Großes Potenzial Maximilian Krah tönt bei Tiktok: „Türken in Deutschland sollten AfD wählen“. Wie die Partei der „Remigration“ versucht, auch migrantische Deutsche als Wählerinnen und Wähler zu gewinnen
Auch die AfD weiß, dass Nichtwähler*innen mit Migrationshintergrund entscheidend für sie sein können
Foto: Imago/Emmanuele Contini
Was waren das noch für Zeiten: 2018 titelte die türkische Tageszeitung Hürriyet: „Warum ist die AfD ein Feind der Türken?“ Und zitierte den damaligen Bundessprecher der AfD, Alexander Gauland, mit den Worten: „Die Türken gehören nicht zu uns.“ Heute wirbt ebendiese AfD besonders um die Stimmen der hiesigen Wähler*innen mit ausländischen Wurzeln. Wie passt das zusammen? Und kann das für die Rechtsaußen-Partei überhaupt funktionieren, neue Wähler*innengruppen zu gewinnen, ohne die alteingesessene AfD-Wählerschaft zu verschrecken?
Fakt ist: Obwohl die seit Jahren bekannten Verbindungen von AfD-Kadern in rechtsextreme Kreise wohl weiterbestehen, obwohl rassistische Aussagen von führenden Politiker*inne
-Kadern in rechtsextreme Kreise wohl weiterbestehen, obwohl rassistische Aussagen von führenden Politiker*innen nicht abreißen, versucht die Partei nun, auf Stimmenfang unter den hiesigen Türkeistämmigen und den sich als muslimisch-konservativ verortenden Wähler*innen zu gehen. Der Spagat könnte wohl größer nicht sein: Kurz nach Berichten der Rechercheplattform Correctiv über das Potsdamer Geheimtreffen, bei dem AfD-Politiker mit Rechtsextremen unter dem Stichwort „Remigration“ darüber diskutierten, Millionen von Menschen mit migrantischer Herkunft aus Deutschland zu vertreiben, versuchte die AfD, ihr eigenes migrantisches Personal gegen ihre Kritiker in Stellung zu bringen. „Die AfD hat drei Migranten mitgebracht“, schrieb die FAZ über das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster, wo die AfD gegen ihre Einstufung als „rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz klagt.Die Bemühungen der AfD haben einen offensichtlichen Grund: das bis heute unerschlossene Wähler*innenpotenzial von knapp neun Millionen Wahlberechtigten in Deutschland, die familiäre Bezüge in andere Länder haben. Für alle Parteien, nicht nur die AfD, könnten die Wähler*innen und vor allem Nichtwähler*innen mit Migrationshintergrund entscheidend sein.Die Migrationsforscherin Naika Foroutan rechnete in einem Gastbeitrag für Die Zeit hoch: „Würden sie alle für eine einzige Partei stimmen (und läge die Wahlbeteiligung gleich hoch wie im Rest der Bevölkerung), käme diese allein dank der migrantischen Wahlstimmen auf circa 15 Prozent: so viel, wie aktuell die SPD und die Grünen an Zustimmung haben.“ Aber keine der etablierten Parteien werbe offensiv um diese Wähler und Wählerinnen, meint Foroutan.Alte Bindungen lösen sich aufEs gibt bisher nur wenige Zahlen, welche Partei die vielfältigen migrantischen Gruppen präferieren. Laut dem Politikwissenschaftler Andreas Wüst werden erst seit den 2000er Jahren Untersuchungen zum Wahlverhalten von Deutschen mit Migrationsbezug durchgeführt. Die „Wahlberechtigten aus Aussiedlerländern“, wie Wüst für die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt, wählten etwa vor 20 Jahren noch klassisch CDU/CSU, auch wegen ihres Einsatzes für diese Bevölkerungsgruppe in den 1980er Jahren. Überhaupt seien die Wertvorstellungen dieser Wähler*innen vorwiegend konservativ. Trotzdem stimmten die Türkeistämmigen vor 20 Jahren noch hauptsächlich für die SPD. Doch das scheint nicht länger so zu bleiben.Eine Forschungsgruppe der Universitäten Duisburg-Essen, Bamberg und Düsseldorf untersuchte, wie Menschen mit Einwanderungsgeschichte bei der Bundestagswahl 2021 gewählt haben. Ihre Ergebnisse lauteten: Wahlberechtigte mit Migrationsgeschichte wählen ähnlich wie die Bevölkerung ohne Einwanderungsgeschichte. Zweite Erkenntnis: Die alten Bindungen lösten