Jamal Tuschick - Esoterisches Hochamt

#TexasText/Jamal Tuschick Dies ist beinah das Ende der Geschichte. Ich will mich nicht mit durchsichtigen narrativen Manövern aufhalten, sondern in der Schlussphase dem arrondierenden Element mehr Raum geben.

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Authentizität ist das Neppwort des Jahres. Adem vergleicht Steffis Älteste mit einem gefärbten Weißling (Dismorphia amphione), der unter falscher Flagge in einer Schar prächtiger Nachtfalter fliegt. Der Ziehvater fragt sich, wann Arianna auffliegen wird. In diesem Moment kommt sie spaghettiträgerisch um die Ecke und sucht den Schulterschluss mit ihrem Versorger. Machen wir uns nichts vor. Das ist der Deal: Adem ermöglicht, sprich finanziert Steffis Kindern eine solide Ausbildung und verhilft ihnen als Unternehmer und Erbe einer eingeführten Firma zu einem hohen Status, und im Gegenzug stellt Steffi kaum je Ansprüche. Sie löffelt aus, was sie sich eingebrockt hat. Sie zahlt für Fehler, die sie ‚Jugendsünden‘ nennt. Erachtet Steffi ihre Töchter als Jugendsünden?

Arianna heuchelt Interesse für Adems esoterische Hochämter. Auch jetzt bittet sie um Erklärungen. Adem fühlt sich gestört zwischen seinen Mineralaggregaten. Er nimmt Ritualhandlungen in der schützenden Aura großkalibriger Amethyst- und Calcit-Drusen vor. Vor seinem geistigen Auge manifestieren sich prähistorische Konstellationen, die unmittelbar auf die Gegenwart wirken. Er befragt Wächter, die Adems Gen-Dynastie schon dienten, als ihre Herrschaften die menschliche Gestalt noch nicht angenommen hatten.

Dies ist beinah das Ende der Geschichte. Ich will mich nicht mit durchsichtigen narrativen Manövern aufhalten, sondern in der Schlussphase dem arrondierenden Element mehr Raum geben. Während der Recherche saß ich mit Adem, Steffi und den Töchtern in der Küche der Familie, die zuvor die Küche der ersten Familie gewesen war, die Adem gegründet hat. Seine Ziehtöchter streckten sie da in jugendlichem Unbehagen, wo vorher die leiblichen Kinder agiert hatten. Arianna und Chisoma zeigten sich zurückhaltender und befangener als es vermutlich die Erbberechtigten gewesen wären. Die Situation war voller Interferenzen. Für mich fühlte es sich so an, als würden die Töchter ihrer Mutter unter die Arme greifen und deren Position mit gefälligem Verhalten stärken. Der soziale Krampf überlagerte all das, was eigentlich im Vordergrund hätte stehen sollen, nämlich der in der dritten Generation esoterisch begründete Reichtum. Als mir Adem von seinen Geistern und Biestern erzählte, hatte ich keine Referenz. Jahre später las ich in einem Buch von Alexander Kluge etwas, dass für mich zur Brücke wurde. Kluge schreibt: „(Die Virologin) Karin Mölling hat mir von einem Element in unserem Erbgut erzählt. Das ist ein über fünf Millionen Jahre altes Virus. Das ist übergelaufen zu den Vorfahren von uns, als wir noch nicht Menschen waren. Es sitzt in uns und verteidigt uns immer noch wütend und träumend gegen Gefahren von Bakterien und Viren von vor fünf Millionen Jahren. Die Gegner unserer Vorfahren, die hier abgewehrt werden, gibt es längst nicht mehr. Wenn wir mit diesem Urvirus und Überläufer, der wie ein Hugenotte nach Preußen in unser Erbgut überlief, sprechen könnten, hätten wir vermutlich Zugang zu einem Universalimpfstoff.“

Seit ich diese Einlassung kenne, bilde ich mir ein, Adem etwas besser zu verstehen.

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Geschrieben von

Jamal Tuschick

Interessiert an Literatur, Theater und Kino

Jamal Tuschick

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