Wehren lernen

Gentrifizierung Sie passiert nicht zufällig, es steckt immer ein Plan dahinter. Lisa Vollmer denkt über Gegenmaßnahmen nach
Ausgabe 07/2019
Es könnte so schön sein. Muss es aber nicht
Es könnte so schön sein. Muss es aber nicht

Foto: Janine Schmitz/Imago/Photothek

Gentrifizierung sollte eigentlich zur Genüge analysiert worden sein, doch Bedarf an Aufklärung bleibt. Das ist kein Wunder, betrifft Gentrifizierung doch viele Menschen ganz persönlich. Zum Beispiel dann, wenn der eigene Wohnraum verloren zu gehen droht. Oder die Nachbarschaft langsam ausgewechselt wird. Das Buch Strategien gegen Gentrifizierung der in Berlin lebenden und an der Weimarer Bauhaus-Universität arbeitenden Stadtforscherin Lisa Vollmer bringt verblüffend einfach die vermeintlich so komplexe Problematik auf den Punkt. „Betrachtet man Gentrifizierung als Teil neoliberaler Stadtpolitik, wird klar: Sie ist weder ein natürlicher Prozess noch ein Unfall, sondern eine gezielte bevölkerungspolitische Strategie.“ Das klingt kämpferisch, ist aber Teil einer sehr präzisen und übersichtlichen Analyse und Definition und ermöglicht ein „kritisches und politisch ermächtigendes Verständnis“, wie Vollmer schreibt. Denn was Gentrifizierung genau ist und wer wie daran beteiligt ist, wer profitiert und wer verliert, das verschwimmt oft in den nicht selten ungenau geführten Debatten.

Vor allem die konservative Presse singt gerne das Lied auf die Verdrängungspioniere aus dem prekären Kultursektor, die Aufwertung erst möglich machen. Experten wie Andrej Holm betonen dagegen seit Jahr und Tag, dass Gentrifizierung vor allem ein immobilienwirtschaftlicher Vorgang ist. Vollmer beschreibt übersichtlich, wie das kulturelle Kapital der jungen Kreativen eine Nachbarschaft verändert und zum ortsgebundenen kulturellen Kapital wird, das in vermeintlich sozialkritischen Feuilletonreportagen gehypt und dann erst von Hauseigentümern und immobilienwirtschaftlichen Akteuren in ökonomisches Kapital verwandelt wird. Das hat auch mit hohen und kurzfristigen Renditeerwartungen oft größerer Immobilienverwerter zu tun, die mittlerweile an der Börse notiert sind. Unternehmen wie die Deutsche Wohnen haben massenhaft den früheren öffentlichen Wohnungsbau, in diesem Fall in Berlin, aufgekauft.

Wie Kritik daran schon auf recht breiter Basis in zahlreichen Initiativen in die titelgebenden Strategien gegen die Gentrifizierung mündet, arbeitet das Buch akribisch auf und macht einen bundesweiten Rundumschlag. Berlin und Hamburg, wo es die meisten derartigen bewegungspolitischen Impulse gibt, stehen dabei im Vordergrund. Es werden Kulturschaffende etwa in Hamburg vorgestellt, die ihre Ressourcen und Kompetenzen mit der Mieter_innenbewegung verbinden, aber auch Zusammenschlüsse von Mieter_innen, die es schon an vielen Orten gibt. Vollmer betont immer wieder, dass es darum gehe, sich über den eigenen Tellerrand hinaus mit Menschen zu verbünden, und dass es nicht einfach sei, sich mit Nachbarn zu verständigen, die weder kulturell noch politisch auf der gleichen Wellenlänge liegen.

Komfortzone ist das nicht

Es geht also darum, aus dem eigenen Szeneghetto auszubrechen, „die habituelle Komfortzone zu verlassen“. Etwas also, was jenseits eingespielter effizienter politaktivistischer oder bildungsbürgerlicher Standards stattfindet. Wobei sich genau hier ein grundlegender und wichtiger Lernprozess für diese Kämpfe vollzieht, dessen Wirkung man nicht unterschätzen sollte.

Die Protestbewegung gegen Gentrifizierung hat demnach einen schweren Spagat zu leisten. Denn es geht nicht nur gegen politisch mächtige und gut vernetzte Immobilienbesitzer und Politiker, die oft weit marktorientierter agieren, als ihre Lippenbekenntnisse erwarten lassen. „Eine Verbindung zwischen aus der Betroffenheit heraus organisierten Mieter_innen und mehr oder weniger professionalisierten Bewegungsaktivist_innen muss immer wieder neu hergestellt werden“, betont Vollmer in ihrem Buch, in dem sogar knapp und verständlich erklärt wird, wie zum Beispiel das Erbbaurecht funktioniert und strategisch nutzbar gemacht werden kann.

Die Lektüre eignet sich für kundige Leser, die sich bereits mit Gentrifizierung beschäftigt haben und hier noch einmal einen aktuellen Stand erhalten wollen, wie auch für am Thema Interessierte, die wissen wollen, was es unter anderem eigentlich mit Community Organizing, partizipativer Stadtplanung von unten und mit urbaner Wunschproduktion auf sich hat.

Info

Strategien gegen Gentrifizierung Lisa Vollmer Schmetterling-Verlag, 163 S., 12 €

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden