Katzen und Ratten im Schützengraben: Wie der Mensch Tiere für seine Kriege einsetzt
Militär Wann immer Menschen in den Krieg zogen, waren Tiere mit dabei – ob als Gefährten oder lebende Waffen, als geduldete oder verhasste Mitbewohner im Schützengraben. Ein Blick in die Geschichte, bis zu Bundeswehr und Ukraine-Krieg heute
Zärtlichkeit inmitten des Krieges: Ein ukrainischer Soldat krault nahe Bachmut eine Katze. Die Tiere sollen vor allem die unzähligen Ratten aus militärischen Stellungen vertreiben.
Foto: Aris Messinis/AFP/Getty Images
Vermutlich hatten der milde Herbst und der Krieg selbst dazu beigetragen. Wegen der Kämpfe lagen viele Äcker brach, auf denen die Nager reichlich Nahrung fanden. Nun, im frostigen Winter, suchten sie Wärme und Schutz; sie drangen in die Stellungen ein, sogar bis ins Innere der Kriegsgeräte. Im Internet kursiert ein Video, das Massen von Mäusen zeigt, die aus dem qualmenden Auspuff eines Panzers strömen. Ein Soldat packt immer wieder eines der fliehenden Tiere am Schwanz und wirft es unter lautem Johlen zurück in die Abgase.
Auch wenn sie sich bis aufs Blut bekriegen, in einem scheinen sich die russischen und ukrainischen Soldaten einig: Die Nager sind eine echte Plage. Kurz vor Weihnachten 2023 häuften sich Meldungen über einen „außerg
2023 häuften sich Meldungen über einen „außergewöhnlich hohen Mäuse- und Rattenbefall“ in mehreren Abschnitten der Front. Der Guardian zitierte aus britischen Geheimdienstberichten, wonach ukrainische wie russische Truppen darunter litten. Laut Bericht gefährdeten die Nager nicht nur die Ausrüstung, indem sie Kabel und Drähte durchnagten, sondern auch die Gesundheit der Soldaten. In russischen Einheiten sollen bereits vermehrt Krankheitsfälle aufgetreten sein, die auf die unzähligen Ratten und Mäuse in den Schützengräben zurückgeführt werden.Eingebetteter MedieninhaltDie aktuelle Situation im Osten der Ukraine wurde schon mehrfach mit dem Stellungskrieg an der Westfront im Ersten Weltkrieg verglichen. Im Falle der Ratten scheint der Vergleich zu stimmen. Schon damals wimmelte es in den Gräben und Stollen von tierlichen Untermietern. Sie nisteten sich ein, fraßen der Soldaten Brot oder rückten ihnen sogar buchstäblich zu Leibe. Wie sehr dies die Soldaten neben aller Todesgefahr bereits damals beschäftigte, bezeugen ungezählte Feldpostbriefe und Tagebücher. Der Maler Otto Dix notierte 1915: „Läuse, Ratten, Drahtverhau, Flöhe, Granaten, Bomben, Höhlen, Leichen, Blut, Schnaps, Mäuse, Katzen, Gase, Kanonen, Dreck, Kugeln, Mörser, Feuer, Stahl, das ist der Krieg.“Gegen die Ratten gehen die heutigen Soldaten wie schon ihre Vorgänger im Ersten Weltkrieg vor – sie halten in ihren Stellungen Katzen und Hunde, die sie auf Nagerjagd schicken. Was sie den einen vorenthalten, lassen sie den anderen umso mehr zukommen. Denn die Haustiere erfüllen neben der Schädlingsbekämpfung noch einen weiteren Zweck. Sie sind moralische Stütze und Ablenkung im Kriegsalltag, sie sind eine Verbindung zum einstigen Leben fernab der Front.Placeholder image-1Wer die Geschichtsschreibung der Kriege durchstöbert, findet darin Tiere zuhauf. Neben den ungezählten Feldpostbriefen aus den Weltkriegen, in denen es von Ratten und Mäusen, Flöhen und Läusen wimmelt, finden sich auch Heldengeschichten über pflichtbewusste Pferde, heroische Hunde und blitzschnelle Brieftauben. Denn solange Menschen Kriege führen, solange schicken sie auch Tiere in die Schlacht. Meistens weil Tiere schneller, stärker oder geschickter sind, aber immer, weil sie keine Fragen stellen oder Vorwürfe erheben. So mussten sie mal als Gefährten, mal als Transportmittel oder lebende Waffen dienen. Ohne Rücksicht auf Verluste.US-Armee wollte Fledermäuse mit Sprengstoff über Japan abwerfenGegen die legendären Kriegselefanten in vorchristlicher Zeit setzten die römischen Truppen Schweine ein, die sie zuvor mit Öl bestrichen, anzündeten und auf die Elefanten hetzten. Im Zweiten Weltkrieg stattete die Rote Armee Hunde mit Sprengsätzen aus, um sie als lebende Bomben unter deutsche Panzer zu schicken. Mit mäßigem Erfolg – nicht selten flohen die Hunde in die falsche Richtung. Zur gleichen Zeit arbeitete die US-Armee am Projekt „X-Ray“ – mit Sprengstoff behängte Fledermäusen sollten über Japan abgeworfen werden und in den Städten Flächenbrände auslösen. Nachdem jedoch ein Militärstützpunkt in New Mexico versehentlich von entkommenen Fledermäusen in Brand gesetzt worden war, wurde das Projekt eingestellt und ein anderes namens „Manhattan“ vorangetrieben – die Atombombe. Und im Falkland-Krieg 1982 schickte