Kurzurlaub als Kündigungsgrund: Der Fall Nagelsmann und der Zustand des Fußballs

Meinung Von wegen Kick-Life-Balance: Im Fußball fließen Milliarden und entsprechend hoch ist der Druck. Doch wer hat eigentlich den meisten Stress im Fußballgeschäft? Spoiler: Die Spieler sind es nicht
Ausgabe 15/2023
Julian Nagelsmann ist Trainer des FC Bayern München und als dieser hat er bei (Trainings-)Spielen immer präsent zu sein
Julian Nagelsmann ist Trainer des FC Bayern München und als dieser hat er bei (Trainings-)Spielen immer präsent zu sein

Foto: Imago/Laci Perenyi

Wie hat man sich das beim FC Bayern München vorzustellen, wenn ein leitender Angestellter, etwa der Cheftrainer der Fußball-Profimannschaft, mal durchschnaufen will? Muss er einen Laufzettel ausfüllen, auf dem er die Abwesenheit klassifiziert (Urlaub oder Überstundenausgleich), deren Beginn und Ende angibt und den er seinem Vorgesetzten, in diesem Fall dem Sportvorstand Hasan Salihamidžić, zur Genehmigung vorlegt? So ist es wohl nicht, wie der Ehrenpräsident des Vereins, Uli Hoeneß, im Nachgang zur Causa Julian Nagelsmann mutmaßt. Der Trainer des größten Clubs der Welt stellt keinen Urlaubsantrag, er ist da oder eben nicht da. Doch dass Nagelsmann mal einen Kurztrip ins knapp zwei Autostunden von München entfernte Zillertal unternahm und sich derweil von seinen Assistenten vertreten ließ, die einen reduzierten Kader ohne die zu Nationalmannschaften abgestellten Spieler am Laufen hielten, war ein Teil des verhängnisvollen Puzzles, das zur Freistellung des Trainer-Jungstars führte. Der (Kurz-)Urlaub wurde als schlechtes Zeichen bewertet.

Der milliardenschwere Fußball und der Urlaub – ein heikles Thema. Überhaupt: die Arbeitszeiten in diesem Business. Bei der Beurteilung muss man unterscheiden zwischen den verschiedenen Rollen im Profibetrieb.

Bei Spielern ist die Work-Life-Balance in Ordnung, trotz der üblichen Sechstagewoche und der Reisen an Wochenenden. Zum Bild, das der Sport abgibt, gehört es, dass die Profis an Trainingstagen um neun Uhr auf den Parkplatz des Vereinsgeländes einbiegen, drei, vier Stunden später aber schon wieder den Blinker zur Abfahrt setzen. Die anschließende Regeneration auf dem Sofa ist allenfalls weiche Arbeitszeit. Der Jahresurlaub orientiert sich quasi an den Betriebszeiten. Drei Wochen Sommer- und eineinhalb bis zwei Wochen Winterpause – der Fußball erfüllt den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von 24 Tagen. Und die Clubs sind generös, wenn ein Spieler Vater wird. Da gab es in der Bundesliga schon Freistellungen von zwei oder drei Tagen mit Lohnfortzahlung – nicht nur von einem, wie bislang gesetzlich vorgesehen.

Der Trainer ist zu mehr Präsenz verpflichtet als seine Spieler. Es hat sich ein Berufsbild entwickelt, nach dem der Trainer nicht nur eineinhalb Stunden auf dem Platz sichtbar zu sein hat. Es gibt mittlerweile Trainerbüros, und aus denen muss nach Einbruch der Dunkelheit noch das Licht von Monitoren wahrnehmbar sein, denn Trainer sind Nerds, die den nächsten Gegner wissenschaftlich analysieren und Matchpläne erarbeiten. Manuel Baum, der zwei Bundesligaclubs trainierte (Augsburg, Schalke), sagte mal, er benötige 100 Stunden für die Vorbereitung auf ein Spiel. Auf fünf Tage verteilt, blieben gerade mal vier Stunden zum Nachhausefahren, Schlafen, Leben. Vielleicht hat Herr Baum auch leicht übertrieben.

Super-Arbeitstiere müssen die Manager sein. Menschen ohne moralischen Urlaubsanspruch. Wenn alle anderen die Welt bereisen und auf Instagram Badehosenfotos posten, wird von den Geschäftsführern Sport, Technischen Direktoren, Leitern Lizenzspielerabteilung und Kaderplanern verlangt, dass sie die Stellung halten und Transfers abwickeln. Sie können auch nicht antizyklisch Urlaub nehmen, denn Abwesenheit in der sichtbaren Phase des Fußballs, im Spielbetrieb um Punkte und Pokale, würde ihnen als Faulheit ausgelegt.

Und schon gar nicht lässt es der Fußball zu, dass jemand sich ausklinkt nach einer Niederlage oder in der Krise. Die Öffentlichkeit will dann Beflissenheit der Verantwortlichen vorgeführt bekommen. Was zu dem Schluss führt: Der Fußball ist immer noch ein ziemlich konservatives Gewerbe.

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