Ein Netz mit Grenzen

Internet „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar“? Geoblocking verärgert die Bürger, doch die EU-Kommission ignoriert das Problem
Ausgabe 22/2015

Im Straßen- und Schienenverkehr ist die europäische Integration für die Bürger wohl am deutlichsten zu spüren: Zwischen vielen Ländern wurden die Grenzkontrollen abgeschafft. Im Internet aber hinkt die EU noch hinterher, ein grenzüberschreitendes Netz liegt in weiter Ferne.

In Deutschland kennen Internetnutzer vor allem die Sperrtafeln auf Youtube, die Nutzer vom Betrachten bestimmter Clips ausschließen: „Dieses Video ist in deinem Land nicht verfügbar.“ Die Verwertungsgesellschaft GEMA streitet sich seit Jahren vor Gericht in diversen Verfahren mit Youtube. Zuletzt ging es lediglich um die Frage, wie Youtube die Sperrtafeln formulieren darf. Die Nutzer haben das Nachsehen: Musikvideos, die im Rest der Welt jeder Mensch kostenlos ansehen kann, sind in Deutschland oft nicht abrufbar. Und den Künstlern brechen dadurch auch noch die Online-Werbeeinnahmen weg.

Passt das zu einem einheitlichen EU-Markt?

Die GEMA-Sperren auf Youtube sind allerdings nicht die einzige Form von sogenanntem Geoblocking. Wer Kunde beim Videostream-Anbieter Netflix wird, erhält je nach Land ein anderes Angebot mit anderem Preis. Das liegt daran, dass Netflix die Filmrechte für jedes Land einzeln klären muss. Und wer im Urlaub bezahlte Videoangebote nutzen möchte, sitzt oft vor einem schwarzen Bildschirm: Viele Anbieter lassen Kunden ihren Account nur im eigenen Land nutzen.

Doch das könnte sich womöglich bald ändern. Andrus Ansip ist seit vergangenem Jahr EU-Kommissar für den digitalen Binnenmarkt und hat kürzlich in einem Interview erklärt, dass er einen Widerspruch zwischen einem einheitlichen EU-Markt und der Praxis des Geoblockings sieht. Der estnische Politiker ließ an seiner Haltung wenig Zweifel: „Ich hasse Geoblocking. Ich denke, es ist veraltet, es ist unfair. Wir müssen dieses Instrument im 21. Jahrhundert nicht mehr nutzen.“

Aufgrund dieser Äußerung keimte die Hoffnung auf, dass die EU das Geoblocking im Rahmen ihrer „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt“ verbieten würde. Doch nicht alle teilen Ansips Wunsch nach einem grenzenlosen Netz. Der CDU-Politiker und EU-Kommissar für digitale Wirtschaft Günther Oettinger sprach sich gegen eine Abschaffung von Geoblocking aus. In einem Interview äußerte Oettinger die Befürchtung, dass beispielsweise der österreichische Fußball leiden würde, wenn es nur noch einen gemeinsamen Markt gäbe. „Dann wäre das Spiel Salzburg gegen Austria Wien nur noch sekundär. Dann gäbe es nur noch Real gegen Barça.“

Enttäuschender Vorschlag der Kommission

Vor kurzem hat die EU-Kommission einen Entwurf zur „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt“ präsentiert. Für viele Gegner des Geoblockings war das eine herbe Enttäuschung. „Im Dokument wird von ,herzustellender Portabilität legal gekaufter Inhalte’ gesprochen“, sagt Julia Reda, Abgeordnete der Piratenpartei im Europäischen Parlament. „Dieser Vorschlag geht aber völlig am Problem vorbei, da Inhalte in vielen EU-Ländern gar nicht legal gekauft werden können. Viele Streamingseiten wie Youtube sind durch Werbung finanziert; oder im Falle der Angebote öffentlich-rechtlicher Rundfunksender durch Steuern oder Gebühren.“

Reda war im Europaparlament für die Erstellung eines Berichts zur Evaluation der bestehenden Urheberrechtsgesetzgebung zuständig. Dazu gingen bei der EU-Abgeordneten Tausende Stellungnahmen von Nutzern ein, die sich über das Geoblocking beklagten. Aus Sicht der Bürger ist das offenbar das drängendste Problem. Doch gerade dieser Punkt wird in der „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt“ fast komplett ignoriert.

Laut dem Entwurf soll nur eine sehr spezielle Form des Geoblockings künftig entfallen: Wer in seinem Heimatland den Zugang zu einem Service wie Netflix gekauft hat, soll auch im EU-Ausland darauf zugreifen dürfen. Gleichzeitig sollen Youtube-Sperren bestehen bleiben und es wäre auch weiterhin die Regel, dass Fernsehsender viele kostenlose Angebote nur im eigenen Land verfügbar machen. Zu einem grenzenlosen Netz – zumindest innerhalb der EU – ist es noch ein weiter Weg

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