DHL, Amazon & Co: Ihr Paketbote wurde ausgeliefert
Arbeit Die Ampelkoalition hat mit der Novellierung des Postgesetzes die Chance, das Unwesen der Subunternehmerketten in der Paketzustellungsbranche zu beenden. Wird sie diese nutzen?
In zehn Jahren hat sich die Zahl der zugestellten Pakete in Deutschland fast verdoppelt: auf 4,15 Milliarden im Jahr
Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Im ersten halben Jahr, sagt P., habe er 16 Kilo abgenommen. „Das war die Kombination aus jeden Tag viele Treppen steigen und keine Pausen machen, nichts essen.“ P. ist Paketzusteller und möchte anonym bleiben. Er kommt aus Polen und fährt im Großraum Berlin im Auftrag von Amazon Päckchen aus. Wie ausnahmslos alle Zusteller*innen, die für Amazon in Deutschland unterwegs sind, ist er nicht direkt bei dem US-Konzern angestellt, sondern bei einem der vielen Subunternehmen, die die Auslieferung übernehmen.
Dieses System gibt es nicht nur bei Amazon: Auch Hermes, DPD oder GLS lagern ganz oder größtenteils die teure, da personalintensive „letzte Meile“ der Paketzustellung aus, die 50 Prozent oder mehr der Gesamtkosten einer Sendung au
Sendung ausmachen. Darum entledigen sich die großen Unternehmen der Paketbranche – mit Ausnahme von DHL und UPS, die vorwiegend mit Eigenbeschäftigten arbeiten – der Verantwortung für die Zustellung und geben sie an Subunternehmen ab, die wiederum dem krassen Kostendruck nur durch niedrige Löhne und die Missachtung von Arbeitsrechten standhalten können. Die Hälfte der 90.000 Paketbot*innen in Deutschland ist heute für Subunternehmen tätig.Aus Sicht der Arbeitgeber in der Branche ein Erfolgsrezept: In Deutschland hat sich die Zahl der zugestellten Pakete zwischen 2012 und 2022 fast verdoppelt, auf 4,15 Milliarden Sendungen pro Jahr; der Umsatz stieg von 15,5 auf 26 Milliarden Euro. Bei den Beschäftigten kommt von diesem Boom jedoch nichts an: 2022 verdienten vollzeitbeschäftigte Fachkräfte in der Post- und Paketbranche durchschnittlich 2.719 Euro brutto im Monat – etwa 700 Euro weniger als im Durchschnitt der Gesamtwirtschaft. Die Löhne steigen viel langsamer als in anderen Branchen. Auch verdeckt der Durchschnittsverdienst, in dem auch die Tariflöhne der Post- und DHL-Bot*innen enthalten sind, die extrem schlechte Bezahlung derer, die für die Subunternehmen arbeiten.Was Heil und Habeck tunMit der Novellierung des Postgesetzes hatte die Ampelregierung die Chance, die Arbeitsbedingungen der Paketzusteller*innen zu verbessern. Die Abstimmung des Gesetzes im Bundestag steht noch aus, zu einem Verbot der Subunternehmen wird es aber aller Voraussicht nach nicht kommen. Das Bundesarbeitsministerium von Hubertus Heil (SPD), das in der Coronapandemie ein Werkvertragsverbot für die Fleischindustrie erließ, strebt für die Paketzustellung nichts Gleichartiges an. Auch das grün geführte Bundeswirtschaftsministerium lehnt die Zerschlagung der Subunternehmensketten ab – man sieht keine systematischen Rechtsverletzungen, die diesen Schritt begründen würden.Davon, dass Arbeitsrecht in der Paketzustellung systematisch verletzt wird, sind indes Gewerkschaften und Beratungsnetzwerke wie Faire Mobilität oder das Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (BEMA) überzeugt. Sie fordern neben der stärkeren gesetzlichen Regulierung der Branche durch ein Verbot von Subunternehmen deutlich mehr Kontrollen der Arbeits- und Entlohnungsbedingungen.„Wir hören oft, dass den Fahrern von dem vereinbarten Betrag noch Summen abgezogen werden, zum Beispiel für Reparaturen, wenn es einen Fahrzeugschaden gab. Das passiert teilweise so regelmäßig, dass die Fahrer*innen jeden Monat mehrere hundert Euro weniger haben, als vereinbart wurde“, sagt Tina Morgenroth, die für Faire Mobilität in Thüringen tätig ist. „Indem sie einen Teil undokumentiert auszahlen, umgehen solche Unternehmen zudem Sozialabgaben, wir haben es dann mit systematischem Sozialversicherungsbetrug zu tun.