Die schleichende Erosion

Sozialdemokratie Sigmar Gabriel wirft seiner Partei vor, zu links und zu ökologisch zu sein. Er plädiert für einen Rechtsruck und nimmt dabei den völligen Niedergang der SPD in Kauf

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Sigmar Gabriel im März 2017 auf dem Parteitag der SPD mit der Ankündigung seines Rücktritts
Sigmar Gabriel im März 2017 auf dem Parteitag der SPD mit der Ankündigung seines Rücktritts

Foto: Steffi Loos/Getty Images

Der ehemalige Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) übt harsche Kritik am Kurs seiner Partei. Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger bekundete er, dass die SPD „linker als die Linkspartei und ökologischer als die Grünen“ geworden wäre. Als Reaktion unterstützt er die InitiativeSPDpur 2030vormals „Die wahre SPD“ , welche einen ökonomischen und gesellschaftlichen Rechtsruck in der Partei erreichen möchte. Michael Groschek, Mitglied des Bundesvorstands der SPD und ehemaliger Vorsitzender der Partei in Nordrhein-Westfalen, rief die Initiative im Juni 2019 ins Leben und attackierte einen angeblichen Linksschwenk. Sein Augenmerk liegt primär auf dem Wirtschaftsprofil, das er marktradikal verstanden wissen möchte. Zwar bejaht er eine Verjüngerung der Partei, pocht jedoch darauf, „Wirtschaftskompetenz“ nicht zu vernachlässigen. Wüsste man nicht, dass er Mitglied der SPD wäre, könnten seine Worte genauso gut aus dem Baukasten der Freien Demokratischen Partei (FDP) kommen. Gabriel und Groschek eint das Vorhaben, die Sozialdemokratie neu zu definieren, obgleich sie mehrmals betonen, den Kern dessen hervorzuheben. „Was Sozialdemokratie eigentlich heißt“ sei das Ziel von „SPDpur 2030“, erklärt Gabriel. Ein kurzer Faktencheck des Westdeutschen Rundfunks (WDR) indes entkräftet die Worte Gabriels. Sozialpolitisch gehe die SPD über das Programm der Linkspartei nicht hinaus und ökologisch steht sie gar hinter den Bemühungen von Bündnis 90/Die Grünen.

Interessant ist weniger die Frage, wie Gabriel darauf komme, die SPD würde Linkspartei und Grüne ideologisch überholen als vielmehr das Bewusstsein innerhalb der Sozialdemokratie. Die rechte Initiative plädiert darauf, dass sozialdemokratische Werte nur innerhalb einer Regierungsbeteiligung erzielt werden können, lässt jedoch unbeantwortet, wie diese genau aussehen sollten. Bis auf vage Erwähnungen, die größtenteils auf einen Fokus des Wirtschaftsprofils lenken, wird auch eine restriktive Law-and-Order-Politik deutlich. Die Überlegungen eines Kevin Kühnerts, Verstaatlichungen in die Debatte hineinzubringen, werden schnell im Keim erstickt und das neoliberale Dogma herangezogen, dass einzig der Markt kompetent genug wäre, die Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Sie bekennen sich zwar zum Godesberger Programm von 1959, bei dem sich die SPD endgültig des Sozialismus entledigte. Dennoch schwebt ihnen mehr eine Revision dessen vor, die die letzten Bezugnahmen auf die Arbeiter*innenbewegung oder gar des Fernziels eines demokratischen Sozialismuswas synonym verwendet werden kann mit Sozialdemokratieaus dem Programm entfernt. Die Äußerungen Udo Wernitz‘ aus Brandenburg, der die Diskussion über eine mögliche Koalition mit der Alternativen für Deutschland (AfD) nicht grundsätzlich negieren möchte, ist hierbei alles andere als Zufall. Zwar ruderte Wernitz zurück, dennoch ist im Keim erkennbar, wohin eine weitere Rechtsentwicklung der SPD führen wird.

