Abschied von René Pollesch an der Volksbühne: Trauer ist, wenn sogar der Holzwagen schreit
Bühne An der Volksbühne Berlin wurde mit einer bewegenden dreistündigen Bühnenfeier von dem Theaterregisseur und Autor René Pollesch Abschied genommen. Doch die Trauerarbeit sollte ihn nicht zum Monument erstarren lassen
Am Ende dann doch noch eine Art Vermächtnis. Zum Schluss der Gedenkfeier für René Pollesch an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin war der finale Abschied natürlich ein Lied: „Don’t be sad, I know you will / But don’t give up until / True love will find you in the end“, sang der Jugendclub der Volksbühne P14 den Song des US-amerikanischen Musikeroutsiders Daniel Johnston.
True love will find you in the end: Liebe, Liebe und nochmals Liebe – das blieb das alles beherrschende Gefühl in diesem langen und zärtlichen, immer wieder auch düsteren Erinnerungsabend, mit dem alle Mitarbeitenden der Volksbühne, Freund:innen und Wegbegleiter:innen den Ende Februar überraschend verstorbenen Dramatiker, Regis
eiter:innen den Ende Februar überraschend verstorbenen Dramatiker, Regisseur und Intendanten des Hauses feierten und Abschied nahmen. Allein dass es eine solche, innerhalb kürzester Zeit ausverkaufte Veranstaltung gab, für die der Ansturm auf die kostenlosen Tickets so groß war, dass die Seite der Volksbühne vorübergehend zusammenbrach, dürfte eine Ausnahmeerscheinung in der jüngeren Theatergeschichte darstellen – mir ist jedenfalls kein vergleichbares Beispiel eingefallen.Merkwürdig, dass in Gedenken an René Pollesch nun dieses Erbe zurückbleibt. Dieses unerklärliche Gefühl des Publikums, es in seinen Inszenierungen mit „Liebe“ zu tun bekommen oder sie hier erfahren zu haben. Unerklärlich noch viel mehr für eine Theaterkritik, die Zeit seines Lebens nörgelte, er würde immer nur dasselbe machen.Martin Wuttke schreit und ascht in einen EimerWie viel Verbitterung dieser Widerspruch auch hinterlassen haben muss, zeigt der Beginn des Abends, der in dem Bühnenbild stattfand, mit der er seine Intendanz an der Volksbühne 2021 eröffnete: Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen. Unter dem großen Zirkusbanner ENTRANCE und mit einem großen roten Herzen auf dem weißen T-Shirt trägt Martin Wuttke also einen Text vor, der mit einer Kulturkritik abrechnet, die Teil der kapitalistischen Marktlogik geworden ist. Eine Kritik, die sich zur unreflektierten Sprecherin von Marktstrategien macht, wenn sie Künstler:innen dazu anhält, sich „neu zu erfinden“. Auf Wunsch des Autors, um den es hier gehe, ruft Wuttke energisch, ginge es im Folgenden nicht um die „Endstation Meinung“. Die Inszenierung sei keine Meinung, der Autor habe auch keine. Nichts gäbe es hier, was „totalitäre Herzen“ höherschlagen lasse, schreit Wuttke unsentimental und ascht in einen Blecheimer.Don’t be sad, I know you will: In der dreistündigen Trauerarbeit, die dann auf der Bühne zu sehen ist, wird Polleschs Abwesenheit als immer größer werdende Leerstelle fühlbar. Wie entfernte Erinnerungen ziehen mittlerweile zum Kult gewordene Theaterbilder noch einmal an einem vorüber. Der Fall aus dem Bühnenhimmel von Fabian Hinrichs aus Kill your Darlings! Streets of Berladelphia von 2012. Ganz allein diesmal, ohne den damaligen Chor der Sportler:innen, das „kapitalistische Netzwerk“.Placeholder image-1Und alle Texte, die sich sonst in einem Dialog mit einem abwesenden geliebten Menschen befanden, scheinen sich nun – wie könnte es anders sein – ebenfalls auf René Pollesch zu beziehen: „Ich will keine Zukunft ohne dich“ oder „Weißt du mein Schatz, ich habe immer noch mehr Freude an dir als an einem Buch. Das wollte ich dir sagen“, sagt Hinrichs und zerrt den Mutter-Courage-Wagen über die Bühne, der laut aufquietscht. Trauer ist, wenn sogar der Holzwagen schreit. Und ja, es