Aufregung war gestern, heute herrscht Funkstille. Andreas Babler exponiert sich wenig, besondere Akzente hat er nach seiner überraschenden Wahl zum Bundesparteiobmann der österreichischen Sozialdemokraten bisher noch nicht gesetzt. Aber auch seine Gegner lassen ihn – von kleineren antikommunistischen Ausritten abgesehen – in Ruhe. Ist das die Ruhe vor dem Sturm? Eher nicht. Wenn ein altes System nicht mehr funktioniert, aber nichts Neues in Sicht ist, dann kommt wohl so was raus. Keine andere Situation hätte Babler an die Spitze gespült. Es war auch die Orientierungslosigkeit der Parteigranden, die seinen Aufstieg ermöglichte. Dieses Momentum wiederum erkannt zu haben, spricht für Bablers taktisches Geschick.
Zweifellos ist es leichter, solch einen
lch einen Coup zu setzen, als die Zukunft zu gestalten. Dass dieser Streich überhaupt hat glücken können, verwundert nach wie vor. Vor Monaten noch ist Andreas Babler maximal als Juxkandidat für ein höheres Parteiamt gehandelt worden. Innerhalb wie außerhalb der Partei hat man sich da kräftig verrechnet. Nach dem Fiasko um die Wahl des Vorsitzenden im Frühjahr leckt der Apparat nun die Wunden und wirkt ziemlich weggetreten. Im Zustand der Narkose ist er nur noch ein Schatten vergangener Tage. Durchschnaufen und durchtauchen ist als Devise angesagt. Aktuell will man dort nur eines: Fehler vermeiden. Attacken auf die neue Spitze sind daher aus dieser Ecke nicht zu erwarten. Aber das wird sich ändern, sobald die peinlichen Ereignisse vergessen sind und die Funktionäre sich vom Schock wieder erholt haben.Andreas Babler setzt auf die soziale KarteAuch Babler will keine Fehler machen und bedient zurzeit fast ausschließlich die Defensive. Ihm ist es aber gelungen, der Sozialdemokratie die mentale Wärme zurückzugeben. Seit seiner erfolgreichen Kandidatur sind über 15.000 Mitglieder der Partei neu oder wieder beigetreten, nur wenige haben sie ob des vermeintlichen Linkskurses verlassen. Viele fühlen sich besser aufgehoben, seit es ihn gibt. Ob daraus freilich schon ein besonderes Maß an Zustimmung und Zugkraft ableitbar ist, darf bezweifelt werden. Die bunte Combo der Babler-Fans ist etwa in den Gremien kaum oder gar nicht vertreten. An diesem Manko wird sich wenig ändern. Ob die Anhänger des neuen Parteichefs für einen Aufbruch sorgen, ist daher fraglich, sind sie doch weitgehend unorganisiert und unerfahren. Eine Neuaufstellung wird also schwierig. Durchaus wahrscheinlich ist aber, dass eine geeinte und integre SPÖ dem Aufstieg der FPÖ am ehesten Paroli bieten kann. Von den Grünen oder der Volkspartei (ÖVP) ist da wenig zu erwarten. Die Sozialdemokraten werden bei den Nationalratswahlen 2024 ganz auf „Babler oder Kickl?“ setzen. Zum Ärger der ÖVP wird das auch aufgehen.Als Bürgermeister der Gemeinde mit dem größten Flüchtlingslager in Österreich hat Babler dort einiges weitergebracht und auch aufgeheizte Stimmungen in der Flüchtlingsfrage entschärft. Bundespolitisch versucht er, die soziale Karte zu spielen. Immer noch und immer wieder geht es um Arbeitsplätze und Arbeitszeitverkürzung, solide Pensionen und bezahlbares Wohnen, um Bildung und Gesundheit für alle, und natürlich Reichenbesteuerung und Umverteilung. Hat Babler eine tragfähige Erzählung oder wärmt er nur alte Geschichten auf?Etwas retro wirken Programm und Schwerpunkte dieser Kreisky-Revival-Band allemal. Atmosphärisch handelt es sich um ein Arbeitertümeln light. In vielen anderen Fragen (Ukraine, Pandemie, Europäische Union, Werte) sind die Positionen der SPÖ hingegen nicht von denen der regierenden schwarz-grünen Koalition oder dem medialen Mainstream zu unterscheiden. Wozu der gewiefte Babler noch imstande ist, wird sich weisen. Wohin die Reise der SPÖ geht, ebenso. Zu erwarten ist, dass es keine allzu große Tour wird, sondern sich alles im abgesteckten Rahmen bewegt. Der moralische Input ist größer als der inhaltliche Output. Die SPÖ bleibt weiterhin angeschlagen, aber sie ist erleichtert. Es ist wieder auszuhalten. Die Laune war schon deutlich schlechter.