Zeitdauer zwischen Test und Hospitalisierung

Covid-19 Die Vorhersagedauer der Testzahlkurve für die Belastung der Spitäler ist in der Schweiz exakt Null.

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Heute wollte ich etwas eminent Nützliches machen, nämlich ein Vorhersagemodell für die künftige Krankenhausbelastung durch Covid-19-Patienten auf der Basis der Zeitreihe der positiven Tests. Die Idee ist einfach. Einige Personen werden wegen schwerer Covid-19-Symptome in ein Spital eingewiesen oder auch aus anderen Gründen und werden bei der Aufnahme positiv getestet. In vielen Fällen sollte ein positiver Test jedoch der Einweisung einige Tage vorausgehen, weil diese erst erfolgt, wenn sich der Zustand verschlechtert.

Ein solches Problem kann man durch Faltung der Zeitreihe der positiven Tests mit einer zeitverzögerten Gaußkurve behandeln, wie ich es für die Todesfälle in der ersten Welle im Frühjahr demonstriert hatte. Mein Vertrauen in die Konsistenz der Daten ist seitdem nicht eben besser geworden. Vor allem bin ich gegenüber der damaligen Hypothese misstrauisch geworden, dass die Daten als Ausgangsdaten eines zeitinvarianten Systems behandelt werden können. Damit ist gemeint, dass die Datenerhebung bei allen anderen Problemen, die bereits mehrfach diskutiert wurden, wenigstens über einen gewissen Zeitraum hinweg – also etwa innerhalb einer Welle – auf die gleiche Art erfolgt.

In den meisten Ländern gibt es keine Möglichkeit, die Datenkonsistenz zu überprüfen. Zumeist sind Hospitalisierungsdaten nicht auf einfache Weise zu erhalten. In Deutschland gibt es zwar ein vorbildlich angelegtes Register der Intensivstationsbelegung. Wie ich aber in der vorigen Woche gezeigt habe, lassen dessen Daten derzeit keinen Schluss auf den Covid-19-Zeitverlauf zu. Zwar wird dort ein Anstieg der Covid-19-Intensivpatienten ausgewiesen, doch gleichzeitig bleibt die Gesamtzahl belegter Intensivbetten stabil, obwohl eine ausreichende Reserve vorhanden ist. Daraus würde folgen, dass die Zahl von Nicht-Covid-Intensivpatienten stark – und zunehmend stärker – sinkt, was nicht plausibel ist.

In der Schweiz wir die Zahl der Hospitalisierungen täglich im Situationsbericht des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ausgewiesen und vergangene Berichte sind archiviert. Zudem unterhält das BAG einen zweiten Datensatz, auf dem die Zeitreihengrafiken basieren. Dieser Datensatz kommt auf einem anderen Meldeweg zustande, was daran ersichtlich ist, dass er zeitverzögert aufgebaut wird und die Daten sich auch eine Woche oder mehr nach dem Stichdatum noch ändern können. Es ist klar, dass das BAG diesen Datensatz für zuverlässiger hält – anderenfalls gäbe es keinen Grund, den Aufwand zu betreiben. Damit ergibt sich einerseits die Möglichkeit eines Konsistenztests durch Vergleich der Datensätze und andererseits darf man hoffen, dass der zweite Datensatz in guter Näherung auf zeitinvariante Weise, also nach einer stabilen Methodik (bis auf die sich ändernde Teststrategie) erzeugt wird.

Ein dritter Datensatz ermöglicht es, auf bequeme Weise den Zeitverlauf des Anteils positiver Tests zu ermitteln. Dieser Datensatz enthält, wie auch der zweite, eine tagesgenaue Zuweisung der Zahl positiv verlaufener Tests, während am Wochenende keine Situationsberichte mehr erscheinen und die positiven Tests des Wochenendes am Montag nachgereicht werden. Was die Zahl der positiven Tests angeht, stimmen der zweite und dritte Datensatz sehr gut überein. Die linke obere Grafik in Abbildung 1 zeigt, dass die Zahlen in den täglichen Situationsberichten stärker abweichen. Das gleitende 7-Tage-Mittel weicht aber nur moderat ab und zeigt zumindest bisher keinen qualitativ verschiedenen Zeitverlauf. Normiert man auf die Gesamtzahl der Tests (rechte obere Grafik), so sieht man, dass es zu keinem Zeitpunkt einen exponentiellen Anstieg der Prävalenz gab und der etwa lineare Anstieg im Oktober zuletzt abgeflacht ist. Wie bereits vor zwei Wochen bemerkt, überschätzt auch diese Kurve die Dynamik des Epidemieverlaufs noch etwas, weil die Tests in diesem Zeitraum zunehmend auf symptomatische Personen fokussiert wurden.