“Um dem beizukommen, wurde bereits 2019 eine sogenannte Nachunternehmerhaftung für die Branche eingeführt. Der Generalunternehmer, also Amazon, Hermes oder ein anderes großes Unternehmen, haftet seitdem für die von den beauftragten Subunternehmen abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge. Da es aber an Kontrollen mangelt, läuft diese Regelung ins Leere. An dem ausbeuterischen Geschäftsmodell hat sie nichts geändert.Druck auf die PaketzustellerDeshalb mehrten sich zuletzt Initiativen, die sich für eine Zerschlagung der Subunternehmerketten einsetzen. So auch eine von Bremen, Niedersachsen, Thüringen und dem Saarland ausgehende Bundesratsinitiative, die im Mai 2023 die Bundesregierung aufforderte, die Subunternehmen in der Paketzustellung, analog zur Fleischwirtschaft, zu verbieten. In einer Stellungnahme zum neuen Postgesetzentwurf von Februar 2024 stellte der Bundesrat fest, dass der Einsatz von Fremdpersonal überwiegend dazu diene, „die Kosten niedrig zu halten und sich der Verantwortung für die Einhaltung von arbeitsrechtlichen Vorgaben zu entziehen“. Gesetzgeberisches Handeln sei „zwingend erforderlich“. Im Moment sieht es allerdings nicht so aus, als könnten sich die Landesregierungen hier durchsetzen.Was in den Worten des Bundesrates etwas abstrakt klingt, beschreibt P., der polnische Zusteller, so: „Wir fangen morgens im Depot an, erst 30, 40 Minuten warten, dann schnell einladen. Dann beginnt der Marathon. Gestern bestand die Tour aus 265 Paketen, 178 Stopps. Das sind zwei Minuten pro Stopp. In den zwei Minuten musst du alles schaffen: Hinfahren, Parkplatz finden, Paket raussuchen, abliefern, weiter. Manche Stopps sind Multi-Stopps, das heißt nicht nur ein Paket, sondern mehrere. Wenn du ein Mehrfamilienhaus hast, musst du eigentlich an mehreren Türen klingeln, du bist nur am Rennen. Pakete ins Lager zurückbringen darfst du auf keinen Fall. Machst du das öfter, bekommst du eine Nachschulung oder Fahrsperre.“Der Druck, die Liefermenge zu schaffen, führt zum Druck, Überstunden zu leisten. Nicht selten zieht sich der Arbeitstag bis 21 oder 22 Uhr abends hin. „Bezahlt bekomme ich immer nur den Monatsbetrag, egal wie lange ich arbeite“, sagt P.Um Fahrer*innen zu finden, die zu diesen Bedingungen arbeiten, wirbt die Branche gezielt um nicht-deutsche Beschäftigte. Der typische Paketzusteller eines Subunternehmens ist oft erst seit Kurzem in Deutschland, manchmal mit unsicherem Aufenthaltsstatus, spricht kaum Deutsch und ist in der Regel männlich.Kontrolle der SubunternehmenAuch die Subunternehmen selbst gehören häufig Migrant*innen, die mitunter vorher selbst in der Zustellung tätig waren. Besonders Amazon fördert sogenannte Delivery-Service-Partner offensiv, die die benötigten Arbeitskräfte bereitstellen sollen. Leuten werde geradezu „eingeredet“, sie könnten ein lukratives Subunternehmen führen, beschreibt Tina Morgenroth das Vorgehen. Der Konzern baut seit einigen Jahren sein semiproprietäres Zustellnetzwerk aggressiv aus. Semiproprietär deshalb, weil Amazon die Subunternehmen stark kontrolliert, sie mit Apps zur Kontrolle der Fahrer*innen ausstattet und in die eigene Logistikkette integriert. Die Fahrer*innen der Subunternehmen erhalten von Amazon Schulungen, bei „Verfehlungen“ werden sie vom Konzern direkt sanktioniert.Unwidersprochen bleiben die harten Arbeitsbedingungen seitens der Ausgebeuteten aber nicht. Immer wieder gehen Beschäftigte, unterstützt von Beratungsnetzwerken, gerichtlich gegen Lohnbetrug vor und versuchen, die eigentlichen Auftraggeber in die Verantwortung zu nehmen. Auch kam es vereinzelt zu spontanen Streiks und anderen Protesten. Eine breite gewerkschaftliche Organisierung findet indes, zumindest in den Subunternehmen, nicht statt. Die Hürden dafür sind hoch, gerade weil die Branche in so viele kleine Unternehmen zersplittert ist, die oft nur wenige Jahre bestehen. Ein Direktanstellungsgebot würde die Bedingungen für gewerkschaftliche Organisierung deutlich verbessern. Doch es bedarf, das zeigt das Novellierungsverfahren des Postgesetzes, offenbar eines enormen Drucks von unten, um die Regierung dazu zu bewegen, ein Verbot von Subunternehmen tatsächlich umzusetzen. Die Fleischindustrie war in dieser Hinsicht ein Sonderfall: Hier gab es mit den Coronainfektionsausbrüchen in Schlachthöfen eine historische Ausnahmesituation, die eine Wende in der jahrelangen Auseinandersetzung um die Regulierung der Branche brachte. In der Paketbranche gibt es so eine krisenhafte Ausnahmesituation nicht, zumindest nicht für die Empfänger*innen all der Milliarden von Päckchen.Für die Beschäftigten sind das trübe Aussichten. „Am schlimmsten ist, dass du bei Amazon nicht als Mensch behandelt wirst, sondern wie ein Gerät, das man abends zum Aufladen in die Steckdose steckt“, sagt P. „Wenn ich dort ins Depot fahre, habe ich das Gefühl, ich fahre in eine böse Wolke.“Placeholder authorbio-1
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