Was ist Neoliberalismus – und was kommt nach ihm? Amy Kapczynski im Gespräch
Interview Die US-Juraprofessorin Amy Kapczynski hält viele Definitionen von Neoliberalismus für zu ungenau. Für eine nicht neoliberale Zukunft müssten wir aber verstehen, warum diese Logik der Regierungsführung so attraktiv war – auch für Linke
Amy Kapczynski: „Neoliberalismus bedeutet aber auch, einen Teil der Menschen zu etwas zu zwingen, damit andere frei sind.“
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Amy Kapczynski ist Juraprofessorin an der Eliteuniversität Yale in den USA. Sie ist Co-Direktorin des Law and Political Economy Project und der Global Health Justice Partnership sowie Mitbegründerin des LPEProject-Blogs. Kapczynski forscht schwerpunktmäßig zu „Recht und politische Ökonomie“ und beschäftigt sich mit dem Versagen der rechtlichen Logik und Strukturen, die die gegenwärtige Ungleichheit bedingen und die Demokratie unterhöhlen. Zu ihren Hauptschwerpunkten gehören Gesundheitsgerechtigkeit und die politische Ökonomie der Technologie.
Im folgenden Gespräch erklärt sie ihre Auffassung, dass Neoliberalismus nicht nur eine Ideologie, sondern eine Form der Regierungsführung ist, die die Staatsgewalt neu formati
ngsführung ist, die die Staatsgewalt neu formatiert hat. Konsequenzen dieser Regierungsführung sind das ungerechte globale Gesundheitssystem und die strukturelle Macht der Tech-Unternehmen, was beides das Ergebnis von Veränderungen in zentralen Rechtsgebieten ist. Tatsächlich sei das Recht immer das „verbindende Gewebe zwischen neoliberalen Ideen und Regierungsführung“ gewesen. Sie kritisiert dabei zwei bedeutende Theorien darüber, was auf den Neoliberalismus folgen sollte, und ruft heilsam in Erinnerung: Unsere nächste Form der Regierungsführung sollte in Fürsorge wurzeln.der Freitag: Frau Kapczynski, wie definieren Sie Neoliberalismus und warum halten Sie das für die sinnvollste Definition?Ich definiere Neoliberalismus als eine Logik der Regierungsführung, die darauf ausgerichtet ist, die Macht von Marktakteuren zu steigern und die Autorität der Öffentlichkeit über diese Akteure zu reduzieren. Von Wendy Brown stammt der wunderbare Ausdruck „Kapitalismus neu formatieren“. Es ist eine Neuformatierung des Kapitalismus mit dem breiten Ziel, nicht nur die Macht der privaten Akteure zu vergrößern – und daher auch ihre Fähigkeit, Profite zu machen – sondern auch die demokratische Kontrolle über diese Akteure zu lähmen. Dieses Verständnis widerspricht der Vorstellung von Neoliberalismus als deregulierender Bewegung.Er ist nämlich eigentlich ziemlich regulierend, und zwar mit einem bestimmten Paradigma und Zweck im Sinn. Es ist wichtig zu erkennen, wie die Ökonomie offen reguliert wird, etwa über die Neuausrichtung des Arbeitsrechts, des Kartellrechts und anderer Rechtsformen, mit dem Ziel, sie für profitorientierte Impulse zu optimieren. Es ist auch wichtig zu erkennen, dass das mit Regulierungsparadigmen zusammenhängt, die sich unter anderem im Wohlfahrtsstaat und im Gefängnisstaat manifestieren. Wir befinden uns nicht in einer Periode der weitgehenden Deregulierung, insbesondere nicht im US-Alltag.Bleiben wir bei der Definition des Neoliberalismus als einer Art Logik, die Sie in Ihrem ausgezeichneten Gespräch mit Wendy Brown erörtert haben: Gab es in den vergangenen zehn oder 15 Jahren Veränderungen innerhalb dieser Logik? Oder ist sie seit den 1970ern mehr oder weniger konsistent? Ist etwas entscheidend Neues am Horizont aufgetaucht, etwa durch den Aufstieg von Big Tech?Der Neoliberalismus stellte in vielerlei Hinsicht ältere Formen der rechtlichen Regulierung für Big Tech zur Disposition. Er verstärkte dann die Aspekte des Gewinnstrebens – und das Ergebnis war etwas sehr Außergewöhnliches. Diese Technologievermittler, von der Soziale-Medien-Landschaft bis hin zu Amazon, kontrollieren das öffentliche Leben und die Wirtschaft auf ganz besondere und neue Weise. Aber ich denke nicht, dass diese Veränderungen eine Verschiebung in der Logik des Neoliberalismus selbst darstellen. Sie zeigen vielmehr seine Auswirkungen, wenn er auf einen Sektor angewandt wird, der sich mit der Geschwindigkeit von Software verändern kann. Die Prozesse, die der Neoliberalismus in Gang setzt, können heute sehr, sehr schnell ablaufen. Dabei ist die Fähigkeit dieser Formen der Machtkonzentration, den angeblich öffentlichen und den privaten Bereich zu durchdringen, ziemlich extrem.Würden Sie sagen, dass diese Logik im vergangenen Jahrzehnt legitimer oder weniger legitim geworden ist? Mehr oder weniger attraktiv? Spiegelt das ganze Gerede über