Die Nazis vom Bodensee

Bodensee Der Ort, an dem Menschen ihren Urlaub verbringen, zieht auch Faschist*innen an. Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, nimm man dort nicht ernst

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Alles ruhig hier?
Alles ruhig hier?

Foto: imago/imagebroker

Es ist ein Ort, an dem Menschen urlauben. Zwischen den Alpen, dem Rhein und den Altstädten in Konstanz, Radolfzell und Meersburg ist man gerne zu Hause. Und trotz des konservativen Baden-Württembergs hat man besonders in der Universitätsstadt Konstanz eine weltoffene Mentalität, die auch durch die Angrenzung zur Schweiz gekennzeichnet ist. Nichtsdestoweniger ist auch hier der Rechtsruck spürbar, den die ganze Bundesrepublik heimsucht. Neben Erfolgen der Alternativen für Deutschland (AfD) und einer eher rechtskonservativen Christlich Demokratischen Union (CDU) ist im Landkreis Konstanz auch eine kleine, doch zentrierte faschistische Szene beheimatet. Sie propagieren ihre Meinungen mittels Stickers, Flyern und geben sich erkenntlich bei Demonstrationen und Kundgebungen. Deren Existenz ist den Gemeinden, Städten und jeweiligen politischen Vertreter*innen jedoch kaum eine Silbe wert, bisweilen wird genervt darauf hingewiesen, dass beispielsweise Aktionen der Identitären Bewegung (IB) kein lokales Problem wären. Hernach wäre eine Befassung damit „keine Prio Eins“, so der Konstanzer Oberbürgermeister. Doch nicht nur die IB hat sich in Konstanz und deren Umfeld breit gemacht. Auch sind trotz der offiziellen Auflösung des „Stützpunktes“ nach Angaben des Ministeriums für Inneres, Digitales und Migration des Land Baden-Württemberg „nicht wesentlich mehr als zehn“ Aktivist*innen der neofaschistischen Bewegung der „III. Weg“ tätig. Trotz der offenkundigen Existenz von Neofaschist*innen geben sich die Gemeinden und Städten selten Mühe, etwas dagegen zu unternehmen. Das führte dazu, dass besonders der „III. Weg“ seine faschistische Propaganda verbreiten konnte.

Der „III. Weg“ entstand aus dem „Freien Netzwerk Süd“ 2013 und hat seine Schwerpunkte in Bayern, Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Rheinland-Pfalz. Obschon die „Stützpunkte“ in Baden-Württemberg geschlossen sind, sollen wie erwähnt mehr als zehn Kader noch im Raum Konstanz verankert sein. Der „III. Weg“ konzentrierte sich in Radolfzell am Bodensee auf das Kriegerdenkmal, welches bereits 1937 von den Faschist*innen errichtet wurde. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges und mehrerer Aufarbeitungen wurde der historische Kontext des Denkmals verschriftlicht, die Rolle der SS in Radolfzell verarbeitet und an die Opfer des Hitlerfaschismus, doch auch der gefallenen Soldaten der Stadt gedacht. Der „III. Weg“ sieht das als „Schande“ und interpretiert es als „Unterwerfung der Schuldkult“. Die Partei verherrlicht darüber hinaus die Rolle der SS-Standarte „Germania“ der Stadt so deren Kommandeur Heinrich Köppen. Besonders aktiv waren sie im Jahr 2017, in dem sie neben rassistischen Kundgebungen auch sogenannte „nationale Streifen“ abhielten, getreu ihrer Ideologie „Deutsche Winterhilfe“ anboten und mehrmals antifaschistische Demonstrationen störten. Trotz der straffen Kaderpartei und hiernach wenigen Mitglieder konnten solch Aktionen immer wieder Mitbürger*innen beeinflussen, was die Gefahr mit sich brachte, dass ihre faschistische Ideologie verbreitet wurde. Und obwohl die Aktivitäten nachließen und sich beruhigten, kann nicht von einer Einstellung des antifaschistischen Widerstands gesprochen werden. Denn in die vermeintliche Lücke stieß die IB hinein, die schon mehrmals auf sich aufmerksam machte.

