Die Städte ticken weltoffen, die Regierung aber nationalistisch: Das ist keine Seltenheit. Berlin zeigte sich Ende Juni bereit, Geflüchtete aufzunehmen, die von der zivilen Mission Lifeline im Mittelmeer gerettet worden waren. Innenminister Horst Seehofer (CSU) äußerte sich lange nicht – erst als die 234 Geretteten bereits auf neun europäische Staaten verteilt waren, wollte er es sich mit der Aufnahme überlegen, wenn dafür die Lifeline auf Malta in Ketten gelegt wird. Wurde sie: samt Kapitän, der sich am 30. Juli dort wieder vor Gericht verantworten muss.
Berlin legt jetzt nach und arbeitet daran, offiziell eine „Solidarity City“ zu werden. Unter diesem Namen versucht der europäische Städteverbund Eurocities seit 2016 durch engere Zusammenarbeit untereinander und mit der EU eine solidarische Flüchtlingspolitik zu etablieren. Mit dabei sind unter anderem Athen, Barcelona, Ljubljana, Manchester, Turin, Wien und Warschau.
Sie alle haben ein Vorbild: Auch in den USA sind viele Stadtbewohner und ihre Regierungen dazu bereit, Geflüchtete aufzunehmen, und sehen sich mit einer nationalen Politik der Abschottung konfrontiert. „Sanctuary Cities“ heißen seit den 1980er Jahren jene Städte wie New York oder L. A. – insgesamt sind es jetzt über 630 Landkreise –, die sich der Abschiebepolitik der US-Regierung widersetzen: Die Polizei darf nicht nach dem Aufenthaltsstatus fragen, Anträgen auf Abschiebehaft wird nicht gefolgt. New York hat sogar einen eigenen, städtischen Personalausweis eingeführt, der unabhängig vom Aufenthaltsstatus gilt.
„Solidarity Cities“ soll nun das Pendant in Europa heißen. Rechtlich gibt es hier einiges zu klären: Wenn Seehofer nicht bereit ist, Geflüchtete aufzunehmen, kann Berlin seine Arme noch so weit öffnen. Die Juristin Helene Heuser jedoch schrieb auf verfassungsblog.de, dass durch das Recht zur kommunalen Selbstbestimmung und die Ausführung des Aufenthaltsgesetzes durch die Länder in der Asylpolitik einige Spielräume bestünden. In Hamburg etwa galt von 2008 bis 2016 die „Senatorenregelung“: Flüchtlinge aus Afghanistan erhielten eine Aufenthaltserlaubnis ohne Einzelfallprüfung. Innensenator Andy Grote (SPD) hob diese Regelung jedoch auf.
Die Herausforderung der Aufnahme von Geflüchteten dürfte in den kommenden Wochen noch dringlicher werden: Die italienische Mitte-Rechts-Regierung stellte kurzzeitig selbst die Aufnahme von Geretteten aus der EU-Rettungsmission Sophia in Frage. Zuvor durfte ein Frontex-Schiff erst angelegen, nachdem die Aufnahme der Flüchtlinge an Bord geklärt war. Die im Juni von Italien abgewiesene zivile Aquarius fand nach tagelanger Irrfahrt in Valencia Zuflucht. Das Schiff liegt nun in Marseille und will bald wieder in See stechen. Die Crew steht unter Druck: Während das Schiff im Hafen liegt, hält das Sterben im Mittelmeer an – bislang ertranken in diesem Jahr 1.000 Menschen. Unklar bleibt, wo die Aquarius dann anlegen wird. Noch hat Berlin keinen Hafen.
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