Netflix-Serie „Tapie“: Aufstieg und Fall eines Linkspopulisten

Was läuft Freitag-Autor Florian Schmid über „Tapie“ von Tristan Séguéla und Olivier Demangel. Die französische Miniserie über eine der kontroversesten Persönlichkeiten Frankreichs sorgte bei den Erben Bernard Tapies bereits für große Empörung
Ausgabe 39/2023
Lauren Lafitte als Bernard Tapie in der Netflix-Serie „Tapie“
Lauren Lafitte als Bernard Tapie in der Netflix-Serie „Tapie“

Foto: Marie Genin/Netflix

Kennen Sie Bernard Tapie? In unserem Nachbarland Frankreich gilt der vor zwei Jahren verstorbene Unternehmer als schillernde Berühmtheit. Ihm gehörte unter anderem Adidas, in jungen Jahren versuchte sich der Selfmademan aus einfachen Verhältnissen aber auch als Chansonnier, Rennfahrer und Fernsehmoderator. 1993 führte er den Fußball-Club Olympique Marseille als Manager zum Champions-League-Sieg, und er war außerdem Minister im Kabinett Mitterrand. Nun erzählt die siebenteilige Miniserie Tapie auf Netflix vom bewegten Leben dieses Hansdampf in allen Gassen, der nach seinen großen Erfolgen auch tief stürzte, Insolvenz anmelden und wegen Betrugs sogar eine mehrmonatige Haftstrafe absitzen musste.

Tapie inszeniert diesen Promi, der in Paris als Sohn eines Klempners aufwuchs und davon träumte, Millionär zu werden, mit all seinen Widersprüchen. Angefangen beim gewonnenen Gesangswettbewerb im damals noch in Schwarz-Weiß sendenden Fernsehen, dem eine gescheiterte Künstlerkarriere folgte, über seinen privaten Herzinfarkt-Notfalldienst im Großraum Paris und den erfolgreichen Discounter für Küchengeräte bis hin zu den Spielmanipulationen in der Fußball-Liga und seiner Zeit als Stadtentwicklungsminister fächert die Serie die wechselvolle Biografie dieser ebenso skurrilen wie einzigartigen Persönlichkeit auf.

Vieles von dem, was Netflix aus dem Privatleben Bernard Tapies (Laurent Lafitte) zeigt, ist natürlich Fiktion. Er selbst stand den Plänen, aus seinem Leben eine Fernsehserie zu machen, kurz vor seinem Tod im Jahr 2021 sehr skeptisch gegenüber. Seine Familie ist über die Netflix-Serie schlicht empört. Ob noch Klagen gegen den Streaming-Dienst folgen, bleibt abzuwarten.

Dabei macht die Serie Tapie keineswegs schlecht, die Zuschauer dürften eher mitfühlende Sympathie entwickeln. Gerade die ersten Folgen zeigen einen eher bedauernswerten Verlierertypen, der fast seine Familie zerstört beim erfolglosen Versuch, im Big Business mitzumischen. Der Klempnersohn kennt einfach Regeln und Codes der bürgerlichen Eliten nicht und fällt deswegen immer wieder auf die Schnauze. „Ich bin Prolet. Arbeiter bleibt Arbeiter“, sagt der Serien-Tapie einmal zu seiner zweiten Frau Dominique (Joséphine Japy), mit der er in späteren Jahren gemeinsam seinen millionenschweren Mischkonzern leitet. Tapie kauft pleitegegangene Firmen und saniert sie, möglichst ohne Arbeiter zu entlassen. Das klappt mal, aber natürlich nicht immer. Wobei der erfolgreiche Unternehmer zeitweise ein guter Freund der Gewerkschaften war, mit denen er aber auch deftige Auseinandersetzungen hatte, wie die Serie zugespitzt zeigt. Als „Selfmademan, der die Linke mit dem Kapitalismus versöhnt“ bezeichnet ihn in der Serie gar der junge Chef der Partei „Mouvement des radicaux de gauche“, die Bernard Tapie Anfang der 1990er zum linkspopulistischen Spitzenkandidaten aufbaute.

Das alles inklusive der familiären Zerwürfnisse mit seiner ersten Frau und dem gewerkschaftsnahen linken Vater (Patrick d’Assumçao) erzählt die Serie, die sehr detailverliebt ein Vintage-Frankreich der 1960er bis 1990er Jahre in Szene setzt, ungemein lebendig und spannend. Tapie ist wie ein kritisch inszeniertes kapitalistisches Märchen, das von den Widersprüchen eines obsessiv in Erfolg und Geld verliebten Mannes berichtet, der sich selbst vormacht, alles erreichen zu können, und dafür dann ebenso viel Sympathie wie Hass und Ablehnung erfährt.

Der große Showdown ist das kammerspielartige, fast eine halbe Stunde dauernde Aufeinandertreffen mit einem Staatsanwalt, als für Bernard Tapie fast alles in die Brüche geht. Die Serie endet mit seinem Gefängnisaufenthalt 1997. Die große Affäre in den 2000er Jahren um den rekordverdächtigen an ihn gezahlten Schadensersatz in Höhe von 403 Millionen Euro im Streit mit Crédit Lyonnais, im Zuge dessen es auch Ermittlungen gegen Teile der französischen Regierung, unter anderem gegen die damalige Wirtschaftsministerin und heutige EZB-Chefin Christine Lagarde, gab, kommt in der Serie gar nicht vor. Vielleicht wollte sich Netflix schlicht die Option einer zweiten Staffel dieser sehenswerten zeitgeschichtlichen Serie offenhalten.

Eingebetteter Medieninhalt

Tapie Olivier Demangel, Tristan Séguéla Frankreich 2023, sieben Folgen auf Netflix

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