In entgegengesetzter Richtung

Flüchtlinge In Belgrad treffen sich die Züge der Balkanroute. Touristen und Flüchtlinge zwischen Hoffnung und Reisefieber. Die Eindrücke eines Abends ins Belgrad

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In entgegengesetzter Richtung

Foto: Dimitar Dilkoff/AFP/Getty Images

In Belgrad hat es an diesem Juliabend noch immer über 30 Grad. Wir warten auf die letzten Züge, die die Stadt heute noch verlassen. Das Warten ist das Einzige, das die Menschen an diesem Abend am Bahnhof in Belgrad verbindet.

Mit dem Zug nach Georgien, so hat es mein Reiseplan diesen Sommer vorgesehen. Viele Stunden aus der langsam gen Osten rollenden Bahn sitzen, sich an der Landschaft erfreuen, Entschleunigung. Belgrad, Sofia, Istanbul: Stationen, die Touristen mit Kulturdenkmälern und Gastlichkeit verbinden. Für Flüchtlinge auf dem Weg in ein sicheres Europa sind diese Städte Risikoorte. Die Gefahr in die Fänge europäischer Grenzkontrollen zu geraten sind groß. Angst und Hoffnung sind die Reisebegleiter auf dem Weg nach Norden.

Das Medienecho der „Balkanroute“, jener Nord-Süd-Verbindung zwischen der Türkei und Griechenland und den Staaten Zentraleuropas, erreicht uns derzeit mit schockierenden Bildern. Familien, die in der Gluthitze auf die wenigen Züge warten, um dann feststellen zu müssen, dass dieser völlig überfüllt ohne sie abfahren wird. Jugendliche, die stolz und voller Zuversicht von einem Onkel in Schweden erzählen, mit einem Foto in der Hand als letzten Identitätsnachweis. Der eigene Pass ist längst auf dem Grund des Mittelmeeres versunken. Der heftige Seegang auf der langen Überfahrt, dazu der Kampf gegen die Müdigkeit und die Angst einfach aus den völlig überfüllten Booten der Schleuser ins Meer zu fallen, sind die Strapazen der vergangenen Wochen und Monate dieser Menschen. Dagegen ist die Abendhitze in Belgrad nahezu erträglich.

Zwei Züge – zwei Welten

Zwei Züge verlassen an diesem späten Abend die serbische Hauptstadt. Einer dieser Züge fährt nach Süden Richtung Bulgarien. Ein Nachtzug, der am frühen Morgen Sofia erreicht. Der zweite Zug wird noch in der Nacht die Grenze nach Ungarn passieren. Bis dorthin wird der Zug brechend voll sein. Die Grenze selbst ist nur eine Illegalität, der sich die Menschen, die jetzt wartend auf den Bahnsteigen des Bahnhofs sitzen, aussetzen müssen. Hinter der Grenze erwarten sie das Europa ihrer Träume: Sicher, reich und voller Möglichkeiten...Davor wartet ein Grenzzaun mit der ganzen staatlichen Polizeimacht. Und dann: Abschiebehaft, rechtsextreme Übergriffe und Chancenlosigkeit. Die europäische Realität.

Als ich auf den Zug Richtung Süden warte, sitze ich bei einer Gruppe junger Männer, die SMS in arabischen Schriftzeichen verfassen. Ihr Zug wird eine Stunde nach meinem abfahren. Eine Fahrt Richtung Norden. Außer ihrem Handy haben sie nicht viel bei sich. Ein kleiner Rucksack, eine Wasserflasche mit türkischem Markennamen. Wie oft wohl diese Flasche auf Bahnhoftoiletten bereits wieder aufgefüllt wurde? Das Geld für sauberes, frisches Wasser haben hier nur die Touristen. Als solcher öffne ich schlechten Gewissens meine so eben gekaufte serbische Flasche. 14 Cent haben mich die eineinhalb Liter gekostet.

Ich betrachte den etwa dreimal so großen Rucksack, der vor meinen Füßen steht. Ich bin drei Wochen unterwegs. Der deutlich kleinere Rucksack daneben vielleicht schon Jahre. Es sind zwei Welten, die an diesem Abend aufeinandertreffen: Ich suche mein Glück, Erholung und neue Eindrücke im Süden. Der Norden ist das Ziel für die Menschen, die auf den Zug nach Ungarn warten. Mein Pass wird an jeder Grenze rasch abgefertigt. Grenzübertritte ein kleines letztes Abenteuer für die Reisenden. Und so bin ich immer ein wenig stolz auf den Einreisestempel, der mir ein „ich-war-da“ attestiert. Die Menschen mit den „falschen“ Pässen hingegen, möchten einfach nur „hier-weg“!

Auf der anderen Seite

Als der Nachtzug am späten Abend nach Sofia unter den Augen schwer bewaffneter serbischer Polizisten einfährt, erheben sich die Touristen von ihren Plätzen: Rucksäcke mit Isomatten, Tüten voller Proviant für die kaum zehnstündige Fahrt werden gepackt und jeder findet seinen reservierten Platz in einem der Schlafabteile. Man lernt sich rasch kennen, Englisch wird zur offizellen Amtssprache des Zuges und das ein oder andere Bier wird nach den Strapazen des Tages aufgemacht: Backpacker-Romantik, die mich nachdenklich macht. Ich schaue aus dem Fenster, als der Zug langsam den Bahnhof verlässt. Blicke noch einmal zu den jungen Männern, die immer noch geschäftig ihre SMS verfassen. Meldungen in die Heimat – welche auch immer sie damit meinen. Als sie kurz aufblicken, hebe ich zum Abschied meine Hand. Ich wünsche ihnen das Glück, das sie brauchen, um ihr Leben wieder zu finden. Sie wissen, wenn sie einmal in einem der Züge Richtung Süden sitzen, dann wurde ihnen das Leben in Europa verweigert. In diesen Zug möchten diese Menschen auf keinen Fall einsteigen! Denn der fährt nicht ins Glück, sondern in entgegengesetzter Richtung.

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