Linke Träume von Gewalt und Losigkeit

Pazifismusdebatte Eine bessere Gesellschaft ist keine Frage von Pazifismus oder Revolution. Sie muss organisiert werden

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Banksys Blumenwerfer
Banksys Blumenwerfer

Bild: David Boyle (CC-BY)

Es gibt sie, die uneingeschränkte Herrschaft der Freiheit, wie sie Lutz Herden in seinem Artikel zur Pazifismusdebatte förmlich herbeisehnt. Sie bestand nicht nur in den Schreckensregimen der von ihm glorifizierten historischen Revolutionäre. Diese und ihre Nachfolger mochten das Schwert im Namen der Freiheit gegen eine ungerechte Welt erhoben haben. Millionenfach fielen ihnen und den Folgen ihrer Taten jedoch Unschuldige zum Opfer. Freier, vor allem auch im materiellen Sinn, wurden die meisten Menschen und die Gesellschaft als Ganzes durch ihren Terror nicht.

Denn Herdens „Despotie der Freiheit“ ist nachgerade das Prinzip des Kapitalismus. Revolutionen bestätigen dieses Prinzip nicht nur, sie steigern es in eine Daseinskonkurrenz um Leben und Tod. Revolutionäre spekulieren wie Finanzkapitalisten auf die Durchsetzung des Stärkeren und meinen, dass dabei was Gutes für alle herausspringt. Das „freie Spiel der Kräfte“ wird durch sie nur auf seine ursprüngliche Intensität zurückgeworfen. Gewaltsame Revolutionen bringen aber nicht mit einer Erlösungstat den erhofften Umschwung der Gesellschaft zum Besseren. Sie führen den Krieg aller gegen alle mit tödlicher Effizienz fort.

Oligarch, übernehmen Sie!

Diese Art Anarchie ist aktuell an vielen Orten der Welt zu besichtigen. Der von außen mit einem revolutionären Umschwung „demokratisierte“ Irak versinkt seit langem im Chaos. Der „Arabische Frühling“ ist in ein Hauen und Stechen übergegangen. Die ukrainische Nation hat ein so heterogenes Staatsvolk, dass seine wiederholt herbeigeredete eindeutige Hinwendung zum „Westen“ nur noch als sehnlichster Wunsch des NATO-Generalsekretärs erscheint. Den Rest übernehmen Oligarchen-Bataillone und Berufsterroristen aller Couleur.

Nirgendwo sind durch die jüngsten Revolutionen plötzlich Frieden, Freiheit und Demokratie ausgebrochen. Die gewaltsame Auflösung alter Ordnungen gebiert nicht unbedingt das von ihren vermeintlich gutwilligen Mitbetreibern gewünschte Ergebnis. Etwa dann, wenn andere als die „wahren“ Revolutionäre bei der Neuordnung ein Wörtchen mitreden. Bürgerkrieg und Krieg sind deshalb enge Verwandte der Revolution. Und eine Anarchie der Kräfte ist der beste Nährboden der kapitalistischen Wirtschaftsform, deren wie auch immer geartete Entfaltung meist ein neues altes Regime mit sich bringt.

Manchmal dauert dieser Prozess nur wenige Monate, manchmal Jahrzehnte. Bis jetzt hat er jedoch niemals eine andere Entwicklung genommen. Der Realsozialismus bolschewistischer Prägung hielt sich lange, aber seine revolutionäre Vergangenheit holte ihn in Form betonierter Klassenkampfideologie am Ende doch ein.

Revolutionen – „Lokomotiven der Geschichte“?

Marx hielt Revolutionen bekanntlich für „Lokomotiven der Geschichte“. In der einen Arbeiterklasse sah er die revolutionäre Gruppe, welcher das „materielle“ Recht, der Wille und das Vermögen eigen waren, die Gesellschaft zu revolutionieren. Unzweifelhaft haben revolutionäre Zeiten Entwicklungen beschleunigt und vorangetrieben. Aber Kriege – und zwar nicht nur die „gerechten“ oder die „von unten“ – können das auch. Niemand sollte sich angesichts der Ergebnisoffenheit jeglicher sozialen Gewaltanwendung darauf versteifen, dass das Erdenglück durch eine „gesunde“ Portion Gewalt der Richtigen schneller Wirklichkeit wird.

