Mikrobiologin Vera Meyer zur Zukunft des Bauens: „Wir werden eine Pilzrevolution erleben“
Interview Vera Meyer arbeitet mit anderen Forscher*innen und der Industrie daran, dass wir bald nicht mehr in Häusern aus Beton leben – sondern aus Pilzen. Über eine schräge Idee, die dem Klima helfen und bereits 2030 Realität sein könnte
Vera Meyer über ihre Häuser aus Zunderschwamm: „In einem Pilzhaus riecht es nach Natur. Bis 2030 soll das erste stehen“
Foto: Marcus Glahn für der Freitag
Das Büro von Vera Meyer in Berlin-Wedding ist übersät mit Pilzen: Man sieht sie auf den Bildern an der Wand, vergoldet in ihren Schubladen oder als Kunstobjekte auf dem Schreibtisch. Die taz hat diesen Ort als „Reich der Fungi“ bezeichnet. Doch die Mikrobiologin Meyer will nicht nur in ihrem stillen Kämmerlein forschen, nein: Sie will mit Pilzen die Welt verändern! Wenn es nach ihr geht, wohnen die Menschen bald sogar in ihnen.
der Freitag: Frau Meyer, die meisten Menschen denken bei Pilzen an Schimmel oder Magic Mushrooms. Sie nicht?
Vera Meyer: Wenn man sie nicht gerade raucht, haben Pilze wirklich einen schlechten Ruf. Käse und Brot verschimmelt, feuchte Innenräume auch. Auf diese Dinge konzentrieren wir uns eher als auf die ganzen positiven
ich einen schlechten Ruf. Käse und Brot verschimmelt, feuchte Innenräume auch. Auf diese Dinge konzentrieren wir uns eher als auf die ganzen positiven Dinge.Die da wären?Da könnte man an so vieles denken. Mit Pilzen kann man Käse, Textilien, Leder und Medikamente herstellen: Denken Sie nur an Penicillin! Man könnte in Zukunft vielleicht sogar Häuser mit Pilzen bauen. Ich finde ja, wir sollten viel öfter das F-Wort sagen ...Ehm ...Funga! (lacht) Denn ohne Pilze gäbe es die anderen beiden Fs nicht: Flora und Fauna. Die meisten Landpflanzen leben in Symbiose mit Pilzen und würden ohne sie nicht existieren – so wie Tiere und Menschen auch nicht. Funga, Flora und Fauna können nur zusammengedacht werden.Sie haben in einem Interview gesagt, uns stünde eine „Pilzrevolution“ bevor. Was soll das heißen?Die Pilzbiotechnologie forscht daran, unsere erdölbasierte und ressourcenintensive Industrie komplett auf den Kopf zu stellen. Um eine zirkuläre Wirtschaft zu ermöglichen, in der aus nachwachsenden pflanzlichen Rohstoffen Pilze alles Mögliche zaubern können. Denken Sie an Kleidung, Möbel – gar Häuser aus Pilzen! Klingt schräg, ich weiß, aber es gibt bereits eine amerikanische Firma namens MycoWorks ...Sie sitzen da im wissenschaftlichen Beirat …Ja, das gilt es als Disclaimer zu betonen. Auf jeden Fall stellt MycoWorks bereits Leder aus Pilzbiomasse her, die durch Wachstum auf pflanzlichen Rohstoffen entstanden ist. Sie sind schon auf dem Markt damit. Aber das ist nicht die erste Pilzrevolution auf der Welt: Die war bereits 1919 ...Was ist da passiert?Bis zum Ersten Weltkrieg wurde Zitronensäure aus echten Zitronen hergestellt. Die brauchte man damals – so wie heute – für die Herstellung von Lebensmitteln und Medikamenten. Zum Beispiel nimmt der menschliche Körper Eisen besser auf, wenn dies in Kombination mit Zitronensäure passiert. Aber dafür Zitronen auszupressen, war teuer und ineffizient. Der amerikanische Chemiker James Currie fand heraus, dass es günstiger ist, Zitronensäure mit dem Pilz Aspergillus niger herzustellen. 