Panzer und gepanzerte Fahrzeuge mit bewaffneten Kämpfern drangen am 22. Mai von der Ukraine auf das Gebiet Belgorod in der Russischen Föderation. Sie brachten das russische Dorf Kosinka an der Grenze zeitweilig unter ihre Kontrolle. Während der Kämpfe kam nach russischen Angaben ein Bewohner des Dorfes um, 13 weitere Zivilisten wurden verletzt. Erst am folgenden Tage gelang es der russischen Armee und der Rosgwardia, der Nationalgarde, die Eindringlinge zu vertreiben. Der russische Präsidentensprecher Dimitri Peskow machte „ukrainische Kämpfer aus der Ukraine“ für den Angriff verantwortlich.
In Tuchfühlung zum Asow-Regiment
Die Ukraine dagegen präsentierte sich vielstimmig. Wolodymyr Selenskyjs Berater Michail Podoljak beteuerte, die U
RegimentDie Ukraine dagegen präsentierte sich vielstimmig. Wolodymyr Selenskyjs Berater Michail Podoljak beteuerte, die Ukraine habe mit der Operation nichts zu tun. Vertreter des ukrainischen Militärgeheimdienstes hingegen räumten ein, ihr Dienst unterhalte Kontakte zum „Russischen Freiwilligen-Korps“ und zur „Legion Freiheit Russlands“, die sich zu der Aktion bekannt hatten.Ob die „Legion“ als organisierte Struktur tatsächlich existiert und mehr ist als ein PR-Projekt, bezweifeln westliche Experten. Bisher war von ihr kaum mehr zu vernehmen als hin und wieder ein pathetischer Appell zur „vollständigen Befreiung Russlands.“ Den „Russischen Freiwilligen-Korps“ aber gibt es. Die Organisation war im August 2022 in der Ukraine von russischen Rechtsextremisten gegründet worden, die seit 2014 eng mit ukrainischen Nationalisten unter anderem des Regiments „Asow“ kooperiert hatten. Schätzungen über die Mitgliederzahl schwanken zwischen einigen Dutzend und einigen hundert. Mitglieder dieser Formation kämpfen seit 2022 im Bestand einer ukrainischen „Internationalen Legion“ gegen die russischen Invasionstruppen in der Ostukraine.Weißer KönigGründer und Führer des Korps ist ein 39-jähriger russischer Neonazi, der sich Denis Nikitin und auch „White Rex“ nennt – weißer König, eine Formel weißer Rassisten. In Russland ist er auch unter seinem ursprünglichen Namen Denis Kapustin bekannt. Wegen Teilnahme an einem bewaffneten Angriff auf das russische Gebiet Brjansk im März ist er in Russland zur Fahndung ausgeschrieben. Kapustin hat zeitweise in Köln gelebt und sich in Westeuropa jahrelang in Kreisen rechtsradikaler Hooligans bewegt. 2019 verlor er seinen Aufenthaltsstatus in Deutschland.Nach dem Rückzug seiner Kämpfer aus dem Belgoroder Gebiet bekannte sich Nikitin/Kapustin auf ukrainischem Boden zu „Diversions- und Propagandatätigkeit“ seiner Anhänger auf russischem Gebiet. Der Telegram-Kanal des „Russischen Freiwilligen-Korps“ erweckt den Eindruck, als erwarteten die Russen sehnsüchtig den Vormarsch Kapustins und seiner Mannen: „Das Land ist reif zur Befreiung.“ Im Kreml sitze „eine korrupte Clique.“ Die „aufgehängte Leiche Putins“ werde „die Kreml-Mauer schmücken“. Doch der Verbalradikalismus kaschiert, dass es dem „Freiwilligen-Korps“ in Russland an Sympathisanten und organisierten Unterstützern mangelt.Schmach für SchoiguDennoch haben die Kämpfe im Belgoroder Gebiet Schwächen Russlands offengelegt. Auch systemloyale Blogger und Militärexperten monieren, das Verteidigungsministerium habe die geografisch exponierte Grenzregion nicht genügend auf Überraschungen vorbereitet. Im Buhlen um die Gunst Wladimir Putins innerhalb der russischen Elite war der Belgoroder Zwischenfall kein Ruhmesblatt für den Verteidigungsminister Sergei Schoigu.Heikel ist die Aktion, die der „Russische Freiwilligen-Korps“ für sich reklamiert, aber auch für die Amerikaner. Das russische Militär konnte bei den Eindringlingen amerikanische Technik erbeuten, darunter den gepanzerten Truppentransporter M1224 MaxxPro und einige Humvee. Bislang hatten die Amerikaner betont, ihre an Kiew gelieferte Militärtechnik solle nur in der Ukraine und nicht auf unstrittig russischem Gebiet zum Einsatz kommen. Fahrzeuge des führenden NATO-Landes in den Händen von Rechtsextremisten vertragen sich schlecht mit dem Anspruch, Gerät zur Verteidigung einer Demokratie und für die Beendigung des Krieges zu liefern.Das historische MusterIn Russland leitet die Attacke auf das Belgoroder Gebiet Wasser auf die Mühlen der Hardliner. Die fordern in jüngster Zeit immer wieder die Todesstrafe für „Diversanten“, die Einführung des Kriegsrechtes in den grenznahen Gebieten und die Formierung bewaffneter Zivilisten als Helfer der Grenztruppen. Moskauer Militärblogger propagieren einen Mordanschlag auf den ukrainischen Militärgeheimdienstchef Kirill Budanow. Der Ukraine-Krieg nimmt Züge eines Bürgerkrieges an.Doch auch im Westen gewinnen manche der Eskalation des Krieges einen Reiz ab. Die Welt hingegen adelte die ins Belgoroder Gebiet vorgedrungene Truppe als „russische Freiheitskämpfer“. Ein Teil der Anhänger des „Russischen Freiwilligen-Korps“ sieht sich selbst in der Tradition der „Russischen Befreiungsarmee“ (ROA) des 1942 zu den Deutschen übergelaufenen Generals Andrej Wlassow und seines 1944 gegründeten „Komitees für die Befreiung der Völker Russlands“. Aus Sicht des deutschen Generalstabs sollte der Einsatz der Wlassow-Truppe Moskau maßgeblich schwächen. Deutsche Zeitungen der Jahre 1943 bis 1945 spiegelten diese Erwartung. Erfüllt hat sie sich damals nicht.