Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP stehen diese Worte zu lesen: „Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben.“ Nach den Debatten und Gesetzen zu Fachkräfte-Einwanderung und Reform des Einbürgerungsrechts drängt es die Ampel-Koalition nun zu einer Abschiebungspolitik.
Heiko Habbe ist Rechtsberater für Asylfragen und wenig begeistert von diesen Plänen.
der Freitag: Herr Habbe, was dachten Sie, als Sie jüngst den „Spiegel“-Titel mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dem „Wir müssen endlich in großem Stil abschieben“-Zitat sahen?
Heiko Habbe: Es überrascht, dass ein sozialdemokratischer Kanzler ein Programm ankündigt, das so eklatant die Rechte der einzelnen Menschen, um die es geht, überg
Heiko Habbe: Es überrascht, dass ein sozialdemokratischer Kanzler ein Programm ankündigt, das so eklatant die Rechte der einzelnen Menschen, um die es geht, übergeht. Überrascht war ich auch, dass Herr Scholz solche markigen Sätze sagt und offensichtlich keine Ahnung hat, was in der Praxis eigentlich Sache ist.Was können Sie aus der Praxis berichten?Laut Herrn Scholz im Spiegel müssten schon in den Erstaufnahme-Einrichtungen Asylanträge samt Anhörung stattfinden. Das ist seit Jahren, wirklich seit Jahren, die Praxis. Und wenn er fordert, Gerichtsverfahren müssten zügiger ablaufen – dann müssen die Bundesländer ihre Gerichte vielleicht entsprechend ausstatten, damit Menschen nicht jahrelang auf ihre Entscheidung warten müssen.„Ein psychisch erkrankter Mensch kann aufgrund der Abschiebung zusammenbrechen und suizidal werden“Betreuten Sie Fälle von Abschiebungen, an die Sie noch denken müssen?Zu den belastendsten Erfahrungen gehört es sicherlich, wenn Ausländerbehörden im Einzelfall schwerkranke Menschen aus Krankenhäusern abschieben. Das dürfte es nach unserer Überzeugung überhaupt gar nicht geben. Ein Mensch kann bei einer psychischen Erkrankung, aufgrund der Abschiebung, zusammenbrechen und suizidal werden.Trägt Deutschland oder die EU nicht eine besondere Verantwortung dem menschlichen Leben gegenüber?Wenn Deutschland sich politisch positioniert, hat das natürlich ein gewisses Gewicht in Europa. Deswegen ist es bitter, dass sich die Bundesrepublik jetzt, obwohl darüber kein klarer Konsens in der Koalition bestand, für eine Reform des europäischen Asylrechts ausgesprochen hat. Dies zielt auf eine Abschottung Europas gegen Geflüchtete und geht mit einer massiven Reduzierung ihrer Rechte im Asylverfahren einher.Um die Rechte von hier lebenden Menschen geht es derzeit bei den Pro-Palästina-Demonstrationen, infolge derer etwa Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) fordert, dass Unterstützer der Hamas ausgewiesen werden.Erstens berücksichtigt das nicht, ob die Teilnehmer solcher Demonstrationen eventuell eine deutsche Staatsbürgerschaft haben und damit gar nicht abgeschoben werden können. Wenn jemand verfassungsfeindliche oder antisemitische Äußerungen im Rahmen solcher Demonstrationen tätigt, dann muss das strafrechtlich verfolgt werden. Zweitens ist es problematisch, das Aufenthaltsrecht als zweites Strafrecht heranzuziehen. Es gibt ein Verbot der Doppelbestrafung.„Das ist mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar“Ist das „Abschieben in großem Stil“ überhaupt möglich?Abschiebungen sind immer Einzelfallentscheidungen, und Behördenhandeln unterliegt grundrechtlichen Bindungen. Herr Scholz simuliert hier Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit und suggeriert, dass man diese grundrechtlichen und menschenrechtlichen Verpflichtungen einfach kassieren könne durch ein „Abschieben in großem Stil“. Das ist mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar.Ein von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ins Kabinett eingebrachtes Gesetzespaket zielt auf schnellere Abschiebungen. So sollen diese unter anderem nicht mehr angekündigt werden. Wohnungen und Unterkünfte von Geflüchteten sollen Polizeibeamt*innen ohne richterliche Genehmigung betreten dürfen.Auch für ausreisepflichtige Menschen in Sammelunterkünften gilt das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Neuregelung ist vor allem ein Eingriff in das Leben sämtlicher Bewohner dieser Unterkunft. Im Prinzip dürfen künftig Nacht für Nacht Abschiebekommandos durch die Einrichtung gehen und alle Zimmer durchkämmen. Das sind Erfahrungen, die insbesondere Kinder ein ganzes Leben lang belasten können.„Deutschland kann im Jahr 20.000 bis 30.000 Menschen abschieben, nicht viel mehr“Länder wie die EU-Beitrittskandidaten Republik Moldau und Georgien sollen als asylrechtlich sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Richtig so?Der Umstand, dass ein Land zum sicheren Herkunftsland erklärt wird, ist noch nicht einmal für das Asylverfahren signifikant. Die Prüfung durch das Bundesamt für Migration ist genau die gleiche. Was den Leuten genommen wird, ist die Möglichkeit zur Integration. Denn sie müssen dauerhaft in den großen Erstaufnahme-Einrichtungen leben und erhalten keine Arbeitserlaubnis. Bei der Ablehnung von Personen aus sicheren Herkunftsländern werden allerdings die rechtlichen Nachprüfungsmöglichkeiten signifikant beschnitten werden. Das heißt, wir haben hier Rechtsstaatseinbußen. Dass man die Menschen schneller loswird, ist damit nicht gesagt. Die Abschiebung hängt an ganz anderen Faktoren als an solchen gesetzlichen Einstufungen.An welchen?Wenn Sie auf die langjährigen Statistiken schauen, dann kann Deutschland offenbar im Jahr 20.000 bis 30.000 Menschen abschieben und nicht viel mehr.Warum?Die limitierenden Faktoren sind, dass manche Menschen nicht einfach abgeschoben werden dürfen, weil sie zum Beispiel ein deutsches Kind haben oder zu krank dafür sind. Oder ihnen Identitätspapiere fehlen und die Botschaften mancher Herkunftsländer nicht allzu kooperativ sind. Oder Behörden überlastet sind und auch nur eine gewisse Anzahl an Fällen bearbeiten können. Was man gern übersieht: Die überwiegende Mehrheit, also 70 bis 80 Prozent, kommt mit einem berechtigten Anliegen zu uns und erhält am Ende des Asylverfahrens den Schutzstatus des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zuerkannt.Und die restlichen 20 bis 30 Prozent dieser Menschen?Die Zahl der Menschen ohne Aufenthaltsrecht reduziert man am schnellsten, indem man ihnen ein Aufenthaltsrecht gibt. Wir haben – endlich! – gesetzliche Regelungen, die zum Beispiel Schutz vor Abschiebungen während einer Ausbildung gewährleisten. Die das Bemühen um Integration anerkennen und ein Aufenthaltsrecht geben, wenn Sprachkenntnisse und ein Job nachgewiesen werden. Wir brauchen Auszubildende und Arbeitskräfte, das ist nicht von der Hand zu weisen.Kann man Migration regulieren, wie sich das die Ampel-Koalition in dieser Form vorstellt?Diese Allmachtsfantasien, dass man Migration wie einen Wasserhahn auf und zudrehen könnte, stimmen in keiner Weise mit der Praxis überein.