Ähnlich wie der „III. Weg“ scheint der Kern der IB relativ überschaubar zu sein. Anders als ersterem betonen sie eine Distanz zum nationalen Sozialismus und sprechen vom „Ethnopluralismus“, der nichts weiter als eine verbrämte Hülse tradierten Rassismus ist. Aktivitäten und Polemiken der radikalen Linken kopierend bauen sie auch im Raum Bodensee auf Aktionismus und provokante Propaganda, wie die Verhüllung der Konstanzer Imperia im Oktober 2017 zeigte. Die Aktivist*innen der IB wollten damit auf eine „Islamisierung“ hinweisen. Obwohl sie sich hip und modern geben, fielen sie mehrmals mit reaktionären Äußerungen und Aktionen auf, veranstalteten Anti-Merkel-Demonstrationen in Singen (Hohentwiel) und stellten „Grabkerzen“ in Konstanz auf. Von den Neofaschist*innen des „III. Weg“ unterscheidet sie nur marginal der Gebrauch der Sprache und die Übermittlung der Ideologie. Ein Blick in die Vergangenheit der südbadischen Kader zeigt jedoch Sozialisierungen und Politisierungen in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und deren Jugendorganisation sowie Verbindungen zu Burschenschaften. Wie so oft bleiben die politischen Herrschenden auch hier erstaunlich ruhig und gelassen. Bei einer Aktion im Juni 2018 sprach die IB von einer „geschichtlichen Kette unserer Vorfahren“, die beibehalten werden muss, um den „Niedergang eines ganzen Kontinents“ zu verhindern. Der Stadtrat versteckte sich nach Nachfragen der erlaubten Aktion hinter bürokratischen Floskeln und betonte, dass es der Stadt „nicht möglich“ gewesen sei, „nicht als verfassungswidrig eingestufte Organisationen von der Ausübung ihrer Tätigkeit abzuhalten“. Dabei fand die Bewegung bereits im Verfassungsschutzbericht 2017 des Landes Baden-Württemberg Erwähnung.

Ohne die antifaschistische Aufklärungsarbeit in Form von Demonstrationen, Dialogen und Aufklärungen hätten die Faschist*innen am Bodensee weitaus mehr Möglichkeiten, ihre gefährliche Ideologie zu verbreiten. Den politischen Stellvertreter*innen ist es entweder gleichgültig oder sie reagieren – wie der Konstanzer Oberbürgermeister – genervt auf notwendige Nachfragen. Natürlich ist der aufkommende Faschismus keine lokale Spezialität. Doch genau dort, in den Dörfern, Gemeinden und Städten findet die Verankerung statt. Um die Wiederkehr die Faschismus zu verhindern, muss gerade an der Wurzel angesetzt werden, um ihn im Keim zu ersticken. Diese Aufgabe einzig autonomen, antifaschistischen Gruppen zu überlassen, ist töricht und gefährlich. Dadurch verschanzt sich das Bürgertum nicht nur hinter der reaktionären „Totalitarismus-Theorie“, es ignoriert auch die eigene historische Verantwortung. Wenn der nette Nachbar von nebenan in seiner Freizeit faschistische Propaganda verteilt oder raus brüllt, muss es konsequente Pflicht sein, dieses Treiben unmittelbar zu verbinden. Dabei ist es irrelevant, ob die Person im privaten nett oder „genehm“ ist, denn das Private war schon immer politisch und wird es immer bleiben. Den Erfolg des gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck müssen sich besonders die Gemeinden auf die Fahne schreiben, deren Aufgabe es mitnichten ist, einzig bürokratische Abläufe zu koordinieren. Antifaschistisches Engagement ist lebensnotwendig, sowohl in den Großstädten als auch in den bäuerlichen Dörfern. Kein Fußbreit den Faschist*innen heißt auch, sich der eigenen Verantwortung anzunehmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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