Der Mief der Privatisierer

Abfall Flaschensammler haben mächtige Gegner. Stromkonzerne verdienen am Geschäft mit dem Müll Millionen. Die Städte kämpfen - gegen beide Seiten.

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Es ist vollbracht. Die ersten 10 Pfandringe hängen in Köln an den öffentlichen Mülleimern.Die gelben Stahlkonstruktionen sind genau an die runde Form angepasst und werden ganz einfach mit Haken in die obere Mülleimerkante eingehängt. In jede Vorrichtung passen 16 Flaschen. Die Idee dahinter: Es fehlen jährlich ca. 300.000 Tonnen Glas im Recycling-Zyklus, weil Pfandflaschen weggeworfen werden, und das muss sich ändern. Denn es ist nicht nur ökonomisch und ökologisch ein Problem, sondern auch für die Müllsammler. Es gibt viele Menschen, die sich mit dem Sammeln von Pfandflaschen ein paar Euro dazuverdienen. Dabei sind sie nicht nur den Blicken ausgesetzt, die sie beim Durchsuchen der Mülleimer auf sich ziehen, sondern auch Verletzungs- und Infektionsrisiken. Zerbrochene Flaschen, Essensreste, Hundekottüten - Flaschensammler müssen auf all das gefasst sein.
Deshalb stellen viele Bürger die Glasflaschen neben oder auf den Mülleimer. Das führt aber zu Problemen: Auf einen Mülleimer passen nicht viele Flaschen, und was herunterfällt, zerbricht. Scherben und verärgerte Fahrradfahrer sind die Folge. Der Erfinder der Pfandringe, der Kölner Designer Paul Ketz, kam so auf die Idee: "Die einen werfen Pfand weg, die anderen holen es raus - ich fand, dass da ein Brückenstück hermusste".
Der Pfandring wurde schon mit dem Bundespreis ecodesign ausgezeichnet. In der Jury, die diesen Preis vergibt, saßen auch Leute aus dem Umweltbundesamt.

Unwirtschaftlich und nicht praxistauglich“?

Doch die Kölner Stadtverwaltung stellte sich ein halbes Jahr lang quer. Sie begründete es damit, dass die Pfandringe "unwirtschaftlich und nicht praxistauglich" seien. Außerdem ginge die Initiative "weit über die Belange der Bezirksvertretunghinaus“.
Die Begründung der Verwaltung spricht auch der ecodesign-Jury die Kompetenz ab. Viel interessanter ist aber, dass die Stadt sich weigert, die geringen Kosten des offensichtlichen Nutzens zu tragen - wenn man noch über den Nutzen für die Pfandsammler debattiert, liegt zumindest der für die Umwelt und die Sauberkeit der Stadt auf der Hand. Das sah auch die Köln-Ehrenfelder Bezirksvertretung so, die den Antrag im November einstimmig annahm.

Was für den Privatsektor vielleicht ein Argument sein kann, darf beim öffentlichen Sektor keine übergeordnete Rolle spielen: Der finanzielle Aufwand kann bei der Stärkung des Recyclingkreislaufs nicht im Vordergrund stehen. Zumal der Widerstand, einen vierstelligen Betrag zu investieren, besonders lächerlich wirkt, wenn man sich die zuletzt gescheiterten Projekte in Köln anschaut. So wurde bei der Eröffnung des sanierten Breslauer Platzes festgestellt, dass ein in der Planung vorgesehener Brunnen schlicht nicht gebaut worden war. Kosten: Zwischen 25.000 und 30.000 Euro. Von dem teuren Chaos um die Kölner U-Bahn ganz zu schweigen.

Richtig absurd wurde es aber, als die Verwaltung sich noch immer querstellte, obwohl sich schon längst Stifter gemeldet hatten, die die Finanzierung anboten. Nahezu alle bekannten Clubs des Kölner Stadtteils fanden die Idee gut, auch die Ehrenfelder SPD stiftete zwei Ringe, die zwischen 160 und 250 Euro kosten. Je mehr Pfandringe abgenommen werden, desto geringer der Preis. Paul Ketz stellt die Ringe selbst her, er braucht dafür einen bis drei Tage. Plus Materialkosten. Um das große Geldverdienen kann es dabei nicht gehen.
Letzten Monat wurde aber dem Stadtteil Ehrenfeld widerwillig genehmigt, 10 privat gestiftete Ringe für eine Testphase ab dem 12. April aufzuhängen. Mittlerweile gibt es noch einmal 10 neue Stifter.

Wenn man die Presseabteilung nach den Gründen für den Widerstand fragt, antwortet sie: "Es könnte dazu führen, dass die Flaschen aus den Ringen genommen und auf den Boden geworfen werden". Dass das keine stichhaltige Argumentation ist, zeigt nicht nur ein Blick auf das gut funktionierende Pilotprojekt, sondern auch der auf den Boden um die Mülleimer in anderen Stadtteilen. Hier liegen die Scherben. Weil es keine extra Vorrichtung für die Pfandflaschen gibt und die Leute sie trotzdem nicht hineinwerfen.