Neoliberalismus Veränderungen in der Stimmung der Öffentlichkeit?In den USA kam es rund um die Finanzkrise 2008 zu echten Wendepunkten mit einem steigenden Bewusstsein für die Konzentration von Ungleichheit, sowohl was Vermögen als auch Einkommen betrifft, aber auch durch Rassismus begründete und geschlechtsspezifische Ungleichheit. Mit dem Aufstieg der Protestbewegung Occupy – und noch stärker durch die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten – begann man dann, sich Gedanken über die Auswirkungen der neoliberalen Politik auf unser Leben zu machen. Sie hatten Folgen für unsere Wirtschaft und unsere Demokratie sowie für unsere Fähigkeit, uns selbst zu regieren. Das reicht auch über die Grenzen der USA hinaus.Die Besorgnis über den Aufstieg autoritärer Regierungen geht Hand in Hand mit dem Erfolg der Bewegungen gegen den Klimawandel, die es geschafft haben, die Aufmerksamkeit auf den Widerspruch zwischen dem neoliberalen Kapitalismus und der Zukunft des Planeten lenken. Zusammen genommen stellen diese Bedenken – zu Ungleichheit, den Bedingungen der aktuellen Arbeiterklasse, der Zerstörung unseres Planeten und unserer Demokratien, die neoliberale Weltordnung in Frage. Ich lehre an der Yale Law School, ich kann es also ganz nah auf den Fluren sehen. Mir werden Dinge gesagt wie: „Nun ja, Kapitalismus ist großartig. Nur könnte er die Demokratie zerstören.“Das Problem der Ungleichheit ist wirklich, wirklich real. Leute, die diesem Paradigma vor zehn Jahren nicht kritisch gegenübergestanden hätten, fürchten sich jetzt vor einigen seiner Folgen, sind sich seiner unsicher oder versuchen zumindest herauszufinden, was falsch gelaufen ist. Es gibt auch neue Formen der Macht sozialer Bewegungen sowie neue Formen von Beweisen für das Problem. Daraus ergab sich eine neue Dynamik. Die einheitliche Art und Weise, auf die der Mainstream an einem Ort wie dieser juristischen Fakultät diese Art von Logik wirklich zu unterschreiben schien, gibt es so nicht mehr.Sie machen auf zwei intellektuelle Anstrengungen aufmerksam, in denen die Abkehr vom Neoliberalismus Form annahm. Beide sehen Sie kritisch. In einem Essay konzentrieren Sie sich auf den Produktivismus oder Angebotsliberalismus, wie er von Dani Rodrik und anderen progressiven Linken vertreten wird. In einem anderen Essay beschäftigen Sie sich mit einer rechten Bewegung, die als „gemeinwohlorientierter Konstitutionalismus“ bekannt ist. Fangen wir mit Ersterem an. Welche Fallstricke birgt Ihrer Ansicht nach der Produktivismus?Sowohl Produktivismus als auch Angebotsliberalismus weisen auf etwas Wichtiges hin: das Versagen der neoliberalen Logik und der ökonomischen Governance (Regierungsführung), eine Wirtschaft zu schaffen, die wir wirklich haben wollen. Sie legen den Finger auf etwas, mit dem man sich dringend beschäftigen muss. Aber sie sollten nicht als Antwort auf den Neoliberalismus betrachtet werden. Wenn die Denke ist „Wo wir früher Neoliberalismus hatten, haben wir jetzt industrielle Politik und Produktivismus“, dann wäre das ziemlich beschränkt und problematisch. Produktivismus wie von Rodrik formuliert und ähnlich der Angebotsliberalismus vermitteln das Gefühl, dass wir uns hin zu einem direkteren Management von Lieferketten durch die Regierung bewegen, hin zu direkteren Investitionen durch die Regierung in die Verjüngung der produzierenden Wirtschaftssektoren.Ein Problem daran ist, dass der Dienstleistungssektor für die Zukunft der US-amerikanischen Arbeiter und Arbeiterinnen deutlich wichtiger ist als der produzierende Sektor. Die alten Produktionsbedingungen bilden nicht mehr den Zustand unserer Wirtschaft heute ab. Die Idee, dass wir in einen neuen Produktivismus investieren müssen, insbesondere mit dem Ziel der Produktion, hin dazu, dass wir wieder etwas herstellen können – scheint mir einen enorm großen Teil der Kritik am Neoliberalismus auszublenden. Was ist mit der Fürsorge-Agenda? Was soll mit der Dienstleistungswirtschaft geschehen? Wie steht es mit einer tiefgreifenden Klimakritik und der Beziehung, die der Kapitalismus zur Ökologie unterhält? Produktivismus könnte beispielsweise suggerieren, dass grüne Technologie die Lösung für den Klimawandel ist. Tatsächlich sollte man das als einen Teil unserer Möglichkeiten betrachten, die ökologische Krise anzugehen. Allerdings nur als eine beschränkte Möglichkeit.In gewisser Weise orientieren sich Produktivismus und angebotsorientierter Liberalismus an einem falschen Bild von der Wirtschaft selbst. Zum Teil liegt das daran, dass sie auf Ideen zur Wirtschaft basieren – und diese reproduzieren, die etwas veraltet sind; Vorstellungen, die um Denkweisen davon organisiert sind, was Arbeit ist und wie unsere Wirtschaft aussieht, die Feministinnen und Umwelttheoretiker schon lange kritisieren. Allerdings hängt das alles vom Verständnis davon ab, worauf Produktivismus abzielt. Ist es ein Versuch, die Alternative zum Neoliberalismus zu finden, das post-neoliberale Paradigma? So interpretiere ich Rodriks Verwendung des Begriffs. Und wenn das der Fall ist, scheint das Konzept viele Kritikpunkte am Neoliberalismus zu übersehen, indem man ihn behandelt, als sei er allein ein Paradigma der Produktion und nicht auch ein Paradigma dafür, wie beispielsweise Regierung funktioniert.Betrachtet man Neoliberalismus eng nur als Produktionsweise, in der Marktsignale und Effizienz gefördert werden, vergisst man seine Beziehung zur Organisation der Regierungsführung. Neoliberalismus bedeutet aber auch, einen Teil der Menschen zu etwas zu zwingen, damit andere frei sind. Er hat etwas damit zu tun, dass wir in den Gefängnisstaat investieren, um Arbeiterinnen und Arbeiter zu disziplinieren und Verpflichtungen der Gesellschaft zu umgehen. Ein Beispiel ist die Frage, warum wir Polizisten und Polizistinnen in die Schulen schicken und nicht Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen. Der Neoliberalismus hat mit den Phänomenen zu tun, die die Fähigkeiten des Staates schwächen. Das betrifft nicht nur die Fähigkeit, Halbleiter zu liefern, sondern auch für Gesundheitsversorgung, Arbeitslosengeld und Bildung zu sorgen. Eine so enge Definition des Neoliberalismus führt dazu, vieles, was durch ihn auf dem Spiel steht, nicht zu erkennen.Der zweite Ansatz, den Sie kritisieren, ist der Gemeinwohlkonstitutionalismus, der von einem Teil der theokratischen Rechten in der Rechtswissenschaft vertreten wird. Bevor wir uns mit diesen Inhalten befassen: Welche Rolle spielen die Jura-Fachbereiche an den Unis bei der Konsolidierung des neoliberalen Paradigmas?Ich sehe Recht und in gewissem Maße auch die Jura-Fachbereiche und die juristischen Akademiker und Akademikerinnen als verbindendes Gewebe zwischen neoliberalen Ideen und Governance. Es interessiert mich sehr, nachzuvollziehen, wie sich die Vorstellungen an den juristischen Fakultäten verändert haben, um Teile der akademischen neoliberalen Agenda umzusetzen. Diese Ideen werden immer durch Machtfelder aufgebrochen und verändern sich, wenn sie in die Governance eingebettet werden. Ein gutes Beispiel ist das Kartellrecht. Die Ideen über Kartelle, die an den Jura-Fachbereichen der Universitäten unter der Überschrift Law & Economics verbreitet wurden, entwickelten große Macht. Sie wurden genutzt, um eine Vorstellung über die Funktionsweise von Märkten als normal zu etablieren.Nach dieser Theorie kommt immer Wettbewerb auf, solange die Regierung keine Zugangsbarrieren einführt, und Monopole sind naturgemäß instabil. Monopole wurden als Ausdruck von Größenvorteilen angesehen. Daher wurden zahlreiche Gesetzesänderungen vorgenommen, um Fusionen zu erleichtern. Dabei machte man die Durchsetzung des Kartellrechts von einer äußerst präzisen Ökonometrie (Wirtschaftsmessungen) abhängig und nicht von Regeln, die etwa die Größe oder strukturelle Ausrichtung bestimmter Industrien begrenzt hätten. Das machte es sehr schwierig, das Gesetz wirklich durchzusetzen.Das Kartellrecht macht etwas Wichtiges deutlich: Das Rechtsgebiet soll nur einem Zweck dienen, nämlich der Effizienz. Dabei wird Effizienz in diesem Zusammenhang vor allem als Auswirkung auf die Preise definiert. Breitere Folgen für die Struktur unserer Politik oder für die Arbeiterinnen und Arbeiter wurden nicht mehr für wichtig gehalten. Es zählte allein, die Preise für die Verbraucher:innen zu senken. Das hat große Auswirkungen auf die Tech-Branche, in der die Business-Modelle Produkte entweder kostenlos machen sollen, wie bei den sozialen Medien, oder niedrige Preise für die Konsumenten generieren sollen, Beispiel: Amazon.Obwohl die Industrie strukturelle Macht und andere schädliche Effekte hervorbringt, wird sie weiter als Gewinn betrachtet. Daher soll die Kartellpolitik sie auch weiter zulassen. Im Bereich der geistigen Eigentumsrechte gab es ebenfalls viele Veränderungen, um Einkünfte in der Informationsbranche zu erleichtern. Die Einführung neuer Formen von Eigentum, Softwarepatente, Patente auf Geschäftsmethoden, die Ausweitung der mit diesen Eigentumsformen verbundenen Exklusivrechte – all das sind Möglichkeiten, um in der Branche Kapital zu erwirtschaften. Sie kamen zur gleichen Zeit auf, als Formen der Regulierung abgebaut wurden, die