Sport Der Frauenfußball boomt, heißt es, manchmal schon mit spöttischem Beigeschmack. Dazu gibt es keinen Grund. Sechs Einwürfe vom Spielrand zum besseren Verständnis unserer Begeisterung
Auch in puncto Torjubel kann der Frauenfußball längst mit den Männern mithalten
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Für das Spiel Deutschland gegen Kolumbien habe ich mich mit meiner Tochter und meiner Freundin in der FC Magnet Bar am Weinbergspark in Berlin-Mitte verabredet, um öffentlich gemeinsam zu kucken. Es ist mein erstes Public Viewing dieser WM. Wir sehen in der mit 40 Zuschauerinnen gefüllten Bar ein sehr spannendes Spiel, bei dem gelungene Aktionen beider Seiten beklatscht werden.
Erster Einwurf: Frauenfußball ist der bessere Fußball
Meine Begeisterung über die Fußball-WM am anderen Ende der Welt ist groß. So viele packende Spiele, so viele Überraschungen, eine so hohe Fußballqualität auch in Vorrundenspielen mit fußballerisch unbekannten Nationen, dass ich erst mich und dann andere fragte: Ist Frauenfußball der bessere Fußba
bessere Fußball? Ich selbst glaube es, weil ich als Zuschauer die Spiele der Damen-WM viel mehr genießen kann als die der Herren. Ich vermisse nichts. Es ist nicht so, dass die Frauen nicht foulen oder nicht gefährlich foulen. Aber sie tun es einfach viel seltener. Und dass die Frauen langsamer spielen als die Herren, ist nicht zu erkennen. Falls man es mit der Stoppuhr nachmessen kann, ist das irrelevant, weil es nicht um die Geschwindigkeit von Spielern geht, die nicht mitspielen.Geringere Qualität im Fußballspiel der Frauen gegenüber dem Spiel der Männer liegt nicht im Auge des Betrachters, sondern in seinem Kopf. Dort nisten die Stereotype: 600 Personen wurden für eine Studie unter Leitung der Universität Zürich Mitschnitte von Spielerinnen gezeigt, und sie wurden befragt, welche Fußballerinnen oder Fußballer besser seien. Frauen und Männer wurden gleich bewertet, wenn das Geschlecht nicht zu erkennen war. Waren dagegen Männer als Männer auszumachen, wurden sie automatisch als die besseren Spieler gesehen.So wäre es auch hier am Weinbergspark auf Großleinwand. Ein reiner Genuss ist das heutige Spiel dennoch nicht, es wird zu hart gekickt. Nach etwas über 20 Minuten gibt es Beifall für die Deutschen und kurz danach für die Kolumbianerinnen. Klara Bühl erhält sogar einen Solo-Applaus für eine laufstarke Balleroberung, wie auch Alexandra Popp für einen Angriff, aber ihr fehlt die Präzision – wieso auch sollte der Frauenfußball immer besser sein?Zweiter Einwurf: VeteraninnenIch befrage Horst Bredekamp, 76, und meine Mutter. Sie ist eine Veteranin des Frauenfußballs; geboren 1938 und aktiv als Margot Urban, hat sie das erste und lange einzige offizielle Fußballspiel der Frauen 1963 in der DDR organisiert. Bescheiden wehren beide ab, Expertinnen zu sein, verfolgen die Entwicklung des femininen Fußballs aber tatsächlich seit vielen Jahren. „Aus deutscher Sicht spielen die Frauen wegen der schwachen Herrenmannschaft durchaus den besseren Fußball.