Erinnerung als Folklore auf der Bühne: Opa war ein Nazi, haha!

Theatertagebuch Was es heißt, wenn Erinnerung zur Folklore verkommt, konnte unsere Autorin entsetzt erleben – in der Schaubühne in Berlin, bei einer Aufführung von Christian Krachts „Eurotrash“
Auf Roadtrip Richtung Nazi-Opa. Welch ein Spaß
Auf Roadtrip Richtung Nazi-Opa. Welch ein Spaß

Foto: Fabian Schellhorn

Theatertagebuch

Eva Marburg studierte Theater- und Literaturwissenschaften in Berlin und New York. Nach Arbeiten als freie Dramaturgin und Autorin am Theater, studierte sie Kulturjournalismus an der UdK in Berlin und ist seit 2018 Fachredakteurin für Theater bei SWR2. Für den Freitag schreibt sie regelmäßig das Theatertagebuch.

„Der Nationalsozialismus ist in Deutschland nur noch Folklore“. Das sagte vor vielen Jahren der Dramaturg Carl Hegemann auf einer Podiumsdiskussion. Der Satz ist hängengeblieben, wahrscheinlich auch, weil ich mich damals fragte, was genau er damit meinte. Vor einer Woche sah ich an der Schaubühne in Berlin die Inszenierung von Eurotrash nach dem Roman von Christian Kracht.

Die Handlung ähnelt einem Roadmovie. Ein Autor namens Christian Kracht unternimmt mit seiner Mutter eine Reise durch die Schweiz, während der sie ihre gemeinsame familiäre Vergangenheit aufarbeiten, was natürlich mit der Wiederbelebung von allerlei alten Verletzungen und Vorwürfen einhergeht. Nun kommt noch hinzu, dass in dieser Familie reichlich nationalsozialistische Vergangenheit vorhanden ist, was den Sohn, gespielt vom Theaterstar Joachim Meyerhoff, regelmäßig am Bühnenrand ins Grübeln bringt: Sein Opa sei unter Goebbels im Propaganda-Ministerium tätig gewesen und nach 1945 habe er, problemlos entnazifiziert, eine Werbeagentur gegründet, wo der Nazi-Opa dann den Spruch „Dusch das!“ erfunden hätte, ja ja, das müsse man sich mal vorstellen, „DUSCH! DAS!“. Das Publikum verstand die Pointe natürlich sofort, so schwer ist es ja auch nicht, die Verbindung zwischen „duschen“ und dem Nationalsozialismus zu ziehen.

Da wird ja man ja wohl noch lachen dürfen

Und hier kam dann die Folklore ins Spiel: Das Publikum schmiss sich nämlich weg vor Lachen und hörte auch nicht mehr auf zu kichern, als der Abend unerbittlich damit fortfuhr, noch weitere bizarre Anekdoten aus dem Bereich „Nazi-Opa“ aufzutischen, bei denen sich einige die Lachtränen aus den Augen wischen mussten.

Ich muss sagen, mich packte ein unbestimmtes Entsetzen. Was hat es zu bedeuten, dass die deutsche Vergangenheit im Theater auf einmal so viel Anlass zur Heiterkeit bietet? Muss jetzt über die Verbrechen der NS-Zeit im Parkett auch endlich mal gelacht werden dürfen? Sollen wir das Ganze „mit Humor nehmen“, wie es über das Flugblatt von Hubert Aiwanger hieß? Aber wahrscheinlich sind die Vokabeln „auf einmal“ und „jetzt“ schon die falschen. Sie suggerieren, auf den Bühnen hätte es zuvor eine ernsthafte Auseinandersetzung mit deutscher Vergangenheit gegeben. Gerade vor dem Hintergrund einer vielbeschworenen und gerade wieder aktuellen „historischen Verantwortung“ Deutschlands, würde es sich wirklich lohnen, das mal genauer zu untersuchen: inwieweit und auf welche Weise treten Theater als Akteure der Erinnerungskultur überhaupt in Erscheinung und welche Erzählungen bieten sie dabei an?

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