Ein Konzept für das Danach der Klassenrevolution konnte ihr maßgeblicher Philosoph nie liefern, wie noch Rosa Luxemburg 1918 bekannte. „Weit entfernt, eine Summe fertiger Vorschriften zu sein, die man nur anzuwenden hätte, ist die praktische Verwirklichung des Sozialismus als eines wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Systems eine Sache, die völlig im Nebel der Zukunft liegt.“ Den Bolschewisten blieb kaum etwas anderes übrig, als den Terror in Permanenz durchzuführen, war doch immerhin der Klassenkampf eine greifbare Vorstellung, die Marx ihnen mit auf den Weg gegeben hatte.

Revolutionär ist nicht revolutionierend

Ferdinand Lassalle legte bei seiner Deutung der Revolutionen einen anderen Schwerpunkt als sein grundsätzlich staatsfeindlicher und der Rechtsetzung misstrauender Genosse in London. Anhand der Französischen Revolution kam Lassalle 1862 im „Arbeiterprogramm“ zu konstruktiveren Schlüssen über die Revolutionierung der Gesellschaft. 1789 sei eine gesellschaftliche Umwälzung, die seit der Reformation längst im Gange gewesen sei, „proklamiert, nicht aber eigentlich geschaffen“ worden. Seine Folgerung war: „Man kann nie eine Revolution machen; man kann immer nur einer Revolution, die schon in den tatsächlichen Verhältnissen einer Gesellschaft eingetreten ist, auch äußere rechtliche Anerkennung und konsequente Durchführung geben.“

Karl Kautsky, der marxistische Theoretiker des ausgehenden 19. Jahrhunderts, war trotz steter Bemühungen nicht weit von dieser Stellungnahme des SPD-Parteigründers entfernt. 1893 schrieb er: „Die Sozialdemokratie ist eine revolutionäre, nicht aber eine Revolutionen machende Partei.“ Zwischen den Zielen eines einzelnen revolutionären Machers und ihrer Umsetzung stehen Reaktion, andersdenkende Revolutionäre, „politisch unzuverlässige“ Mitläufer und eine Brutalisierungsspirale, die seine Ziele verschwimmen lässt oder gänzlich im Blut ersaufen lassen kann. Eine zukunftssichernde Revolutionierung der Gesellschaft sieht anders aus.

Gewalt und Losigkeit – an den Zielen vorbei

Die Revolutionierung der Gesellschaft ist kein Projekt der einen kühnen Tat. Ihr Kennzeichen – wie schon der Wortstamm nahelegt – ist die Evolution. Diese mag unscheinbarer sein als die geballte Gewalt aller Revolutionäre, und doch ist sie die tiefere Bedingung der Umwälzung. Sie läuft bereits und will in dienliche Formen gegossen sein, um Bleibendes zu ermöglichen. Gewaltausbrüche mögen manchmal notwendig – im Sinne einer kausalen Wechselwirkung – Wirklichkeit werden. Aber sie sollten nicht zu den theoretischen Grundpositionen von Aktivisten gehören, die der Gesellschaft eine segensreichere Form der Freiheit und vor allem Frieden bringenwollen. Jene verbauen sich damit ohne Not ihre Ziele.

Ein Umstand übrigens, der ähnlich auch bei radikalen Pazifisten eintreten kann. Hier steht die eine kühne Unterlassung im Mittelpunkt. Forderungen wie die einseitige Abrüstung oder die Abschaffung militärischer Streitkräfte haben den Makel, der anarchischen Losigkeit der Freiheit – ganz wie Revolutionen – eher mehr als weniger Raum einzuräumen. Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann bezog sich kürzlich auf Costa Rica als Beispiel eines demilitarisierten Staates. Sie übersah dabei die traditionell enge Bindung des Landes an die USA, die sich seit einigen Jahren u.a. in einer stark wachsenden wirtschaftlichen Abhängigkeit und in einer US-Militärpräsenz im Land äußert.

Von der Despotie der Freiheit zur Diktatur des Privatkapitals

Nun kann einem der Pazifismus sympathischer sein als der Ruf nach gewaltsamer Revolution. Gemeinsam haben beide, dass sie die Herrschaft der Freiheit wollen und über kurz oder lang die Diktatur des Privatkapitals bekommen. An praktischen Konzepten einer Umsetzung sozialer Freiheit sind beide arm. Weder Pazifismus noch Revolution sind daher die Heilmittel der Wahl, sondern gesellschaftliche und (sozial-)staatliche Organisation. Eines der revolutionierenden Elemente dieser Organisationsaufgabe liegt heute augenscheinlich in der Rüstungspolitik. Wie kann es sein, dass diese zu großen Teilen Privateigentümern und damit den unmittelbaren Zwängen des freien Marktes überlassen ist?

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Geschrieben von

Frank Fehlberg

Historiker und Sozialwissenschaftler

Frank Fehlberg

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