dazu dienten, die Machtausübung von Unternehmen in diesen Sektoren zu beschränken. Ein Beispiel dafür ist das US-Gesetz über den Anstand in der Kommunikation (Communications Decency Act).Aber auch in Sachen Regierungsführung sind Veränderungen zu beobachten, wie etwa der Aufstieg der Kosten-Nutzen-Analyse. Dabei wurde Kosten-Nutzen-Analyse in diesem Kontext vor allem eingesetzt, um Regulierung zu verhindern, anstatt sie zu aktivieren. So funktioniert es innerhalb der Regierung. Es gibt auch Veränderungen in der verfassungsrechtlichen Lehrmeinung, Veränderungen in der Art und Weise, wie das First Amendment, der erste Zusatz zur US-Verfassung, verstanden wird. Erst seit 1974 ist die „Unternehmensrede“, die freie Meinungsäußerung von Unternehmen zur Bewerbung ihrer Produkte und zu politischen Themen in der amerikanischen Verfassungstradition geschützt. Das ist zu einem Mittel geworden, Ansprüche auf den verfassungsmäßigen Status der Rechte von Unternehmen zu erheben, eine Vielzahl von Dingen zu tun. Dabei betrafen die Veränderungen am First Amendment-Recht alles von Gewerkschaften bis Wahlkampffinanzierung.Placeholder infobox-1Einige der Aspekte, die Sie kritisieren – etwa der Fokus auf Effizienz oder Kosten-Nutzen-Analyse – könnte auch auf den Fetisch Wirtschaft im Allgemeinen zurückzuführen sein. Ich würde sie nicht unbedingt dem Neoliberalismus an sich zuschreiben. Innerhalb des Neoliberalismus gibt es Denker wie James Buchanan, die bestreiten, dass Effizienz der Maßstab sein sollte. Teilweise betrifft die Kritik also mehr die Praxis als die Logik des Neoliberalismus. Wenn es darum geht, wie Gerichte oder Regulierungsbehörden ihre Entscheidungen treffen, müssen sie auf bestimmte Techniken oder Instrumente zurückgreifen – die Kosten-Nutzen-Analyse ist eines davon. Aber diese Brücke zur neoliberalen Logik könnte von den Neoliberalen selbst angegriffen werden.Das ist ein guter Zeitpunkt, um zu hinterfragen, was es bedeutet, Neoliberalismus als „Logik“ zu bezeichnen. Genauer müssen wir über den Neoliberalismus als eine Neuformatierung der staatlichen Macht sprechen. In diesem Sinne handelt es sich um eine Politik und nicht um eine reine Logik, da stimme ich absolut zu. Sieht man sich die Logik der Effizienz, wie sie im Recht verwendet wird, genauer an, so wie ich es getan habe, stellt sich heraus, dass sie in vielen verschiedenen rechtlichen Kontexten für viele unterschiedliche Dinge verwendet wird. Die Art von Effizienz, von der im Zusammenhang mit geistigem Eigentum die Rede ist, gibt der Innovation den Vorrang vor allem anderen; sie hat aber nicht viel mit der Art von Effizienz zu tun, von der im Kartellrecht die Rede ist, oder mit der Art von Effizienz, die in der Kosten-Nutzen-Analyse zum Ausdruck kommt. Sie unterscheiden sich alle voneinander.Ich denke, sie sind deshalb alle anders, weil sie letztlich auf Vorstellungen über die Vorherrschaft einer bestimmten Art von Macht reagieren: die Macht der Märkte über demokratische Formen der Governance. Diese Vorstellungen von Effizienz kommen dann auf unterschiedliche Weise zum Ausdruck, je nachdem, welche Vorteile diese Formen der Macht haben. In diesem Sinne stimme ich voll und ganz zu, dass es hier nicht einen reinen Ausdruck der Logik gibt, sondern viele Ausdrucksformen eines politischen Projekts, die in verschiedenen Kontexten unterschiedliche Formen annehmen.Die Kosten-Nutzen-Analyse selbst ist ein sehr irreführender Begriff. In der Gesundheitspolitik könnte die Kosten-Nutzen-Analyse dazu führen, dass man sagt: „Mensch, wir sollten viele Kinder impfen.“ Aber so, wie sie institutionalisiert wurde, kann sie nur dazu führen, dass man sagt: „Überwachungskameras sind eine schlechte Idee, wenn sie mehr Kosten verursachen als sie Nutzen bringen.“ Wenn solche Ideen in der Regierung Einzug halten, haben sie eine beschränkte Wirkung.Sie haben auch über die Beziehung zwischen Neoliberalismus und Menschenrechten geschrieben, insbesondere mit dem Fokus auf das Recht auf Gesundheit. Was sagt uns dieser Schwerpunkt über das breitere Verhältnis zwischen Menschenrechten und Neoliberalismus?Diese Kritik schrieb ich aus Frustration. Ich war frustriert über die Mainstream-Gesetzgebung und den Mainstream-Diskurs zu den Menschenrechten sowie über eine Kritik an diesem Diskurs, wie sie mein Kollege und Freund Sam Moyn vorbringt. Als jemand, der sich in der weltweiten Bewegung für den Zugang zu HIV- und anderen Medikamenten engagiert hat, ist mir klar, dass die Forderung nach einem Recht auf Gesundheit zwangsläufig mit Fragen der politischen Ökonomie verbunden ist.Wie lässt sich ein