bricht einem selbst das Herz, dazu den Morrissey-Song Life is a pigsty zu hören; diesen Soundtrack einer Inszenierungsweise, die eine Zeitlang zur Massentherapie für ganz Berlin wurde – obwohl niemand jemals genau erklären konnte, was es eigentlich war, das einen dazu brachte, sich das immer und immer wieder anzusehen. Ein Pollesch-Rätsel, das bleibt.Dirk von Lowtzow singt „Im Zweifel für den Zweifel“Viele Songs begleiten diesen Abend. Musik war ein wichtiges, sinnliches Gewebe für seine Inszenierungen, es gab Einlassmusik und Abschiedsmusik – immer feierlich, immer einladend. Ein Gewebe wie der Bühnenhimmel aus Ballonseide, der sich hier wie ein schützender Trauermantel über den Gästen wölbt und der den Umständen entsprechend manchmal wie ein Fallschirm wirkt, den alle gut gebrauchen könnten.Die Belegschaft der Volksbühne singt God only knows von den Beach Boys und We’ll meet again von Vera Lynn. Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow singt allein mit Gitarre Lieder, über die er Pollesch kennengelernt hat. Let there be rock und Im Zweifel für den Zweifel. Tänzer:innen der Flying Steps Academy haben ihre Auftritte und in einem lustigen Dance-Contest mit DJane „Obstsalat“ verlässt das dicke Pärchen als Sieger die Bühne, das statt Hebefiguren lieber ihre Bäuche aneinander klatschen lässt. Pollesch ist, wenn die Hoffnungslosen gewinnen.Schönster Höhepunkt ist die weibliche Trauergemeinde von Polleschs wichtigsten Schauspielerinnen, die in diesen drei Stunden aus unverständlichen Gründen nur dieses eine Mal zu sehen sind. Seine berühmte Aussage von der „authentischen Kuh“, die seine Ansicht „Nichts ist im Theater verheerender als die Arbeit am Authentischen“ auf den Punkt brachte, hat endlich ihren großen Auftritt im Theater. Unvergesslich, wie hier eine Kuh auf die Bühne geführt wird und die Frauen darüber diskutieren, wer nun authentischer sei: die Kuh oder die Kollegin?Das Pollesch-Theater soll vorbei sein? Bitte nicht!But don’t give up until: Nach Polleschs Tod ist bereits verfrüht darüber spekuliert worden, wie es denn nun mit der Volksbühne weitergehen soll. Dass dieses Theater nun vorbei und zu Ende sei, ist dabei zu einer vorschnellen Aussage geworden. Und die kulturpolitische Zukunft dieses einzigartigen Hauses spielte auch eine Rolle, als Anton Spielmann der Punkband 1000 Robota hoffte, „dass alles, was hier am Haus geschieht, auch der Kultursenat versteht“ (Kultursenator Joe Chialo saß auch im Publikum).Doch spätestens, als die Choreografin Florentina Holzinger mit ihren weiblichen „random sailors“ – im Matrosinnenkostüm, aber untenrum frei – René Pollesch zu Jesus erklärte, zeigte sich auch die Gefahr einer „Individualisierungsscheiße“, die ihm so suspekt war. Trotz des großen Gefühls der Trauer und diesem tatsächlich unermesslichen Verlust, wäre jetzt nichts fataler, als die Denkräume von René Pollesch mit ihm zu begraben und den Deckel über einem Theater zu schließen, das – und das darf man jetzt nicht vergessen – schon sehr früh begann, mit und durch eine andere Theaterpraxis die Verhältnisse zu hinterfragen, zu kritisieren, sie neu zu denken. Gar nichts ist hier zu Ende und nichts ist vorbei, wir brauchen René Pollesch mehr denn je. Wie radikal klug und revolutionär er gedacht hat, wie sehr er Theater als kollektives Arbeiten jenseits der Selbstausbeutung als Selbstverwirklichung verstand, ist jetzt nochmal in dem Interview-Buch Arbeit. Brecht. Cinema im Verlag Theater der Zeit nachzulesen, das pünktlich zur Trauerfeier erschien. Diese Fäden müssen weitergesponnen werden. Die Trauer um ihn darf ihn nicht zu einer singulären Figur werden lassen, die sich als erledigt betrachten lässt. Die wahre Liebe ist noch längst nicht gefunden. But don’t give up until.
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