zugang zu deren Praxis und Sitzungsnotizen. Mit halbgaren Methoden will sie Schröder, Malik und Chloë in Gruppensitzungen über den Schock hinwegtherapieren. Diese reagieren skeptisch bis hoffnungslos, aber erahnen noch nicht das Ausmaß von Deryas heiklem Täuschungsmanöver.

Die ersten drei Folgen von Everyone is f*cking crazy, die zur Voransicht zur Verfügung standen, führen zunächst an die Lebens- und Leidenswelten der vier jungen Protagonisten heran. So widmet sich die zweite Folge eindringlich dem Ausmaß von Chloës Zwangsstörung, die sie eine mühsame Schrittfolge vor jeder Schwelle und Linie auf ihren Fußwegen vollführen lässt. Zugleich zeigen uns gelungene Horrorsequenzen, was sich dabei in ihrem Kopf abspielt: Wagt sie es, von diesen Ritualen abzuweichen, wird ihren Mitmenschen Grauenhaftes zustoßen, täuschen ihr ihre Gedanken vor – weshalb sie auch meint, Schuld an Dr. Thomallas Tod zu tragen. Unterdessen versteckt Schröder (herausragend von Luise von Stein gespielt) unter ihrem barschen, aufbrausenden Gebaren ein komplexes Gemenge aus Scham und Selbstzweifeln. In Rückblenden zu den Therapiesitzungen mit einer einfühlsamen, aber auch resoluten Dr. Thomalla wird deutlich, dass sowohl Chloë als auch Schröder langsame, aber spürbare Fortschritte in der Auseinandersetzung mit ihren Problemen machten.

Ins Auge sticht in diesen ersten Folgen vor allem die begabte, junge Darstellerriege – neben Luise von Stein tut sich hier vor allem Arsenij Walker hervor, der den von einer Mauer des Sarkasmus umgebenen Malik sehr überzeugend spielt. Und so ergeben sich die sehenswertesten Momente in Everyone is f*cking crazy in den an Dialogwitz nicht armen Gesprächen und Interaktionen zwischen den vier. Doch bedauerlicherweise lassen die ersten drei Episoden zugleich einen Hang zur hastigen Inszenierung erkennen. Der Erzählfluss wird immer wieder durch teils unnötige Montagesequenzen unterbrochen, die, wie viele andere Passagen auch, von zeitgemäß mit Seelenunheil beschäftigter Popmusik unterlegt sind. In diesen Momenten scheint Everyone is f*cking crazy etwas zu sehr auf eine Zielgruppe zu schielen, der man offenbar eine kurze Aufmerksamkeitsspanne unterstellt. Zur Folge hat diese Fahrigkeit leider auch, dass sich die Beziehungen zwischen den interessanten Figuren etwas unvermittelt entwickeln.

Dies verwundert, wenn man an das gelungene Spielfilmdebüt Schwimmen (2019) der Regisseurin Luzie Loose zurückdenkt, die Everyone is f*cking crazy gemeinsam mit Drehbuchautor John-Hendrik Karsten entwickelt hat. Dieses Coming-of-Age-Drama überzeugte nämlich hauptsächlich in seinen Momenten stiller Gefasstheit, die die Unsicherheit der jungen Protagonistin und ihre Sehnsucht nach Anschluss und Geborgenheit inmitten von familiärem Chaos aufs Treffendste einfingen. Bleibt zu hoffen, dass die übrigen fünf Folgen von Everyone is f*cking crazy zu einer erzählerischen Balance und Überzeugungskraft finden, die ihrem wichtigen Thema gerecht wird – das Potenzial ist da.

Everyone is f*cking crazy ab 12. August 2023 in der ARD Mediathek

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