Recht auf Gesundheit damit vereinbaren, dass Pharmaunternehmen Monopolrechte – Patente – erhalten, die es ihnen ermöglichen, die Preise für lebensrettende Produkte in die Höhe zu treiben, ohne dass dies im Geringsten mit Innovationen begründet werden kann? Man denke nur an die jüngsten Preiserhöhungen für Insulin oder an die Preiserhöhungen für den Corona-Impfstoff von Moderna (der massiv von der öffentlichen Hand finanziert wurde und ganz klar alle privaten Investitionskosten wieder hereingebracht hat). Wenn einem Gesundheit am Herzen liegt, muss man sich mit der Struktur der Branche und ihrer Macht auseinandersetzen. Es gibt Möglichkeiten, die Branche zu strukturieren (etwa durch eine größere Rolle für öffentliche Investitionen und Preisregulierung), die sowohl zu mehr Zugang als auch zu mehr Innovation führen könnten. Das sollte den Menschenrechtsgerichten und -institutionen ein Anliegen sein.Aktivisten versuchen immer wieder, diesen Anspruch bei ihnen geltend zu machen. Aber meistens lehnen sie es ab, weil sie Patente und industrielle Strukturen als etwas von den Menschenrechten völlig Getrenntes betrachten. Das ist meine Enttäuschung über die Menschenrechte; die von ihnen etablierte Vorstellung entstand in einer Zeit, in der der Neoliberalismus hoch im Kurs stand und man glaubte, Fragen der Wirtschaft seien von Fragen der Rechte völlig getrennt. Menschenrechtsansprüche werden sogar im Namen von Unternehmen geltend gemacht, die – manchmal, wie in der EU, mit Erfolg argumentieren, dass ihre geistigen Eigentumsrechte als Menschenrecht schützenswert sind. Aber es gab auch Gegenstimmen in dieser Tradition: zum Beispiel Aids-Organisationen, die argumentierten, dass das Recht auf Gesundheit den Gerichten erlauben könnte, Patentrechte einzuschränken.In diesem Sinne übersehen Kritiker der Menschenrechte wie Sam manchmal innovative Versuche, diese Tradition zu nutzen, auch um die Öffentlichkeit zu mobilisieren, wie es meiner Meinung nach die Bewegung für den Zugang zu Arzneimitteln wirklich getan hat.Was sind die wichtigsten Vermächtnisse des Neoliberalismus in der globalen Gesundheits-Governance ? Was lehrt uns Corona über ihre Beständigkeit und Angreifbarkeit?Wir haben ein globales Gesundheitsregime, das die private Macht über die Gesundheit nicht wirklich angefochten hat. Es lässt Narrative über private Macht und Märkte zu, die der globalen Gesundheit großen Schaden zufügen. Angesichts von Corona waren wir in der Lage, sehr wichtige Impfstoffe zu entwickeln – geradezu ein wissenschaftliches Wunderwerk. Das ging nur mit Hilfe enormer öffentlicher Unterstützung, etwa auch für Forschung zu Coronaviren viele Jahre vor der Pandemie, sowie Unterstützung für die globale Überwachung von Krankheiten und Genom-Analyse, die für den Prozess essenziell waren. In den vergangenen Jahren beschlossen aber Regierungen wie die der USA, den Unternehmen keine Bedingungen aufzuerlegen, die dazu beigetragen hätten, dass wir die daraus resultierenden Impfstoffe nutzen können, um die Gesundheit aller Menschen zu verbessern.Wir ließen nicht nur die Monopolproduktion der wirksamsten mRNA-Impfstoffe in privaten Lieferketten zu, zu denen der Norden privilegierten Zugang hatte. Wir erlaubten auch, dass Unternehmen sich weigerten, kritische Versuche zur Herstellung dieser Impfstoffe im Süden zu unterstützen. Es gab zwar die neue Erkenntnis, dass die globale Handelsordnung und das TRIPS-Abkommen (das Teil der Welthandelsgesellschaft WHO ist und Arzneimittelpatente schützt) ein Problem darstellen, und es gab kleine Versuche, sie zu reformieren. Aber letztlich haben wir es nicht geschafft, die Fähigkeit der Industrie zu überwinden, die Bedingungen für die Impfstoffproduktion und den Zugang zu ihnen weitgehend zu diktieren – trotz massiver öffentlicher Subventionen. Ich halte das ganz klar für ein Vermächtnis der neoliberalen Ordnung im Gesundheitsbereich.Sie legen ausführlich dar, wie durch das derzeitige globale Patentsystem die reichen Länder und Konzerne unverhältnismäßig auf Kosten des globalen Südens profitieren. Gibt es irgendwelche Zeichen der Hoffnung, dass es reformiert werden kann?Ich sehe durchaus Zeichen der Hoffnung. Dass die US-Regierung sich für die Aussetzung zumindest einiger Teile des TRIPS-Abkommens zur Heilung von Covid-19 einsetzte, ist beispiellos. Ich wünschte, sie wäre weiter gegangen und Europa wäre nicht so widerstrebend gewesen, aber es war ein wichtiger und neuer Schritt. Er zeigt, dass die neoliberale Handelsordnung heute wirklich in Frage gestellt wird, auch wenn noch nicht klar ist, was an ihre Stelle treten