Wie der deutsche Adler über deutschen Debatten kreist, darüber schreibt die Politikwissenschaftlerin Gilda Sahebi
Foto: Tim Gassauer
Warum sich die Journalistin und Politkwissenschaftlerin Gilda Sahebi – eine gefragte Iran-Expertin – mit dem Thema Rassismus in Deutschland beschäftigt, erläutert sie im persönlich gehaltenen Vorwort ihres neuen Sachbuchs. Dort erzählt die Autorin, wie sie im letzten Sommer in einer Radiosendung des SWRzum Thema Iran über ihre eigene Migrationsgeschichte befragt wurde.
Sahebi erzählte, wie es war, als Kind von Geflüchteten in diesem Land aufzuwachsen. Und teilte ihre Sorge darüber, welchen rassistischen Narrativen Menschen mit Fluchterfahrung heutzutage ausgesetzt seien, ebenfalls in der Sendung mit. „Da war was los!“, schreibt sie im Vorwort. Eine empörte E-Mail nach der anderen sei ins Studio geschwappt, darin die ü
die üblichen Reaktionen: Wenn es ihr hier nicht gefalle, solle sie doch zurückgehen, wie sie es wagen könne, zu sagen, Deutschland sei rassistisch.„Ich verstand, dass der ‚Rassismus-Vorwurf‘ in Deutschland tatsächlich als der schlimmste Vorwurf empfunden wird“, schreibt die Autorin. Dieser Umstand stehe einer nüchternen Analyse der Ursachen im Weg. „Denn was als Angriff verstanden wird, wird natürlicherweise abgewehrt.“ Sie habe sich deshalb entschlossen, angesichts auch eigener rassistischer Denkmuster, derer sie sich bewusst sei, den Titel ihres Buchs offener zu halten. Wie wir uns Rassismus beibringen steht nun auf dem 460-Seiten-Werk, in der Unterzeile verspricht es eine Analyse der aktuellen Debatten.Ohne die Vergangenheit zu verstehen, so Sahebi, „kann es auch kein Verstehen der Gegenwart geben, kein Lernen und kein Weiterkommen“. So schaut sie sich die Historie dieses Landes an und somit auch die implizierten, „gelernten“ rassistischen Muster in den heutigen Debatten um Migration, Staatsbürgerschaft oder Antisemitismus. Die Autorin identifiziert die Denkmuster, die in der deutschen Gesellschaft bis heute nachwirken.Beginnend im 19. Jahrhundert zeigt sie, wie die polnischen Landarbeiter*innen vom Soziologen Max Weber als „Gefahr aus dem Osten“ gebrandmarkt wurden. Ähnlichkeiten mit der heutigen Wortwahl, wenn von „Flüchtlingsflut“ die Rede ist, seien kein Zufall, schon damals wurde vor der „slawischen Flut“ gewarnt. Dies sei eine „Evokation tiefsitzender Bedrohungsängste“, zitiert Sahebi den Historiker Peter Walkenhorst, der den Nationalismus im Deutschen Kaiserreich untersuchte.Auch weniger Bekanntes erfährt man, wie zum Beispiel ein breites Bündnis aus Kirche und Parteien, darunter die SPD, gegen die Schwarzen Kolonialsoldaten der französischen Armee in den besetzten Gebieten im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg agitierte, sie als „Wilde“ und triebgesteuert darstellte. Der „Schwarze Mann“ als Bedrohung, dieses Bild sei letztlich wieder in der Kölner Silvesternacht 2016 prominent reaktiviert worden.Sahebi redet die sexualisierte Gewalt nicht klein, sie betrachte als einen der wenigen positiven Effekte, dass immerhin ausführlich darüber berichtet wurde. Nur wie, darüber zieht sie einen überzeugenden Vergleich mit dem Kölner Karneval oder dem Münchner Oktoberfest, wo derartige Übergriffe weniger oft von den Medien aufgegriffen würden. Dass viele der Medien die Perspektiven der Frauen im Kölner Fall in den Vordergrund gerückt hätten, kann Sahebi konzedieren. Warum dies jedoch bei anderen Ereignissen, bei denen die Übergriffe in ähnlicher Form stattgefunden hätten, nicht getan wurde, ließe sich nur vermuten. Die Erzählung, dass nur „Ausländer“ triebgesteuert seien, sei schädlich, nicht nur aus rassistischen Gründen. Denn so werde Gewalt an Frauen nicht als allgemein strukturelles und gesellschaftliches Problem anerkannt.Dem Thema „Ausländer in der DDR“ widmet sich Gilda Sahebi in einem eigenen Kapitel, allerdings ist es mit nur sechs Seiten viel zu kurz geraten. Ihre Analyse führt auch nicht weiter in den deutschsprachigen Raum oder gar in den europäischen. Eine Aufarbeitung über den Umgang dieser Länder mit ihrem Rassismus wäre erhellend gewesen.Sahebi scheut sich nicht, den aktuellen Nahostkonflikt und weitere gegenwärtige Debatten zu analysieren. Beginnend mit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober, der „Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt ins Mark getroffen hatte“, beschreibt Sahebi, wie schnell sich die mediale Aufmerksamkeit auf den Antisemitismus in den muslimischen Communitys richtete. Es gehe ihr bei der Benennung von Rassismus nicht darum, Probleme zu verschweigen oder sie zu tabuisieren, so Sahebi. Antisemitismus unter Muslim:innen sei ein Problem, es gehe jedoch darum, Debatten anhand von Problemen und nicht anhand von Projektionen zu führen. Daran sei die Öffentlichkeit bislang krachend gescheitert. Vor allem stößt sie sich an dem Begriff „importierter Antisemitismus“. Dieser suggeriere, dass es „ohne Migrant:innen keinen Antisemitismus in Deutschland gäbe“. Aus diesem Narrativ folge: Nicht unser Problem.Spannend werden die Ausführungen der Autorin, wenn sie den Rassismus fernab der AfD aufzeigt – nämlich auch in progressiven und linken Kreisen. In Milieus also, die überzeugt sind, schon allein aus der politischen Gesinnung heraus antirassistisch zu denken. „Wer in einer Gesellschaft aufwächst oder lebt“, schreibt Sahebi, „in der Rassismus – offen, subtil, bewusst und unbewusst – existiert, wird diese Muster und Denkweisen erlernen.“ So forderte unter anderem der SPD-Parteivorsitzende Lars Klingbeil bei einem Auftritt in einer Polit-Talkshow Ende letzten Jahres Abschiebungen für Antisemiten und wollte die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft an eine Prüfung zu antisemitischer Gesinnung koppeln. „Die entmenschlichenden Narrative, die verpuffen nicht einfach. Sie setzen sich ab, schwer und tief“, heißt es im letzten Kapitel, das den zahlreichen Opfern rassistischer Gewalt gewidmet ist. Ein bedrückender Schluss, der zeigt, wie lebensnotwendig es bleibt, sich intensiver mit unserem deutschen Rassismus zu befassen.Placeholder infobox-1
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