Auch Andreas Pöttgen, Ratskandidat der SPD für den Bezirk Ehrenfeld, der den Antrag damals geschrieben hat, kann die Sturheit der Stadtverwaltung nicht verstehen. Der 24-Jährige Kölner hat in die Begründung ausschließlich die Möglichkeit des verminderten Glasbruchs geschrieben, „weil die ganze soziale Debatte rund um den Pfandring einfach schwierig ist.“
Es gibt nämlich auch von linker Seite Kritik an der Idee. Der Vorwurf: Man würde die Armut zementieren, statt sie zu bekämpfen.

Ein einträgliches Geschäft

Das Verhalten der Stadt hat aber nichts mit dieser sozialen Debatte zu tun. Sie spielte bei der Ablehnung des Bezirksantrags keine Rolle. Dafür die „Unwirtschaftlichkeit“. Was heißt das?
Vielleicht ein Blick auf die Interessen am Abfall: Es gibt in keiner Stadt in Deutschland ein höheres Müllaufkommen als in Hamburg und – Köln. Das liegt nicht etwa daran, dass die Einwohner der beiden Großstädte mehr Müll produzieren würden. Sondern an den wirtschaftlichen Interessen. Die Hamburger Müllverbrennungsanlagen Rugenberger Damm und Borsigstraße gehören dem schwedischen Stromkonzern Vattenfall zu 55 und 85,5 Prozent.
Vor kurzem tauchte die Abfallwirtschaft Hamburgs erneut in überregionalen Zeitungen auf: Die Hansestadt hatte neue Mülleimer aufstellen lassen, die es Flaschensammlern unmöglich macht, hineinzugreifen. Über die Auswirkungen auf die Pfandsammler habe man vorher nicht geredet.
Mittlerweile versucht die Stadt, die Anteile von Vattenfall zu kaufen. Das ist aber keinesfalls beschlossene Sache. Die Verbrennungsanlage Borsigstraße machte 2010 einen Gewinn von 20 Millionen Euro und einer Umsatzrendite von 42 Prozent. (Zum Vergleich: Die Umsatzrendite von BASF lag letztes Jahr bei ca. 9 Prozent.) Das Geschäft mit dem Müll ist – gelinde gesagt – einträglich.

Auch in Köln hat das Interesse am Müll gewissermaßen Tradition. Die überdimensionierte Müllverbrennungsanlage Köln-Niehl hat vor über zehn Jahren die Kölner Spendenaffäre ausgelöst. Die Trienekens AG, die später die Anlage mitbetreiben sollte, hatte nachweislich über 11 Millionen Mark Bestechungsgeld u.a. an die damals regierende SPD gezahlt: Für den Bau der Verbrennungsanlage sowie deren Teilprivatisierung. Die Kommunalpolitiker Klaus Heugel und Norbert Rüther fälschten Spendenquittungen, um die Bestechung zu vertuschen. Insgesamt hatte der Bau der Anlage 820 Millionen DM gekostet. 30 Millionen DM Schmiergelder sollen geflossen sein.

Die Kapazitäten der Müllverbrennungsanlage in Köln sind so hoch, dass sie nur ausgelastet werden können, indem Müll aus ganz Europa importiert wird. DerUmweltexperte Michael Braungart kommentiert: „Weil man alles tut, um die Verbrennungsanlagen zu füllen, und darum möchte man gar kein echtes Recycling machen“.

In Köln argumentierte besonders die Abfallwirtschaft gegen den Pfandring. Die SPD in Köln-Ehrenfeld kämpft nun also gegen die Interessen, die einige ihrer eigenen Politiker vor fast 20 Jahren vertreten und massiv gestärkt haben. Es wäre erfreulich, wenn sich die Machtverhältnisse zwischen Abfallwirtschaft und Politik nach der Ratswahl am Sonntag ändern würden. In einer Stadt, in der ein Projekt von Bürgerinteressen nicht nur von privaten Stiftern getragen werden, sondern auch noch gegen die Verwaltung und die Interessen privatisierer Abfallwirtschaft kämpfen muss, wäre ein frischer Wind im Mief nötig. Dafür reicht aber kein Generationenwechsel im Stadtrat. Es braucht einen grundsätzlichen Wandel im Umgang der Städte mit der privaten Abfallwirtschaft. Wenn der Kauf der Vattenfall-Anteile in Hamburg gelingt, wäre das ein Signal an alle anderen Städte, sich gegen die Konzerne durchzusetzen. Vielleicht verhilft das auch der Kölner Stadtverwaltung zu mehr Mut - und den Bürgern und Flaschensammlern zu mehr Pfandringen.

Ein Interview mit dem Designer der Pfandringe gibt es hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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