Dass Ewald Fries Buch Ein Hof und elf Geschwister zum Bestseller wurde, ist wohl weniger Nostalgie zu verdanken als Neugier auf einen Prozess, der sich vermeintlich so stillschweigend und hinterrücks vollzog, dass selbst die unmittelbar Beteiligten erst an seinem Ende aufwachten. Die Auflösung des bäuerlichen Lebens in eine dienstleistende Bundesrepublik (alt) ist ein historisches Lehrstück. Gegenwart und Zukunft aber ist eine Agrarindustrie, die im Osten auf den Flächen umgewandelter LPGs eher ins Auge fällt, aber weltweit ebenso lebensnotwendig wie lebensbedrohlich ist.
Der Bauer, der im Märzen seine Rösslein einspannte, ist längst nicht mehr nur Landwirt, sondern Nahrungsfabrikant. „In meiner Kindheit und Jugend lernte ich, wann gesä
ich, wann gesät und geerntet wird, wie man Jungvieh auf der Alm hütet und mit der Sense mäht“, erinnert sich Bartholomäus Grill an eine Zeit, als es in der just gegründeten BRD noch fast zwei Millionen Agrarbetriebe gab (im vereinten Deutschland heute gibt es nur mehr ein Achtel davon). Grill, bekannt geworden durch Bücher über Afrika, zieht in seinem Bauernsterben denn auch Afrika immer wieder als Folie heran. Zunächst bleibt er in Deutschland und Europa. Erinnert an den Mansholt-Plan, verkauft als „grüne Revolution“, nämlich das radikale Stilllegungs-Programm der EU mit dem Ergebnis „umweltvernichtende Erzeugerschlacht“.Grill schreibt mit Verve und Ingrimm, aber – leider – kaum widerlegbar, wenn er auf die fatalen Folgen von Dürren und Wassermangel, der Fleischvermehrung, der Finanzgeschäfte mit Böden und Erzeugnissen eingeht. Am Ende steht das vehemente Plädoyer für eine globale Agrarwende, aber auch die resignative Einsicht, dass die vielen alternativen Ideen weiterhin an mangelndem politischen Umsetzungswillen scheitern werden.Bauernsterben. Wie die globale Agrarindustrie unsere Lebensgrundlagen zerstört Bartholomäus Grill Siedler 2023, 240 S., 24 €Handbuch LandwirtschaftDer Kontrast zu Hermann Onko Aeikens Buch könnte kaum größer sein. Auch er stammt aus einer Landwirtsfamilie, war aber als promovierter Agrarwissenschaftler unter anderem als Staatssekretär in Sachsen-Anhalt und im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft tätig. Auch hier werden Klimawandel, internationale Verflechtungen, Finanzspekulationen, Boden- und Grundwassergefährdung, die unterschiedlichen Interessen der politischen und wirtschaftlichen Akteure thematisiert, doch das betont nüchtern und mit dem soliden Charakter eines Handbuchs.Dass hier letztlich optimistischer auf Machbarkeit gesehen wird, liegt nahe. Wenn man sich nicht mit Alarmismus begnügen will, sosehr der nottut, ist dieses Buch mit seinem Pragmatismus eine profunde Argumentationshilfe für eine sowohl zukunftsfähige als auch umweltverantwortliche Landwirtschaft.Unsere Landwirtschaft besser verstehen. Was wir alle wissen sollten Hermann Onko Aeikens Mitteldeutscher Verlag 2023, 276 S., 24 €Ruhrgebiet im WandelAus dem Ruhrgebiet beklagten die ersten literarischen Zeugnisse die Verdrängung der Landwirtschaft durch die Industrie. Noch heute sieht man der Region an, wie sich hier Landwirtschaft und Industrie miteinander verzahnten und dass es allein schon deshalb schwierig war, die im Zuge der forcierten Schwerindustrialisierung immer wieder visionierte machtvolle Geschlossenheit gegen die Partikularinteressen der Städte und der Firmen durchzusetzen. Auch im heutigen postindustriellen Revier gibt es nicht einmal einen funktionierenden ÖPNV. Was seit den 1920er Jahren von außen übers Ruhrgebiet geschrieben wurde, lässt sich letztlich in jenem Satz aus Heinrich Bölls Besuchstext von 1958 bündeln: „Das Ruhrgebiet ist noch nicht entdeckt worden.“Dieses „noch nicht“, das zeigt Per Leo, der als „Metropolenschreiber Ruhr“ dort war, ist schlagend, ist die Leitlinie, die ihm vorgeschrieben wurde: Es wird, es muss als Einheit erst noch werden. Deren Scheitern, dessen Gründe schon Erik Reger in seinem Roman Das wachsame Hähnchen 1932 viviseziert hatte, wollte man auch dann noch nicht wahrhaben, als das Industrierevier krisenhaft niederging. Von den Visionen einer einheitlichen postindustriellen Zukunftslandschaft ist im Grunde nur die Musealisierung und Renaturalisierung der Industrieparks in einem Sozial- und Wirtschaftskonglomerat übrig geblieben – ein resigniertes „Nicht mehr“.Im Kern von Leos blitzgescheitem Büchlein steckt ein weiteres von ihm in Erinnerung gebrachtes „Noch nicht mehr“ – nämlich die unvergleichliche historiografische Bewegung einer auf Oral History fundierten Sozialgeschichte in den 1970er/1980er Jahren, für die etwa Detlev Peukert, Lutz Niethammer, Dirk van Laak und Franz-Josef Brüggemeier standen: eine feinkörnige Auflösung von Schwarz-Weiß-Mythen zu Bergbau und Schwerindustrie wie Arbeiterbewegung und Widerstand nach 1933 in graustufige Sequenzen von Alltagsbildern.Wenn es denn je ein einheitliches Ruhrgebiet gab, dann war es dieses – die im Moment ihres Verschwindens in ihren Lokalitäten erinnernd fixierte Arbeitsalltagswelt, permanent im Wandel und in Wanderung. So wohl nur möglich in einem selbst transitorischen Moment, als die junge Gesamthochschule Essen sich forschend in Stadt und Region hinausbegab – und dabei zur Universität sich wandelte, wie sie überall zu finden ist.Noch nicht mehr. Die Zeit des Ruhrgebiets Per Leo Tropen 2023, 192 S., 20 €