„Ripley“ auf Netflix: Aus dem Arbeitsleben eines Betrügers
Streaming Steven Zaillian hat Patricia Highsmiths „Ripley“-Roman adaptiert, mit langem Atem und sehr nah an der Vorlage – und einem ästhetischen Kunstgriff
New York, 1961. Tom Ripley (Andrew Scott) sitzt in einer Bar, es ist helllichter Tag, aber viel zu tun hat er nicht. Er hält sich mit kleineren Betrügereien über Wasser, fängt fremde Post ab und schickt Mahnungen für angeblich nicht geleistete Zahlungen an die Absender. Kleckerbeträge im zweistelligen Bereich, damit niemand Verdacht schöpft. Trotzdem ist er permanent auf der Hut, nimmt jeden Blick in seine Richtung gleichsam seismografisch wahr. So auch den des Mannes am anderen Ende des Tresens. Der aber setzt sich prompt neben Ripley und stellt sich als Privatdetektiv vor. Er sei angeheuert worden, ihn ausfindig zu machen. Herbert Greenleaf, ein Schiffsmogul in Long Island, habe ein Angebot für Ripley. Greenleafs Sohn Richard (Johnny Flynn), von al
allen Dickie genannt, versucht sich seit geraumer Zeit in Italien als Maler, auf Papas Kosten. Und Ripley, den der Vater für einen Studienfreund seines Sohnes hält, soll Dickie dazu bewegen, zurückzukehren. Für ein stattliches Honorar, alle Spesen bezahlt.Ripley nimmt an, reist nach Italien und erkennt schnell, dass Dickies privilegiertes „dolce vita“ dort mit Freundin Marge sehr viel erstrebenswerter ist, als den Auftrag des Alten zu erfüllen. Also weiht er Dickie zumindest so weit ein, dass er dessen Vertrauen gewinnt. Dickie bietet ihm an, bei ihm zu wohnen und sich das Geld fürs Hotel zu sparen. Tatsächlich lässt sich der schnell gelangweilte Lebemann von Ripleys Charme leicht um den Finger wickeln. An Marge dagegen beißt sich Ripley die Zähne aus; sie ahnt, dass etwas an diesem aus dem Nichts aufgetauchten Mann merkwürdig ist. Doch auch ihre Schwächen weiß Ripley auszunutzen. Bald greift er zu weit drastischeren Mitteln als lediglich Lügen und Betrügen.Die achtteilige Netflix-Miniserie Ripley erzählt die Geschichte des notorischen Betrügers nicht zum ersten Mal. Aber kaum eine Adaption von Patricia Highsmiths Roman Der talentierte Mr. Ripley, publiziert 1955, kam der Vorlage bislang so nahe und nahm sich zugleich so viel Zeit. Vor allem aber ist die von Steven Zaillian in brillanten Schwarz-Weiß-Bildern inszenierte Serie deutlich düsterer und melancholischer als etwa René Cléments Nur die Sonne war Zeuge (1959) mit Alain Delon und die wohl bekannteste Verfilmung, Anthony Minghellas sonnendurchfluteter Der talentierte Mr. Ripley von 1999, in dem ein junger Matt Damon den Trickbetrüger verkörperte.So unterschiedlich die Adaptionen sind, gibt es Schlüsselszenen, die in Variationen immer wieder auftauchen. Der Moment etwa, wenn Ripley heimlich Dickies Kleidung anprobiert und dabei von ihm ertappt wird. Oder die Szene auf dem Boot, wenn der Millionärssohn mit Ripley bricht und dieser nur noch einen Ausweg sieht.Ein Kunstgriff von Steven ZaillianGespielt wird Ripley diesmal vom 47-jährigen Iren Andrew Scott, bekannt geworden als Moriarty in den Sherlock-Filmen mit Benedict Cumberbatch oder als „hot priest“ in der zweiten Staffel von Fleabag, sowie jüngst in Andrew Haighs All of Us Strangers zu sehen. Die Figuren in Ripley und in Haighs Drama ähneln sich auf gewisse Weise: einsame Männer, die Verletzungen und Zurückweisungen erfahren und ihre Gefühle ganz tief vergraben haben. Anders als der offen schwule Adam in Strangers ist Ripley in seiner Sexualität ambivalenter. Er begehrt weniger Dickie als dessen Leben, er will selbst Dickie sein. Das „Unaussprechliche“ nutzt er allenfalls in entscheidenden Momenten perfide als Gerücht, um andere in Verruf zu bringen. Scott spielt dieses Phantom faszinierend undurchschaubar.Sehenswert ist auch die restliche Besetzung. Dakota Fanning verkörpert Marge schön widerspenstig; John Malkovich, der den amoralischen Helden in Ripley’s Game 2002 schon einmal selbst verkörperte, hat einen vielsagenden Kurzauftritt. Die eigentliche Entdeckung aber ist Eliot Sumner als Dickies Freund Freddy (die Rolle, die in Minghellas Version Philip Seymour Hoffman spielte). Der schauspielende Nachwuchs von Musiker Sting identifiziert sich als nonbinär und verleiht dieser Figur mit sezierendem Blick eine Irritation, die nicht nur Ripley aus der Fassung bringt.Wie Ripley anderen und sich etwas vormacht, ist weniger Versteckspiel als nervenzehrende Arbeit. Auch wenn er dabei lächelt. Diese ständige Bedrohung des Auffliegens dominiert die düster-unterkühlte Atmosphäre der acht Episoden. Steven Zaillian, der unter anderem die Drehbücher zu Schindlers Liste und Martin Scorseses The Irishman verfasst hat, lässt sich dafür viel Zeit. Immer wieder gibt es lange Sequenzen, in denen Ripley Wege zurücklegt, im Moloch New York ebenso wie in den verwinkelten Treppen und Gassen des italienischen Küstendorfs.Er ist ein Suchender und ein Getriebener, immer auf dem Sprung, ein Unbehauster, der nirgendwo richtig dazugehört. Und jeder Passant oder Polizist ein potenzieller Feind. Erst in Venedig scheint Ripley richtig anzukommen. Er mietet sich einen Palazzo am Kanal, kann ihn aber wegen seiner Wasserphobie meist nur durch den Hintereingang von der Straße betreten. Doch auch dieser Rückzugsort wird wieder gefährdet, als ihn mit Marge die Vergangenheit einholt.Im Lauf der Folgen identifiziert sich Ripley zunehmend mit Caravaggio, dem italienischen Maler, in dessen Werk und skandalösem Leben er Parallelen zum eigenen entdeckt. Auch er fühlt sich verkannt und zu Höherem berufen und schreckt, wie Caravaggio, selbst vor Mord nicht zurück. Die brillanten Schwarz-Weiß-Bilder verleihen den Aufnahmen von Rom, Venedig und der Amalfiküste einen nostalgischen Touch, der Italien als Sehnsuchtsort dieser Ära widerspiegelt. Ein Kunstgriff, mit dem Zaillian und sein Director of Photography, Robert Elswit, ästhetisch nicht nur Anleihen am Film Noir nehmen, sondern auch am Tenebrismo, Caravaggios Form des Chiaroscuro, der Hell-Dunkel-Malerei, dem dramatischen Spiel mit Licht und Schatten, mit dem er einen Scheinwerfer auf die Wirklichkeit richtete und die Welt zum Theater machte. Ripley hat, ob unbewusst oder nicht, seine dunkle Freude daran.Eingebetteter Medieninhalt
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