das britische Militär Schafe auf die Felder, da es die billigste Methode war, um die dort liegenden Minen zu beseitigen.Neben allem kalten Kalkül blieb stets auch Platz für Heldenkult: Allen voran die Pferde scheinen dafür wie gemacht. In ihnen setzt sich die alte Erzählung der „großen Männer“ auf tierlicher Ebene fort. Da die Geschichtsschreibung der Menschen lange Zeit vor allem von ihren Kriegen handelte, standen meist Staatsmänner und Strategen im Fokus. Und deren Reittiere sollten ebenso heroisch sein. Einer der ersten behuften Helden der Geschichte war Bukephalos, das Schlachtross von Alexander dem Großen. Der makedonische Feldherr ließ an dessen Sterbeort im heutigen Pakistan gleich eine ganze Stadt gründen. Streiff, auf dessen Rücken Schwedens König Gustav Adolf im Jahre 1632 während des Dreißigjährigen Kriegs in die Schlacht von Lützen ritt und dort den Tod fand, ist noch heute in der Rüstkammer des Stockholmer Schlosses zu besichtigen.Placeholder image-2Im Falle von Kasztanka ist das nicht mehr möglich. Die Fuchsstute, liebstes Reittier des polnischen Militärs und Politikers Jozef Pilsudski, wurde nach ihrem Tod 1927 ebenfalls ausgestopft und in Warschau ausgestellt. Allerdings wurde sie von Motten befallen und sah daraufhin so abgefressen aus, dass sie eingeäschert wurde. Die Erinnerung an das polnische „It-Horse“ lebte jedoch auf Gemälden, in Soldatenliedern und Satiren fort.Selbst weniger prominente Pferde kamen zu fragwürdigen Ehren. Der Dichter Friedrich Karl von Gerok widmete den Kavalleriepferden des Deutsch-Französischen Kriegs sein Gedicht Die Rosse von Gravelotte, in dem er den geborenen Fluchttieren höchste Opferbereitschaft andichtete: „Selber der blutige Schimmel, so müd, / Hinkt auf drei Beinen und reiht sich ins Glied.“Die Wehrmacht erschoss 30.000 Pferde auf der KrimDiese und so manch andere posthume Verehrung dürfte erst im Nachhinein aufgebauscht worden sein, sei es aus Selbstmitleid, Scham oder schlechtem Gewissen. Die Soldaten der Wehrmacht besangen zwar „Kamerad Pferd“, was sie jedoch nicht davon abhielt, auch noch über die letzte Schindmähre von Stalingrad herzufallen oder – wie auf der Krim 1944 geschehen – 30.000 Pferde lieber zu erschießen, als sie der Roten Armee zu überlassen.Die industrialisierten und hochtechnisierten Kriege des 20. Jahrhunderts verschonten die Tiere keineswegs. Im Ersten Weltkrieg waren rund zehn Millionen Pferde, Maultiere und Esel sowie mehrere Hunderttausend Hunde und Tauben im Einsatz. Der Zweite Weltkrieg brachte keine Besserung, nur die Aufgaben änderten sich: Hunde mussten nicht mehr zwischen den Linien nach Verwundeten suchen oder Nachrichten übermitteln. Stattdessen sorgten sie nun im Umfeld der Konzentrationslager für Angst und Schrecken. Und obwohl die Kavallerie als Waffengattung allmählich verschwand, waren Pferde als Zugtiere noch immer unverzichtbar. Das deutsche Heer schickte fast drei Millionen Pferde, Maultiere und Esel in den Kampf, von denen ein Großteil an Kälte, Krankheiten und Kugeln krepierte. Im Schnitt kamen auf deutscher Seite an jedem Kriegstag rund 900 Huftiere um.Welche Tiere die Bundeswehr einsetztDie Bundeswehr bildet bis heute Tiere für den Krieg aus. So etwa Hunde, um vermisste oder verletzte Personen, Sprengstofffallen und Hinterhalte aufzuspüren. In Auslandseinsätzen wie im Kosovo und in Afghanistan – dort, wo das Gelände für Fahrzeuge unpassierbar war – setzte sie Pferde und Maultiere ein. Als Namensgeber scheinen Tiere ohnehin unverzichtbar, wie sich an den deutschen Panzern Leopard, Marder und Co. zeigt. Womöglich sind auch sie schon von Ratten befallen.Placeholder image-3Wenn der Krieg vorbei ist und die Waffen schweigen, sind es oftmals wieder die Nager, die auf die Schlachtfelder zurückkehren. Diesmal aber, um den Menschen zu helfen, deren Altlasten zu entschärfen. So setzt etwa die belgische NGO Apopo gerade in armen Bürgerkriegsgebieten weltweit Riesenhamsterratten zur Minensuche ein. Dabei werden sie an einer langen Leine übers Feld geführt. Finden sie einen Zünder, beginnen sie sofort zu graben. Die Tiere erreichen zwar fast die Größe einer Hauskatze, doch sie sind mit rund zwei Kilogramm so leicht, dass sie die Zünder der Minen nicht auslösen. Zudem lernen sie schneller als Hunde, sind in der Haltung günstiger und arbeiten gegen einen geringen Lohn – ein Stück Obst. In mehreren afrikanischen und asiatischen Ländern haben die sogenannten „Herorats“ bereits Minen aufgespürt. So gilt etwa Mosambik auch dank ihnen seit 2015 als minenfrei.
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