wird. Noch mehr Hoffnung macht mir die neue mRNA-Impfstofffabrik in Südafrika, die von der Weltgesundheitsorganisation unterstützt wird, sowie die Tatsache, dass der US-Bundesstaat Kalifornien daran arbeitet, sein eigenes Insulin herzustellen.Um die Autorität der Konzerne in Frage zu stellen, sind nicht nur Änderungen im Bereich des geistigen Eigentums erforderlich. Es muss auch echte materielle Investitionen wie diese geben, um das Machtgleichgewicht bei wichtigen Produkten zu verschieben. Es existiert eine kleine, aber starke Koalition von Befürwortern im globalen Norden, die versuchen, die Macht und die Preisgestaltung der Pharmaindustrie in Frage zu stellen. Viele von ihnen setzten sich zuvor schon für den weltweiten Zugang zu Arzneimitteln ein. Letztlich sind es die Verbindungen zwischen diesen Bewegungen, die mir am meisten Hoffnung machen. Dort engagieren sich brillante und kreative Menschen, die sich mit den schwierigsten Fragen auseinandersetzen, etwa, wie man Innovation und Zugang verbessern kann. Dazu kommt, dass sie es auf eine Weise tun, die den Menschen im Norden wie im Süden wirklich zugutekommen kann.Wir haben vorhin über das ideologische Gepäck gesprochen, das Ökonomen in diese Diskussion einbringen. Geht in der Rechtswissenschaft etwas Ähnliches vor sich? Wenn an juristischen Fakultäten über Neoliberalismus gesprochen wird, rücken dann bestimmte Aspekte des Themas in den Vordergrund und gehen andere verloren – nicht nur bei den Rechten, sondern auch bei Ihren linken Kolleginnen und Kollegen?An diesem Punkt möchte ich Sie fragen. Was meinen Sie?Ja, es gibt bestimmte Dinge, die unsichtbar werden. Aber ich glaube nicht, dass das nur ein Problem der juristischen Fakultäten ist. Selbst im Fall von Wendy Brown gibt es eine gewisse Abneigung, sich mit dem Neoliberalismus als etwas zu befassen, das tatsächlich Legitimität genießen könnte – sogar unter seinen Opfern, sozusagen. Um dem Rechnung zu tragen, muss man meiner Meinung nach anerkennen, dass der Neoliberalismus einige wirklich aufregende, ja sogar utopische Elemente enthält. Das ist allerdings nur schwer möglich, wenn wir uns nur auf die Neugestaltung der staatlichen Macht konzentrieren.Auf der Ebene des täglichen Lebens ist es schwer, sich für Regulierung zu begeistern. Jemand wie Hayek glaubt, dass der Markt ein Zivilisierungsinstrument ist. Er dient nicht nur der Wissensansammlung oder Zuweisung von Ressourcen, sondern ist vielmehr ein Weg, die Moderne zu organisieren und die Komplexität zu reduzieren. Was die Gesellschaft in ihrer Vielfältigkeit vor dem Zerfall bewahrt, ist diese riesige Blackbox namens Markt, die uns auch vorwärts bringt. Ohne dies zu berücksichtigen – ohne eine parallele, alternative Utopie einzuführen – kann ich mir nur schwer vorstellen, wie eine alternative Logik entstehen soll. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass diese Logik entsteht, wenn man sich ausschließlich auf Umverteilung oder Wiedergutmachung oder die Wiederherstellung der Macht des Verwaltungsstaates konzentriert.Ich stimme zu, dass der Neoliberalismus in mancher Hinsicht wirklich attraktiv war. Ich habe in letzter Zeit viele historische Berichte darüber gelesen, wie die Linke oder zumindest progressive Demokraten dazu kamen, den Neoliberalismus gutzuheißen. Tatsächlich sollte er Teile der US-amerikanischen Gesellschaft verjüngen. Er hatte einen befreienden Impuls. Er sollte einen Staat disziplinieren, der tief festgefahren und nicht in der Lage war, den Leuten das zu geben, was sie wollten. Ich habe Jura studiert. Als Studentin hörte ich da häufig die Erzählung davon, was Veränderung hin zu mehr Effizienz bringen würde. Das wurde als neutrale Technologie dargestellt, die uns allen erlauben würde, miteinander auszukommen und die Dinge zu bekommen, die wir als Einzelne wollten. Das verlieh dem Neoliberalismus große Anziehungskraft.Daher stellt sich die Frage: Wenn wir den Neoliberalismus kritisieren wollen, was sind die Alternativen dazu? Darüber müssen wir diskutieren. Ich selbst finde die Arbeit meines Yale-Kollegen Martin Hägglund sehr spannend, insbesondere sein Buch This Life. Ich habe lange Zeit zum Thema Gesundheitsversorgung gearbeitet und bin daher sehr interessiert an anderen Fürsorgeformen. Dieses Buch bietet eine säkulare Vision der Befreiung – frei zu sein, unsere Zeit so zu nutzen, wie wir es wollen, und dann die Verpflichtung zu haben, die Arbeit zu teilen, die niemand machen will –, die sehr interessante Aspekte betreffend des Regierens in sich trägt. Aber diese Vision basiert nicht etwa auf der Idee von einem stärkeren