Man kann der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen nicht entkommen. Die Mediathek des Fernsehens ist voller Dokumentationen über die deutschen Spielerinnen. Man kann Klara Bühl, die Maskottchen häkelt, nicht nicht kennenlernen wollen. Ein Versicherungskonzern macht per Mail darauf aufmerksam, dass die Torhüterin Merle Frohms für ihn exklusiv aus Australien berichtet. Lesen Sie den Merle-Ticker – und, ach ja, haben Sie schon eine Zahnzusatzversicherung?
Rund um die Fußball spielenden Frauen herrscht also ein Rummel, der dem um die Männer durchaus vergleichbar ist. Zwar wird der Fußball in seiner weiblichen Variante noch dafür gefeiert, dass er ganz anders ist, doch ist die Angleichung an Kommerz und Habitus des Männer-Kicks in vollem Gange. Diese Frauen-WM 2023, die gerade in Down Under läuft, kommt schon ziemlich männlich daher. Die Schwedin Pia Sundhage, die Brasilien coacht, wirkt wie eine Mischung aus Arsène Wenger und Morten Olsen, zwei Granden des internationalen Fußballs, wenn sie vor einer FIFA-Wand im Flash-Interview über das gerade absolvierte Spiel spricht. Martina Voss-Tecklenburgs Körpersprache, wenn sie hadert oder anfeuert, ist eins zu eins die in der Hennes-Weisweiler-Akademie gelehrte und in der Männer-Bundesliga praktizierte. Das Spiel auf dem Feld ist gut, strategisch reif, technisch sauber und hat immer mehr wuchtige Momente. Wir ertappen uns dabei, wie wir Alexandra Popp in Gedanken auf die Mittelstürmerposition bei Hansi Flick beamen und überlegen, ob sie dort die Chancen verwerten würde, die Kai Havertz liegen lässt.
Man kann sich vorstellen, dass in manchen Ländern ein Scheitern der Frauen-Mannschaft von den Grenzgefühlen Trauer und Wut und der unerbittlichen Forderung nach Konsequenzen begleitet würde. Bald werden sie auch bei uns vorbei sein, die Zeiten, in denen man den Erfolg des Frauen-Teams als nette Beigabe annahm, aber nicht gram war, wenn verloren wurde. Richtig wichtig waren nur die Männer. Auf die konzentrierten sich alle negativen Gefühle, wenn es nicht gut ging. Allmählich werden auch die Frauen in die Pflicht genommen: Klara Bühl könnte also einmal der ernst gemeinte Vorwurf begegnen, die Häkelei lenke ihre Konzentration weg vom Spiel.
Am weitesten fortgeschritten ist der Frauenfußball auf der Expertinnenseite. Almuth Schult war ja schon als Erleuchtung bei der Männer-Europameisterschaft 2021 genannt worden. Schlüsselszene: Der von der ARD eingekaufte Bastian Schweinsteiger rühmte Manuel Neuer als besten Torhüter des Turniers, die Torhüterin Schult sagte „Nö“ und nahm das Wirken Neuers in einer Tiefe auseinander, die Schweinsteiger entweder fremd war oder die er aus kumpeliger Verbundenheit mied. Oder jetzt: Kathrin Lehmann im ZDF. Die Schweizerin ist die Durchblickerin schlechthin. Torhüterin im Fußball, Stürmerin im Eishockey, beides auf Nationalmannschafts-Niveau, und im Gegensatz zu vielen Ex-Fußballern, für die Experte die einzige Danach-Option ist, hat sie auch ein echtes Leben als Dozentin. Sie könnte nach den stundenlangen WM-Übertragungen einfach im Sender sitzen bleiben und im Abendprogramm eine kompetente Expertise zum politischen Weltgeschehen abgeben. Besser als jeder Fußballer (männlich).
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