Der Kanzler schwört mit dem Amtseid, seine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes zu widmen, Schaden von ihm zu wenden und das Grundgesetz zu wahren, das ein striktes Friedensgebot enthält. Insofern ist die zurückhaltende Reaktion von Olaf Scholz richtig, wenn es um immer schwerere Waffen für die Ukraine geht. Einerseits muss Deutschland dem Land helfen, da sich das vermeintliche Recht des Stärkeren nicht durchsetzen darf. Anderseits ist eine direkte Kriegsbeteiligung unbedingt zu vermeiden, weil sie großen Schaden für die deutsche Bevölkerung verursachen könnte. Der stärkste militärische Beistand für Kiew kommt aus den USA, Führungsmacht in der NATO und Sicherheitsgarant für deren europäische Mitglieder. Deshalb war
ar es ein Gebot politischer Klugheit, bei der Lieferung von Kampfpanzern darauf zu achten, im Gleichschritt mit Washington zu bleiben und sich nicht zu exponieren.In der deutschen Debatte haben zwar die politischen, medialen und expertokratischen Bellizisten Oberwasser. Gleichwohl liegen sie in ihrer Analyse falsch, dass ein Sieg über Wladimir Putins Russland nötig und möglich sei. Sie lassen sich eher von Wunschdenken und Moralismus treiben als von sachlicher Interessenanalyse. Dieses Maximalziel zu erreichen, würde nicht dem Wohl des deutschen Volkes dienen, sondern ihm schaden. Natürlich hat die Ukraine das Recht, ihr Interesse an der Befreiung aller russisch annektierter Gebiete zu verfolgen. Das primäre deutsche Interesse ist aber ein anderes. Es ist von der Verpflichtung durchdrungen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. Das Mindeste ist es, sein Überleben zu sichern. Dieses Überleben ist bedroht, wenn Russland nuklear eskaliert. Deutschland verfügt aus guten historischen Gründen über keine Atomwaffen und ist auf den Schutz der US-Abschreckung angewiesen.Ob und wann Putin nuklear eskaliert, weiß niemand. Was wir aber wissen, ist, dass er im Gegensatz zu Deutschland diese Option hat. Die Gefahr mag gering erscheinen – auszuschließen ist sie nicht. Darum muss Berlin nicht nur darauf bedacht sein, im engen Schulterschluss mit Washington zu bleiben, sondern versuchen, die Eskalationsdynamik durch abgestimmte diplomatische Schritte zu stoppen. Was auch in US-Interesse liegt, wie die Studie „Avoiding a Long War“ der einflussreichen US-Denkfabrik RAND vom Januar zeigt. Sie kommt in ihrer Analyse der nationalen Interessen der USA zu dem Ergebnis, dass die Frage der territorialen Kontrolle zwar im Zentrum der Debatte steht und für die Ukraine sehr wichtig ist, für die USA aber nicht. Washingtons wichtigstes Interesse liegt demnach darin, einen direkten Konflikt mit der größten Atommacht der Welt ebenso zu vermeiden wie eine direkte Konfrontation zwischen NATO und Russland. Je länger aber der Krieg dauert, desto größer ist das Eskalationsrisiko. Daher habe das Vermeiden eines langwierigen Kriegs einen höheren Stellenwert als der Umfang der territorialen Kontrolle Kiews. Deutschland und USA haben dieselben InteressenDie Autoren identifizieren drei Gründe, warum die Konfliktparteien nicht miteinander in Verhandlungen treten wollen. Beide glaubten, den Krieg militärisch entscheiden zu können, hätten aber ein Ressourcenproblem. Beide seien skeptisch, ob eine Friedenslösung möglich ist, weil sie einander zutiefst misstrauen. Russland sähe keinen Weg aus den westlichen Sanktionen, habe daher keinen Anreiz für eine Verhaltensänderung. Als Handlungsoption wird deshalb vorgeschlagen, den Beistand für die Ukraine so zu kalibrieren, dass beide Seiten den Glauben an einen Siegfrieden verlieren. Dafür sollte es US-Sicherheitsgarantien für die Ukraine sowie den schrittweise Abbau der gegen Russland erlassenen Sanktionen geben.Den Autoren ist klar, dass dieser Ansatz viele Unwägbarkeiten in sich birgt. Aber was wäre die Alternative, wenn ein Siegfrieden angesichts der realen Perspektive gegenseitiger nuklearer Vernichtung ausgeschlossen ist? Eine zweifellos problematische Konsequenz einer solchen Regelung liegt darin, dass der Aggressor in gewisser Weise belohnt wird. Egal wo die Waffenstillstandsgrenze genau verläuft, Russland würde ukrainisches Territorium behalten. Der Westen und die Ukraine müssten den erzielten territorialen Kompromiss aber nur politisch anerkennen, nicht völkerrechtlich. Dieses Problem wäre also auf die lange Bank geschoben.Nicht auf die lange Bank schieben sollte man den Versuch, mit den Kriegsparteien in Gespräche über eine Kriegsbeendigung zu treten. Deutschlands nationale Interessen überlappen sich in wesentlichen Punkten mit den amerikanischen: keine direkte Kriegsbeteiligung, keine direkte Konfrontation zwischen NATO und Russland, möglichst schnelle Kriegsbeendigung. Statt sich in die nächste Diskussionsrunde über die Lieferung schwerer Waffen, diesmal Flugzeuge, verstricken zu lassen, sollte die Bundesregierung nach innen und außen verdeutlichen, was die deutschen Interessen sind. Dies entspräche dem Grundgesetzauftrag, „dem Frieden der Welt zu dienen“.