Auf zur Gespensterjagd

Hauntologie Eine bessere Zukunft gibt es vorerst nur im Reich des Scheins. Der Kulturwissenschaftler Mark Fisher versucht es zu ergründen
Ausgabe 13/2015

Ist eine Welt denkbar, die den Neoliberalismus überwunden hat? Das ist die Frage, die sich der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher schon länger stellt. Bereits 2013 hatte er in seiner viel beachteten Flugschrift Kapitalistische Realismus ohne Alternative (VSA Verlag) die vermeintliche Unwiderlegbarkeit neoliberaler Logik bezweifelt. Aber umgekehrt sei jene erträumte Welt, in der „die Wunderwerke der Informations- und Kommunikationstechnologie sich mit Formen gesellschaftlicher Solidarität kombinieren lassen“, ein Phantom, so Fisher.

Er will dieses Phantom vor allem in kulturellen Kontexten mit einer eigenen Methode stellen, Hauntologie heißt sie, abgeleitet von „to haunt“, also jagen. Der Essayband Gespenster meines Lebens. Depression, Hauntology und die verlorene Zukunft zeigt Mark Fisher bei seiner hauntologischen Arbeit. In die Lehre gegangen ist Fisher bei Jacques Derrida, der in den 90ern die Hauntologie entwickelt hatte. Derrida sah, dass der Kommunismus trotz des Sektkorkengeknalles nach dem Ende des Realsozialismus keineswegs verschwunden war, sondern als „Gespenst“ weiterlebte – Grundfigur jedes emanzipatorischen und nichtkapitalistischen Gegenentwurfs. „Ein Phantom stirbt niemals, sein Kommen und Wiederkommen ist das, was immer (noch) aussteht“, so Derrida in einer typischen Wendung aus seinem Essay „Marx‘ Gespenster“.

Diesem Phantom, das der Kapitalismus trotz aller Beschwörungen eben nicht wirklich verschwinden lassen kann, spürt Mark Fisher in der Popmoderne nach, wo es in einer widerständigen, globalisierten und digitalen Welt jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik haust. Es ist nicht mehr als eine „Tendenz“ und eine „virtuelle Entwicklungslinie“, die sich in Musik, Film und Literatur verkörpert. Einige der Texte in dem Essayband sind überarbeitete Musikrezensionen, die bereits in „The Wire“ und auf Fishers Blog k-punk.org erschienen sind. Daneben setzt er sich mit dem Schriftsteller David Peace auseinander, der eine Reihe sozialkritischer zeitgeschichtlicher Romane über Großbritannien geschrieben hat, unter anderem über die große Entscheidungsschlacht Thatchers gegen die Gewerkschaften im Bergarbeiterstreit von 1984. Das popkulturelle Terrain, das Fisher sondiert, beinhaltet aber auch Joy Division, seiner Meinung nach die Band der späten 70er, die sich einer allzu einfachen Kommerzialisierung entzogen hat. Auch den Film Shining seziert Fisher als Allegorie auf den Kapitalismus unserer Zeit.

Natürlich geht es in den Essays auch um das große Thema Gentrifizierung. Fisher stellt hier die Künstlerin und Aktivistin Laura Oldfield Ford mit ihrem Magazin Savage Messiah vor. Überhaupt lernt der deutsche Leser eher unbekannte britische Künstler kennen, die es aber wert sind, entdeckt zu werden, den Filmer Patrick Keiller etwa.

Mit der „Geschichtslosigkeit“ als zentraler neoliberaler Herrschaftstechnik beschäftigen sich Franco Bifo Berardi und Fredric Jameson, die Fisher als wichtige Gewährsleute im Theoriebereich dienen und deren Texte bisher kaum ins Deutsche übersetzt wurden. Von Berardi, einem ehemaligen Aktivisten der italienischen 70er Jahre Autonomia-Bewegung, nach der sich die hiesigen Autonomen benannten, erscheint dieser Tage bei Matthes & Seitz der Essay „Der Aufstand“.

Gier nach Neuheit

Auf die Bedeutung des hierzulande nur ein paar Literaturwissenschaftlern bekannten Spätkapitalismus-Exegeten Frederic Jameson wies kürzlich wiederum Benjamin Kunkel in einem Essayband hin. Jameson deutet die „mangelnde Historizität“ unserer Gesellschaft als ihre große Pathologie. Mark Fisher folgt ihm darin und bezeichnet diesen Zustand als Stasis, die allerdings unter einer Oberfläche aus „Gier nach Neuheit“ und einem ideologischen Fortschrittsbegriff versteckt sei.

Die 1970er Jahre boten nach Fisher genau jenen notwendigen kulturellen „Zukunftsschock“, wie er in Punk und anderen Subkulturen zu finden ist, andere Künstlerbiografien, andere Werke wurden möglich. Aber nicht zuletzt der Druck auf die Kulturschaffenden durch eine zunehmende Ökonomisierung würde eine vergleichbare Kunstproduktion heute unmöglich machen. Die wirklich einschneidenden Experimente der Popkultur entstanden in der Hochphase des fordistischen Nachkriegs-Sozialstaates. Davon ließen der Neoliberalismus und seine Wettbewerbslogik nichts übrig. Es scheint, dass bis auf Weiteres nur die Gespensterjagd zählt.

Gespenster meines Lebens. Depression, Hauntology und die verlorene Zukunft Mark Fisher Edition Tiamat 2015, 256 S., 20 €

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