1919 fing dann auch Pfizer an, mit dieser Methode industriell Zitronensäure zu produzieren. Das war der Beginn der modernen Biotechnologie.Heute arbeiten Sie daran, den Beton in der Baubranche mit Pilzen zu ersetzen. Wie soll das gehen?Wissen Sie, aus welchem Material die ältesten Häuser auf unserem Planeten sind?Jetzt sagen Sie nicht aus Pilzen.Nein, nein (lacht), aus Holz! Die ältesten dieser Häuser sind mehrere Hundert Jahre alt. Holz ist also eine sehr stabile Grundlage. Meine Vision ist folgende: Wir nehmen einen Pilz namens Zunderschwamm ...Zunder...was?!Zunderschwamm. Schon Jungsteinzeit-Menschen haben damit Feuer angezündet und transportiert. Ein Teil des Zunderschwamm-Fruchtkörpers kann Funken aufnehmen und glimmt beständig. Er nimmt also den Zunder auf – wie ein Schwamm.Und Sie wollen mit diesem Zunderschwamm jetzt den Baubeton ersetzen?Genau. Wir kultivieren nicht den Fruchtkörper vom Zunderschwamm, sondern sein Myzel auf Reststoffen aus der Agrar- und Forstwirtschaft, die in der Regel verbrannt werden. Pilze lieben nämlich pflanzliche Biomasse und nutzen sie für ihr Wachstum als Nährstoff. Aus dem pflanzlichen Substrat und dem Pilzmyzel stellen wir nun im Labor ein Material her, das wunderbar dämmen oder auch eine Verbindung mit einer Holzwand eingehen kann, die wiederum die Stabilität des Hauses sichert. Längerfristig wollen wir nicht nur Holzhäuser dämmen, sondern Werkstoffe aus Pilzmyzel und pflanzlichen Reststoffen herstellen, die genauso stabil sind wie Holz.Und das ist gut fürs Klima?Es ist sogar notwendig. Etwa 40 Prozent der globalen CO₂-Emissionen gehen auf den Bausektor zurück. Und das liegt auch daran, dass für die Herstellung von Zement hohe Temperaturen benötigt werden: 1.400 Grad. Andererseits wird für die Hausdämmung Styropor genutzt, welches aus Erdöl hergestellt wird. Auf beides sollten wir in Zukunft verzichten.Und Ihr Pilz-Material lässt sich mit weniger Energie herstellen?Ja, da braucht man viel geringere Temperaturen. Pflanzliche Biomasse aus der Agrar- oder Forstwirtschaft muss einmalig bei 120 Grad sterilisiert werden. Und der Pilz wird am Ende der Kultivierung mit 70 Grad abgetötet, damit er nicht weiter ins Holz reinwächst. Daher braucht es viel weniger Energie als bei der heutigen Bauweise.Ist Ihr Material genauso hart wie Beton?Nein.Da wird man hellhörig nach dem Erdbeben in der Türkei.Ich denke tatsächlich, dass diese neuen Werkstoffe erdbebensicheres Bauen ermöglichen könnten, da sie stoßdämpfende Eigenschaften haben. Ein starker Stoß auf Beton führt an der Stoßstelle hingegen zu einem Bruch.Wann werden die ersten Häuser dieser Art stehen?Wir arbeiten mit Forschergruppen und Firmen daran, dass das erste Pilzhaus bis 2030 steht.Es gibt schon eine richtige Industrie dafür?Nein, das noch nicht. Das sind kleine, mittelständische Unternehmen, die auf Innovation setzen. Die haben verstanden, dass es keine Alternative gibt: Wenn wir auf diesem Planeten bald CO₂-neutral wirtschaften wollen, müssen wir unsere Bauweise ändern. Wir hier an der TU Berlin sind auch nicht die Einzigen, die daran forschen, neuartige Pilzmaterialien zu entwickeln: Das passiert gerade in Schweden, Dänemark, Belgien, Israel, in den Niederlanden, in England, Amerika, Australien und in Singapur.Wie