Wenn die Tests repräsentativ für die Gesamtbevölkerung wären und der Anteil der Spitaleinweisungen unter den Tests klein (das werden wir überprüfen), so sollte die Kurve der Spitaleinweisungen der Kurve der normierten Testdaten folgen, weil diese dann ein Maß für die Prävalenz wären, und zwar mit einem Zeitverzug. Wenn der Anteil positiver Tests so hoch ist wie derzeit in der Schweiz, sind die Tests sicher nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung. Man würde dann erwarten, dass die Kurvenform der Spitaleinweisungen zwischen denjenigen der normierten Tests und der absoluten Zahl positiver Tests liegt, wiederum mit einer Zeitverzögerung.

Dem ist nicht so. Schon ein Vergleich der linken oberen und linken unteren Grafik in Abbildung 1 zeigt eine verblüffende Ähnlichkeit des Zeitverlaufs der Zahl positiver Tests und der Zahl der Spitaleinweisungen. Ich habe deshalb die beiden Kurven überlagert, indem ich diejenige für die Zahl positiver Tests mit einem konstanten Faktor multipliziert habe. Diesen Faktor habe ich so gewählt, dass die Quadratsumme der Abweichung zwischen den Punkten beider Kurven minimal ist. Er beträgt dann 0.023, was bedeutet, dass zeitlich stabil 2.3% aller positiv getesteten Personen hospitalisiert wurden (rechte untere Grafik in Abbildung 1).

Eine Analyse durch Faltung mit einer Gaußkurve ist hier nicht angebracht. Die rechte untere Grafik in Abbildung 1 zeigt, dass erstens die Gaußkurve extrem schmal wäre und zweitens die Zeitverzögerung schwach negativ. Beides ist nicht plausibel.

Nun kann es sein, dass ein positiver Test nach dem Tag der Spitaleinweisung auftritt. Die Person kann sich noch in der Inkubationszeit befunden haben. Dann aber war sie auch nicht symptomatisch, ist also aus anderem Grund ins Spital eingewiesen worden. Die Zählung als Covid-19-Patient ist dann irreführend. Ein weiterer möglicher Grund ist eine nosokomiale Infektion, also eine Ansteckung mit Covid-19 im Krankenhaus. Es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass das vorkommt. Wenn ich die vor zwei Wochen, also am 25.10. heruntergeladenen konsolidierten Daten mit den heute heruntergeladenen vergleiche, sehe ich Änderungen in der Zahl der Hospitalisierungen mit Covid-19, die bis zum 2. Oktober zurückreichen. Das liegt weit über jeder vernünftigen Annahme für eine Inkubationszeit. Es handelt sich auch nicht um Einzelfälle, die durch ungewöhnliche Meldeverzögerungen zu erklären werden. Entweder haben sich Personen, die aus anderen Gründen schon lange im Spital lagen, dort mit Covid-19 infiziert und werden jetzt als Covid-19-Patienten geführt oder es stimmt prinzipiell etwas nicht mit dem Weg, auf dem dieser Datensatz entsteht.

Es ist auch nicht plausibel, dass die Anzahl solcher Fälle so hoch ist, dass sie die Zahl verzögerter Einweisungen gerade aufhebt – und zwar fast exakt aufhebt – und das im gleitenden Wochenmittel über mehrere Wochen bei stark steigenden Gesamtzahlen. Irgendetwas stimmt hier nicht und dem sollte nachgegangen werden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Jeschke

Naturwissenschaftler, in der DDR aufgewachsen, gelebt in Schwarzheide, Dresden, Wako-shi (Japan), Bonn, Mainz, Konstanz und Zürich.

Gunnar Jeschke

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