Verwaltungsstaat.Stattdessen vermittelt sie eine Vorstellung davon, was wir von einem Staat erwarten und was wir von unserer Politik erwarten sollten. Für mich ist das zum Teil deswegen so spannend, weil es mit aktuellen politischen Mobilisierungen zusammenpasst, etwa den Schritten zum Ausbau der Gesundheitsversorgung in den USA zu Bestrebungen, den Strafvollzug durch unterstützende Maßnahmen zu ersetzen, die in Fürsorge wurzeln. Ich will damit sagen, dass Kritik am Neoliberalismus einen Teil seiner populären Anziehungskraft ernst nehmen sollte. Eine Kritik am Neoliberalismus sagt nicht sehr viel darüber, welche möglichen Alternativen es zu ihm gibt. Dabei ist ein Gefühl für diese Alternativen sehr wichtig.In einem Ihrer jüngsten Essays sprechen Sie von der Notwendigkeit, die Marktpolitik zu demokratisieren. Was würde das bedeuten?Zum einen geht es darum, von der Vorstellung abzurücken, Märkte folgten ihren eigenen Gesetzen. Wir sollten anerkennen, dass wir die Gesetze und die Formen der sozialen Praktiken etablieren, die Märkten ihre Form geben und bestimmte Konsequenzen haben. Wir haben das Marktdesign in der Hand und dürfen nicht einfach sagen, Angebot und Nachfrage hätten dies oder das verursacht. Arzneimittel sind ein anschauliches Beispiel dafür, wie unsere kollektive Macht durch den Staat genutzt wird, um so genannte Marktergebnisse zu gestalten. Wir geben Unternehmen eine große Macht, die Preise zu bestimmen, und dann blicken wir uns um und bemerken, dass die Preise für Medizin steigen. Das steht in starkem Widerspruch zu der Idee, dass alle Menschen Zugang zu dem haben sollten, was wir zum Gesundsein brauchen.Aber nicht alle vorgeschlagenen Alternativen kommen von einem so progressiven Standpunkt. Ein Beispiel ist die Idee des Gemeinwohlkonstitutionalismus, um schließlich doch darauf zurückzukommen.Richtig. Gemeinwohlkonstitutionalismus ist eine Entwicklung im Rechtsdiskurs, um die herum sich eine Gruppe meist katholischer Denker und Denkerinnen zusammengefunden hat, um den Verfassungsdiskurs wieder mit einer katholischen Moral zu versehen. Ein sehr praktischer Ausdruck im US-amerikanischen politischen Kontext ist das Abwenden vom historischen, rechten Paradigma der Verfassungsinterpretation – welches das ursprüngliche Anliegen der Gründerväter aufgreift – zugunsten einer stärkeren und durchsetzungsfähigeren Verfassungsordnung, die auf religiösen Grundsätzen beruht. So setzten sich zum Beispiel die Originalisten in der jüngsten Abtreibungsdebatte mit dem Argument durch, dass der Verfassungstext die Abtreibung nicht schützt und daher die Angelegenheit den Staaten überlässt.Allgemeinwohl-Konstitutionalisten dagegen sind an einer Verfassung interessiert, die das Leben von Föten schützt. Anstatt Staaten wählen zu lassen, ob sie die Abtreibungsmöglichkeit erhalten wollen, würde die Gemeinwohl-Verfassung ihnen verbieten, das zu tun. Diese Durchdringung der US-amerikanischen Verfassungsordnung mit religiösen Werten ist Ausdruck einer breiteren Bewegung, die ich beim post-neoliberalen rechten Flügel sehe. Ein sehr wichtiger Aspekt dieser Denkrichtung ist, auf die Probleme von Marktfundamentalismus und Neoliberalismus hinzuweisen – ein Begriff, der sogar benutzt wird – und zu argumentieren, dass wir wieder Werte in das US-amerikanische Leben einführen müssten. Für die Gemeinwohl-Konstitutionalisten bedeutet das die Forderung nach einer Rückkehr zu Familienzulagen; eine Rückkehr zu normativen, heterosexuellen Familien; eine Rückkehr zu Formen der staatlichen Unterstützung für angemessene Formen des religiös geordneten Lebens; eine Rückkehr zu religiösen Werten auch im Markt.In den USA beobachten wir das in Fällen wie dem des Bastelbedarf-Unternehmens Hobby Lobby, in denen religiös geprägte Unternehmen ihre Werte auf dem Markt zum Ausdruck bringen wollen. Es gibt eine Tendenz, das zuzulassen, sei es im Zusammenhang mit Hochzeitstorten für Homosexuelle oder bei der Versorgung mit Verhütungsmitteln in der Gesundheitsfürsorge. Was mich daran beunruhigt – obwohl es nur einen kleinen Teil des sehr breiten und diversen rechten Flügels in den USA darstellt – ist die Tatsache, dass die Bewegung ein recht klares Konzept davon hat, wie sie Vorherrschaft erreichen kann. Sie tut das über das amerikanische Verfassungsgericht „Supreme Court“, in dem sie viel Macht hat. Dadurch handelt es sich um eine sehr wichtige Entwicklung.Um das Thema Neoliberalismus und Utopie aufzugreifen, müssten wir wohl tatsächlich versuchen, eine Gesellschaftstheorie zu entwickeln, die zeigt, welche alternativen Institutionen eine Welt ermöglichen, die