lange dauert es, um so ein Haus zu bauen?Der Herstellungsprozess für das Pilzmaterial dauert fünf Wochen. Damit ist das Haus zwar noch nicht fertig, aber kurzfristiger Gebäudebau ist etwas, an das wir denken. Denn die Menschheit wird in Zukunft sicherlich viel migrieren müssen. Diese Art zu bauen, könnte eine utopische Antwort auf die Zukunft des Bauens sein.Aber wie wollen Sie die Menschen überzeugen, in Pilzen zu wohnen? Das klingt nach den Schlümpfen: völlig surreal ...Ja, oder? Deswegen arbeiten wir mit Partizipationsforschern zusammen. Ich kann 2030 ja nicht sagen, hey, liebe Leute, da steht das Pilzhaus, jetzt wohnt dadrin! Wir müssen sie mitnehmen. Die Schlümpfe sind eine Kindergeschichte, die wohnen in Pilzen, das hat aber nichts mit unserer Lebenswelt zu tun. Wir müssen also die Leute fragen: Könnt ihr euch das vorstellen? Findet ihr es schön, wenn es nach Natur riecht? Wenn Sie unseren Prototyp eines Pilzhauses sehen wollen, müssen Sie nur zur Fasanenstraße in Charlottenburg laufen, dort steht er in der Bibliothek der TU Berlin.Der Geruch ist aber wirklich ein Problem, oder? Ich hab gerade mal ein Näschen von dem Material in Ihrem Büro genommen, das riecht schon sehr nach Natur.Ich würde auch ein Material bevorzugen, das überhaupt nicht riecht. Aber Pilze kommunizieren über Gerüche: um Insekten abzuhalten, um einem Baum zu sagen: Hey, wollen wir in Symbiose gehen? Oder um anderen Pilzen zu sagen: Ich bin schon hier, bleib du fort! Lässt sich der Geruch nicht abstellen?Prinzipiell ja! Denn Gene für Geruchsstoffe sind in den Genomen der Pilze enthalten. Mit der Genschere könnten wir Biotechnologen diese Gene ausschalten.Genschere, heikles Thema ...Ich weiß. Das klingt immer so blöd nach Designerbabys. Aber wir designen ja bloß Pilze! Das erste Haus soll 2030 stehen, also beginnen wir jetzt eine Debatte mit der Gesellschaft. Es gab ja einen Text in der taz über mich, da habe ich das auch angesprochen: Ihr wollt offensichtlich Gentechnik in der Medizin, weil es sonst kein Insulin und keine Antibiotika gäbe. In der Lebensmittelindustrie wollt ihr sie nicht, okay. Aber wie haltet ihr es mit Baumaterialien? Noch sind wir da komplett gentechnikfrei, aber Gentechnik wäre möglich.Ich dachte, ich rede mit einer Pilzforscherin, aber Sie müssen sich mit vielen Dingen auskennen, um so ein Haus zu bauen.Ja. Deswegen nenne ich mich auch nicht Mykologin. Wir brauchen heute mehr ganzheitliches Denken und transdisziplinäres Arbeiten. Mein Team und ich, wir arbeiten mit Architekten, auch wenn wir selbst keine Architekten sind. Wir denken materialwissenschaftlich, bautechnisch, genetisch. Ganzheitlich eben.Wenn Pilze die Klimaretter sind, dann werden Sie hoffentlich genug öffentlich gefördert?Es gibt unter anderem Förderung von der TU Berlin und vom Bundesforschungsministerium. Die EU hat auch eigene Programme im Bereich Bioökonomie. Viele Mittelgeber haben verstanden, dass wir bio-basierte Materialien brauchen, um Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit voranzubringen. Und da wird Geld zur Verfügung gestellt, und die Industrie fördert auch. Es ist bei Weitem noch nicht so viel, wie ich oder andere bräuchten. Aber das Thema ist jetzt langsam auf dem Radar. Es hat ein Umdenken stattgefunden.Placeholder infobox-1