„Wahlen ändern nichts, sonst wären sie verboten.“ Das ist ein Ausspruch, der Kurt Tucholsky zugeschrieben wird. Bei der Suche nach einem CDU-Chef gilt er nicht: Jetzt, wo man die Unionsanhänger selbst über den Vorsitz hat abstimmen lassen (zum ersten Mal in der Parteigeschichte), haben sie sich für keinen „Establishment“-Kandidaten entschieden – sondern für den konservativen Troublemaker Friedrich Merz. Beim Mitgliederentscheid, dessen Ergebnis heute bekannt gegeben wurde, kommt dieser auf 62,1 Prozent der Stimmen, wie Generalsekretär Paul Ziemiak auf einer Pressekonferenz mitteilte. Norbert Röttgen erreichte 25,8 Prozent. Und der alte Merkelianer Helge Braun? Gerade mal 12,1 Prozent. Die Post-Merkel-Ära ist in der CDU angebrochen – gerade mal eineinhalb Wochen nach deren Abschied aus dem Kanzlerinnenamt. Doch was ist zu erwarten von einer „demokratisierten“ CDU, die auf ihre Basis hört?
Eine „erneuerte“ Christdemokratie, die Ziemiak schon nach einer Konferenz der Kreisvorsitzenden im Oktober heraufbeschworen hatte, dürfte auf das alte Rezept zurückgreifen: knarzender Konservatismus gepaart mit neoliberaler Wirtschaftspolitik. Mit einem Chef, der Schwule daran erinnerte, schön „im Rahmen der Gesetze“ zu bleiben. Und der nach Corona alle staatlichen Transferleistungen „auf den Prüfstand“ stellen will. Ist das nicht CDU pur? Deren Mitglieder sind zu drei Vierteln männlich und über 50 Jahre alt. Mehr als 90 Prozent sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Die Wählerschaft: wohlhabend und ländlich. Diese Jungs ticken so wie Merz.
Bye bye, Volkspartei
Die Erleichterung der Konservativen, nach zwei verlorenen Anläufen von Merz endlich wieder die Kontrolle über ihren Laden zu haben, ist spürbar. Der Hamburger CDU-Vorsitzende, Christoph Ploß, sprach von einem „echten Aufbruchsignal". Viele aus der Partei wünschten ihrem neuen Chef auch „Gottes Segen“. Und das Online-Magazin The Republic twittere direkt nach dessen Sieg ein inkonenhaftes Bild von Merz und schrieb von einer „herben Klatsche für das verstaubte und moralische Establishment.“
Knapp drei Viertel der 400.000 Mitglieder CDU-Mitglieder hatten sich an der Abstimmung beteiligt. Eine Stichwahl braucht es jetzt nicht mehr, wo Merz mehr als 50 Prozent erreicht hat. Auf einem Parteitag am 21. und 22. Januar sollen die Delegierten ihn dann auch formal zum Parteichef wählen – was als sicher gilt. Aber wird er die Oppositionspartei CDU (aktuell bei knapp 23 Prozent) nun wieder in Umfragehöhen katapultieren?
Zugegeben, mit seinem plumpen Konservatismus kann Merz die „Repräsentationslücke“ schließen und dem harten CDU-Kern wieder ein muckliges politisches Refugium bieten. Nur die Zeiten als 40-Prozent-Volkspartei sind endgültig vorbei. Schon 2017 sprachen sich 75 Prozent der Deutschen für die „Ehe für alle“ aus. Gut, Kristina Schröder hatte vor kurzem im Interview mit dem Freitag gesagt, sie habe „nicht das Gefühl“, dass Merz noch ein Problem mit der gleichgeschlechtlichen Ehe hat. Aber mal ehrlich, die CDU-Mitglieder haben sich schon bewusst für einen entschieden, der es nicht so hat mit der „Gender-Sprache“ hat. Und höhere Steuern für Reiche? Will Merz nicht, wünschen sich aber fast 70 Prozent der Deutschen. Mit dem Sauerländer wird die CDU zur konservativen Splitterpartei und Tucholsky, tja, der ist wohl widerlegt.
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