so vielfältig und lebendig ist wie die durch Märkte und Recht vermittelte. Also die Vision von Jürgen Habermas ergänzt um einige soziale Bewegungen. Vor zwanzig Jahren waren die US-amerikanischen juristischen Fakultäten sehr gut darin, diese utopische Dimension zu entwickeln, auch wenn es sich um naive Utopie handelte. Aber das ist aus der heutigen Analyse des Neoliberalismus verschwunden, was beunruhigend ist. Sind die an Utopien Interessierten vom Aufstieg des Silicon Valley so traumatisiert, dass sie aufgegeben haben, über solche Dinge nachzudenken?Tatsächlich sind an den Jura-Fachbereichen heute auch utopische Ideen zu finden – auf jeden Fall progressive und ehrgeizige Ideen. Ein Beispiel sind Arbeiten zum Thema Geld. Es wird darüber nachgedacht, was es bedeuten würde, alles Mögliche zu verändern, von nationalen Investitionsbehörden bis hin zu einer Zentralbank, die nach ganz anderen Prinzipien arbeitet, oder die Bankenstruktur umzugestalten, um Formen der sozialen Vorsorge zu ermöglichen und dem Klimawandel entgegenzutreten. Das ist ein Beispiel für etwas ziemlich Neues.Es gibt auch viele Forderungen nach etwas, das man als Dekommodifizierung (die Abkopplung sozialer Sicherheit vom Arbeitsmarkt, Anm. d. Übers.) bezeichnen könnte: Wohnraumgarantien, Garantien für die Gesundheitsversorgung und sogar institutionelle Regelungen, die etwas von dem, was Sie beschreiben, beinhalten könnten. Die Frage ist zum Beispiel: Wie lässt sich ein komplexes System wie eine Gesundheitseinrichtung bedarfsorientiert und nicht gewinnorientiert führen? Es gibt Leute, die das bis zum Ende durchgedacht haben. Es gibt auf der Welt bereits Beispiele dafür, dass diese Prinzipien umgesetzt werden. Das motiviert, weitere Ideen dazu zu entwickeln, was es bedeuten könnte, institutionelle Kräfte in diese Richtung zu lenken.Es existieren Ideen, wie Investitionen demokratischer gelenkt, der Wohnungsbau demokratischer organisiert oder die Gesundheitsversorgung demokratischer organisiert werden könnte. All das wird nicht nur an den Jura-Fachbereichen diskutiert. Alle Teile zusammengenommen könnten eine durchsetzungsfähigere Zukunftsvision ergeben, die nicht nach neoliberalen Prinzipien organisiert ist. Was noch fehlt: diese Teilchen zusammenzusetzen und der Sache einen neuen Namen zu geben. Dabei sind diese Teile aufregender als das, was in den 2000er Jahren passiert ist, etwa die Bewegungen rund um Open Access, den freien Zugang zu Inhalten im Internet, oder die gemeinnützige Organisation Creative Commons, die den Abschluss von Lizenzverträgen erleichterte. Darauf hatten Sie angespielt. Ich finde die neueren Phänomene spannender, weil sie sich direkt mit der Notwendigkeit von Formen der öffentlichen Macht für die Umsetzung dieser Dinge befassen. Und dabei basieren sie nicht auf einer rein freiwilligen Vorstellung davon, was wir erwarten oder erreichen können.Ich stimme zu, dass das ein radikaler Ansatz ist, aber für meinen Geschmack ist er zu konservativ, was die institutionelle Mischung angeht. Sicherlich ist Dekommodifizierung nach 50 Jahren Neoliberalismus radikal. Aber gemessen am britischen Wohlfahrtsstaat der 1940er Jahre ist das nicht radikal.Jetzt möchte ich Sie mal nach Alternativen fragen.Es ist weniger der Durchschnittsrichter, der davon überzeugt werden muss, dass die Herrschaft des Markts vorbei ist, sondern jemand wie der deutsche Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas. Aber es gibt nicht viel, was ihn davon überzeugen könnte, dass wir uns vom Markt und vom Rechtssystem als den beiden vorherrschenden Formen verabschiedet hätten, die die Moderne prägen. Ich sehe einfach nicht viel Denken, das sich mit alternativen Wegen zur Neugestaltung der Moderne beschäftigt. Ohne diese Wege können wir aber nur das Gleichgewicht zwischen den bestehenden Kräften ändern. Ich würde natürlich lieber eine Verschiebung hin zur Staats- als zur Marktseite sehen.Was haben Sie als neue Vehikel im Kopf? Etwas, das mit digitalem Sozialismus zu tun hat?Letztlich geht es um alternative Formen der Werteschaffung, sowohl ökonomisch als auch kulturell. Dafür gilt es, den richtigen, progressiven Gegenpart zum Markt zu definieren. Von meinem Standpunkt aus ist das nicht der Staat. Der Gegenpart sollte Kultur im sehr weit definierten Sinne sein – Kultur, die das Wissen und die Praktiken der Gemeinschaften umfasst.Eher im Sinne des Gemeinwesens als des Staates?Ja, als eine Möglichkeit, Infrastrukturen bereitzustellen, die Neues fördern und sicherstellen, dass wir das daraus Folgende koordinieren können. Und Technologie ist der Schlüssel dazu.