sich auf, sodass die türkeistämmige Wählerschaft eher zur konservativeren CDU tendiert.Bei einer Gruppe von migrantischen Deutschen ist eine hohe Zustimmung zur AfD schon länger bekannt: Russlanddeutsche favorisierten laut einer IMGES-Studie von 2017 schon damals zu 15 Prozent die AfD. In einem Interview mit dem Spiegel im Jahr 2018 erklärte Migrationsforscherin Foroutan dieses Phänomen so: „Die Hinwendung zur AfD bei Teilen dieser Gruppe funktioniert über die Vorstellung der AfD von Deutschland als ethnischer und homogener Volksgemeinschaft und ist klar rassistisch motiviert.“Klar ist: Wähler*innen mit Migrationsgeschichte sind keine homogene Gruppe. Aber warum nicht bei Türkeistämmigen versuchen, was bei Russlanddeutschen so gut zu klappen scheint? Seit 2023 versucht der von hessischen AfD-Politikern gegründete Verein „Mit Migrationshintergrund für die AfD“, Wähler*innen zu gewinnen. Laut t-online.de ist in den vergangenen acht Monaten wenig passiert: Die 36 Gründungsmitglieder konnten nur 14 Neuzugänge werben.Ausspielen von alteingesessenen Migranten gegen NeuankömmlingeAber vielleicht setzt der Verein auch einfach auf veraltete Methoden der Ansprache und Werbung: Auf der Videoplattform Tiktok ist die AfD im Gegenzug überdurchschnittlich erfolgreich. Ihre Videos werden achtmal öfter ausgespielt als die Videos der etablierten Parteien, die nun versuchen, den Schaden zu begrenzen und verstärkt auf dieser Plattform zu kommunizieren, wie zuletzt Bundeskanzler Olaf Scholz. Aber ob er so zu dem auf Tiktok längst etablierten AfD-Politiker Maximilian Krah aufschließen kann? Der AfD-Kandidat bei den Europawahlen im Juni gibt dort Dating-Tipps und inszeniert sich als väterlicher Freund oder großer Bruder, der den männlichen Usern Lebensratschläge erteilt und sie mit politischen, zuweilen verschwörungstheoretischen Aussagen mixt. So lobte der AfD-Politiker bereits im November 2023 in höchsten Tönen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, denn er würde sich für die Interessen seines Landes einsetzen. Im Umkehrschluss forderte er, dass das auch deutsche Politiker für ihr Land tun sollten.Bis zur Europawahl sind die Tiktok-Videos von Krah noch eingeschränkt, weil er dort Verschwörungserzählungen verbreitete. Noch vor Kurzem postete er aber eine direkte Ansprache an türkeistämmige Wähler*innen und konzentrierte sich dabei vor allem auf konservative Werte wie das Ehren von Vater und Mutter und fragte scheinheilig, wer ihnen die Wohnung und Arbeitsplätze wegnehmen würde. Das Video war überschrieben mit „Türken in Deutschland sollten AfD wählen“.Die Partei scheint auch migrantische Communitys über den Hass auf Geflüchtete erreichen zu wollen. Die „fleißigen“ migrantischen Deutschen gegen Geflüchtete auszuspielen, die ihnen vermeintlich alles wegnehmen wollen, das erreicht auch die türkeistämmigen Nutzer*innen dieser Videos. So sagt zum Beispiel die Userin Meltem*, dass sie Angst habe um ihre Töchter, wegen der Flüchtlinge: „Man sieht doch, was in der Türkei los ist.“ Nachfragen zur Türkei, was denn da angesichts der Flüchtlingssituation los sei, lässt sie unbeantwortet. Sie antwortet nur, dass sie ab jetzt die AfD wähle, die anderen Parteien seien doch auch rassistisch.Der Nutzer Kaya* sagt, er werde die AfD aus Protest wählen. „Ich vertraue keinem mehr, keinem Politiker, keinen Medien“, antwortet er auf die Nachfrage, warum er ausgerechnet einer Partei seine Stimme geben will, die Pläne zur Vertreibung von Migrant*innen und ihren Nachfahren diskutiere. „Die Fleißigen bleiben hier“, ist seine Antwort darauf. Es scheint nicht, als hätten die anderen, etablierten Parteien eine Antwort auf diesen Politikverdruss und ein Gegenrezept gegen die Strategie der AfD. Sie sollten sich die Kommentarspalten genauer anschauen.* Namen geändert
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