“ Keiner, der die deutschen Spiele der beiden WMs vergleicht, wird meiner Mutter hier widersprechen wollen.Auch bei diesem Spiel in Sydney überzeugen die deutschen Frauen erst mal, aber bei der WM geht es nicht um Deutschland, sondern um die ganze Welt. Nach Einschätzung meiner Mutter zeichnet sich das Spiel der Frauen auch international positiv gegenüber dem der Männer aus. Wodurch? Durch weniger Härte und mehr Technik und Taktik.So weit würde Horst Bredekamp nicht gehen. Er ist in der weiten Welt als streitbarer Kulturwissenschaftler bekannt und in Berlin als immer noch aktiver Fußballer beim FC Mischzone. Dreimal pro Woche kann ich mit ihm spielen und würde gern das Geheimnis seiner guten Form erfahren. Als Frauenfußballfan äußert er sich hier zum ersten Mal.Dass Frauen den besseren Fußball spielen, geht Bredekamp also zu weit. Für ihn ist es aber der sympathischere Fußball, bei dem ihn die „geometrischere (Zungenbrecher!) Taktik“ begeistert, und er bekräftigt das in meinen Augen wichtigste Argument: „Als Zuschauer hat man weniger Angst vor schweren Verletzungen, deshalb ist er schöner anzusehen.“Dritter Einwurf: ÜberraschungenZu den Überraschungen dieser WM in Neuseeland und Australien gehört, dass die USA, Australien und Deutschland ums Weiterkommen zittern müssen. Wenn plötzlich viele sehr gute Mannschaften auf der Weltbühne erscheinen und sich auch Teams aus kleineren Verbänden (Haiti, Vietnam) für dieses Turnier qualifiziert haben, ist bewiesen, dass in den Herkunftsländern der Mädchen- und Frauenfußball mindestens anderthalb Jahrzehnte lang gefördert wurde. Wie viel hat es gekostet? Ist Geld hier überhaupt alles?Ich vermute, dass häufig genug ein Ende der geschriebenen und ungeschriebenen Verbote die größte Förderung war. Horst Bredekamp sieht im weltweiten Aufstieg des Frauenfußballs sogar „eine kollektive Emanzipationsbewegung durch den Drang, die Degradierung von Frauen in manchen islamischen Kulturen zu brechen“.Dass der Weltfußball der Frauen so gut geworden ist, ist für Deutschland nicht nur eine gute Nachricht. Damit wird es ja immer schwieriger, Weltmeister zu werden.Und das sehen wir gerade live am Weinbergspark in Mitte. Kolumbien lässt nicht nach und bleibt die ganze erste Halbzeit über giftig und gefährlich.Vierter Einwurf: Ungleiches GeldGleiches Geld für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen? Der Markt sorgt heute so wenig dafür wie in der Vergangenheit. Fordern Fußballerinnen mehr Geld, dann tun sie etwas, was keine Männermannschaft jemals getan hat, sie kämpfen um ihre Gleichberechtigung. Wir sind diesem Grundrecht näher als vor 100 Jahren, im Fußball fehlen dazu noch viele Prozent. Derzeit verdient keine Profi-Fußballerin auf der Welt mehr als 500.000 Euro pro Jahr, wenn es über 100.000 Euro sind, gehört sie zu den bestverdienenden im Gewerbe. Nach unten gibt es in den niedrigeren Ligen kein Grenzen, sodass 2.000 Euro Grundgehalt für die meisten Spielerinnen in der deutschen zweiten Liga schon eine große Verbesserung wären.Das Gefälle ist also auch im Frauenfußball groß, und groß ist auch der Unterschied zwischen den Spitzengehältern der Frauen und denen der Männer; den 6,5 Millionen Euro pro Jahr, die der derzeitige glücklose Bundestrainer der deutschen Männer bezieht, stehen die ungefähr 150.000 Euro der deutlich erfolgreicheren Bundestrainerin gegenüber. 