Es wird das letzte Gerüst der Sozialdemokratie angegriffen. Der Leistungsgedanke ist in der SPD schon längst angekommen, was Gabriel dazu bewegte, die Frage des Sozialstaates neu aufzurollen. Aufgabe der SPD sei es nicht, „Einzelnen ohne besonders Anstrengung“ ein lebenswertes Sein zu geben. Darin schlummert nicht nur der Wunsch, das Hartz-Regime zu radikalisieren beziehungsweise als Instrument zur Drangsalierung der Prekären und Arbeitslosen weiterhin zu nutzen. Subkutan wird die Existenz des Sozialstaates als solches konterkariert, dessen Aufgabe es nicht zu sein hat, ein Existenzminimum zu gewährleisten. Das direkt auszusprechen ist in der aktuellen Periode kein schlauer Schachzug, daher bedienen sich die verantwortlichen Politiker*innen einer schematischen Sprache, die die Positivsetzung der Leistung heranzieht. Dialektisch betrachtet bedeutet dies zwangsweise die Kampfansage an einen Großteil der Arbeiter*innenklasse, bei der die SPD mal vorgab, deren Interessen zu vertreten. „Linke Volkspartei“ möchte man sein, gleichzeitig sich jedoch vom „Linkssein“ emanzipieren. Der vermeintliche „Linksruck“ in der Partei manifestiert sich in akzentuierten Äußerungen, Sanktionen der Agenda 2010 eventuell zu überdenken oder die Anpassung des Mindestlohns. Für Gabriel und Konsorten klingt das überspitzt nach Diktatur des Proletariats, wohingegen man die Rettung der Sozialdemokratie in der weiteren Neoliberalisierung vermutet.

Während die Schwesterpartei in Britannien unter Jeremy Corbyn mit einem linken, sozialpolitischen Programm die Massen ergreift und der Sozialdemokratie ein Fundament gibt, mit dem man arbeiten kann, möchten weder die aktuelle SPD noch die rechten Hardliner etwas davon wissen. Bei einer Prognose bei aktuell 13% (Bundestagswahl) mutet es demgemäß utopisch an, Opposition und Linksschwenk zu verdammen, um nicht kläglich dahinzuvegetieren und der Pasokisierung anheimzufallen. Wenn sich die SPD letztlich der Vision von „SPDpur 2030“ anschließt, bleibt es nur eine Frage der Zeit, bis die Partei einstellig wird und die Frage der Fusion mit der Linkspartei, um die Rettung der Sozialdemokratie zu gewährleisten, zentraler wird. Bei diesem Vorhaben würde allerdings weder die SPD noch die Linkspartei gewinnen, denn die Sozialdemokratie als solche ist in einem historischen Dilemma, die im Endstadium des Kapitalismus nur durch einen radikalen Wandel gelöst werden kann. Der politisch-soziale Rechtsruck scheint den eigenen politischen Kompass ins Wanken zu bringen, wenn man ernsthaft darüber debattiert, ob die SPD im Jahre 2019 eine linke Partei ist. Geschweige denn links der Linkspartei. Der schwelende Rechtsruck ist in ausnahmslos in allen Parteien im Bundestag bemerkbar, gewissen Sozialdemokrat*innen geht es bei ihrer politischen Heimat nur scheinbar nicht schnell genug. Die Krise der Sozialdemokratie lässt sich nicht mit einem radikalen neoliberalen Programm lösen, ganz im Gegenteil. Es muss vielmehr diskutiert werden, ob die SPD trotz ihres Namens noch als Teil der Sozialdemokratie betrachtet werden kann. Solange sie jedoch Unterstützung der Gewerkschaften und eines nicht unerheblichen Teils der Arbeiter*innenklasse hat, bleibt dieser Widerspruch bestehen. Doch ein deutscher Jeremy Corbyn scheint in viel zu weiter Ferne.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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