Hauptsache Hype!

Wirtschaft Gelingt mit der Digitalisierung der Sprung in eine postkapitalistische Ära? Philipp Staab glaubt, es zu wissen
Ausgabe 05/2020
Wann kommt er denn nun, dieser Crash?
Wann kommt er denn nun, dieser Crash?

Foto: Chris Hondros/Getty Images

Alle reden jetzt vom digitalen Kapitalismus. Aber was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff? Die kapitalismuskritische Linke, zum Beispiel Paul Mason und Jeremy Rifkin, aber auch die sogenannten Akzelerationisten, wie Nick Srnicek, glauben, die Digitalisierung könnte so etwas werden wie ein Sprungbrett in eine nachkapitalistische Ära. Wirklich? Der Kapitalismus, so der Gedanke, kommt durch die Digitalisierung an eine innere Schranke, was vor allem mit sinkenden Profiten zu tun hat, sobald es im Zuge digitaler Massenproduktion keine Verknappung von Waren mehr gibt.

Dem widerspricht der Berliner Wirtschaftssoziologe Philipp Staab in seinem lesenswerten Buch Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit. Nach Ansicht Staabs bildet nicht die „erwartete Dezentralisierung“, sondern bilden „Macht und Kontrolle“ den Kern des kommerziellen Internets, das weniger nach „dem Vorbild der kollaborativen Allmende, sondern entsprechend der Machtkonzentration in der Finanzindustrie strukturiert“ sei. Die Folge sei nicht nur mehr soziale Ungleichheit, Staab versteht den digitalen Kapitalismus vielmehr als „neues gesellschaftliches Herrschaftsformat“.

Schon im historischen Teil seines Buches kritisiert Staab die Entstehungsmythen der Digitalisierung: Nicht die Garagenfirmen des Silicon Valley und die Schumpeter’sche schöpferische Zerstörung privater Unternehmer stehen am Anfang der Digitalisierung. Nein, das waren der investive Staat, seine Neuordnung der Telekommunikationsbranchen und andere ökonomische Makrotrends, unter anderem die neue digitalisierte Finanzindustrie (der Hauptabnehmer digitaler Produkte in den 70ern und 80ern). Die Frage ist ja, wie sich die Akkumulationsstrategien und -modelle des digitalen Kapitalismus von früheren unterscheiden. Während viel über den Monopolcharakter digitaler Plattformen debattiert wird, sieht Staab einen wichtigen qualitativen Unterschied zu Monopolen im Fordismus oder Postfordismus. Das Monopol von Google und Co. bezeichnet er als „proprietäre Märkte“: Die Leitunternehmen des kommerziellen Internets dominieren keine Märkte, sie sind die Märkte. Gleichzeitig werden Firmen selbst für die in sie investierenden Risikokapitalgesellschaften zur eigentlichen Ware.

Geld gemacht wird nicht mit dem, was die Firmen anbieten, der Taxifahrt oder dem E-Commerce-Produkt. Sondern mit dem Börsengang oder der Übernahme eines gehypten Unternehmens. Deshalb ist das Erzeugen von Hypes so wichtig, Verluste sind erst mal sekundär. Zugrunde liegt eine Dynamik, die nichts mit unternehmerischem Handeln zu tun hat, sondern mit den Interessen von Rentiers. Diese Logik wird laut Staab noch kaum verstanden. Dabei stecke darin eine Bewegung, die auf ein neues, noch nicht abgeschlossenes ökonomisches Modell hinsteuert, das eine kapitalistische Lösung für das in der Digitalisierung angelegte Problem der „Unknappheit“ bietet. Das passiert durch Zugangsrechte zu Plattformen, die immer mehr zu eigenständigen, abgeschlossenen Märkten werden, in denen überdies eine radikalere Lohnkontrolle erfolgt. Gleichzeitig werden aber Grundlagen des neoliberalen Verständnisses, nämlich des neutralen Marktes, völlig außer Kraft gesetzt. Ob der digitale Kapitalismus deshalb wirklich in den „Ruinen des Neoliberalismus“ entsteht, wie Staab am Ende gar schreibt, oder diesen einfach erfolgreich modernisiert und fortschreibt, darüber ließe sich streiten.

Info

Digitaler Kapitalismus. Markt und Herrschaft in der Ökonomie der Unknappheit Philipp Staab Suhrkamp 2019, 345 S., 18 €

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