110 Millionen von der FIFA gibt es als Prämien für die Frauen, bei den Männern waren es 440 Millionen. Immerhin war es vor einem Jahr die US-Mannschaft, die mit dem Argument gleiche Bezahlung durchsetzen konnte, dass sie im Gegensatz zu den Herren große Erfolge aufzuweisen habe.Das gilt inzwischen auch für Deutschland. Während die Frauen bis ins Endspiel der EM kamen, schieden die Männer in der Vorrunde der WM aus. Dass sich die Herren erholen oder auch nur der Tiefpunkt erreicht ist – nichts spricht dafür.Fünfter Einwurf: Kampf um MenschenrechteWie erfreulich sich die Frauen von den Herren absetzen, zeigen ihre Statements trotz Verboten der FIFA. Es waren nicht nur die Deutschen, auch die anderen Profis glänzten bei der vergangenen WM nicht durch mutige politische Aussagen.Und wie bei der letzten WM der Herren in Katar sind Kapitänsbinden in Regenbogenfarben auch bei dieser WM verboten. Die neuseeländische Kapitänin Ali Riley lackierte sich deshalb die Fingernägel in Regenbogen- und Trans-Farben, blau-rosa-weiß zeigte sie in Interviews und wurde von den trans Athletinnen als „Ally“, Alliierte im Kampf um Menschenrechte, gefeiert. Um welche Menschenrechte es da geht? Trans Athletinnen sind von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Megan Rapinoe aus der US-amerikanischen Mannschaft sieht trans Frauen als echte Frauen.Die deutsche Nationalmannschaft setzt sich gegen Gewalt an Frauen ein und spendet einen Teil ihrer Turnierprämien an den Nachwuchsfußball. Wenn es um den Einsatz gegen Homophobie geht, ist es beeindruckend, wie unangestrengt die Frauen mit Frauen in ihren Reihen umgehen, die Frauen lieben. Bei den Männern steht in der Nationalmannschaft das erste Outing eines Aktiven noch aus.Zurück zum Spiel. Es ist ein kleines Fußballfest am Weinbergspark, bei Cappuccino, Bier, Cola und Limo. Auch auf dem Bürgersteig schauen die Menschen dem Spiel zu. In der 52. Minute fällt das bisher schönste Tor der WM, leider für Kolumbien. Aber die Magie des Fußballs scheint auf, als die 18-jährige Linda Caicedo zeigt, warum sie „La Neymar“ genannt wird. Auf engstem Raum kocht sie zwei deutsche Verteidigerinnen ab und schlenzt haargenau eine Bogenlampe ins lange Eck, mit einer Genauigkeit, die den Deutschen heute nicht gelingt. Wie hatte Horst Bredekamp gesagt? Von unten nach oben zu kommen ist leichter und freudvoller, als von oben nach unten abzurutschen.Letzter Einwurf: Körper und Kopfball in der NachspielzeitAm meisten beeindrucken Horst Bredekamp die Körper der Fußballerinnen: „Die erstaunliche Physis der Spielerinnen, ohne Brutalität, die körperliche Resistenz bei afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Mannschaften.“ Wie kommt es zu diesem weltweiten Qualitätssprung? Bredekamp hat keinen Zweifel: „Durch die weltweite Förderung von Mädchen, in Schule und Sport, beginnend als Teil einer bewussten Emanzipationsbewegung, die hier ihre beste Seite zeigt. Mädchen in Bereiche zu führen, die ihnen bisher verschlossen waren, hin zu einem Mannschaftssport, der bis vor einiger Zeit nicht systematisch gefördert wurde.“Nur sieben Minuten nach dem schönsten Tor der WM kann nur ein Foul der kolumbianischen Torfrau den Ausgleich abwenden. Es gibt einen Elfer, den Popp in die Mitte reinhaut. Das 1 : 1 fühlt sich wie ein Sieg an. Aber es ist nicht das Ende. Es gibt eine letzte Ecke für die Kolumbianerinnen, in der letzten Minute der Nachspielzeit. Manuela Vanegas verwandelt unbedrängt aus der zweiten Reihe mit einem wuchtigen Kopfball. 2 : 1 für Kolumbien.Gewonnen hat nicht die bessere, sondern die härtere Spielweise. Es war nicht der beste, aber der spannendste Fußball, wir wollen bis zum Endspiel noch viel mehr davon sehen.Placeholder authorbio-1